Verschiedene: Die Gartenlaube (1890) | |
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Gott, der in alle Herzen, auch in das seine, schaute, und der da wußte, wofür er in seinem blinden Wahn gesündigt hatte, ihn aufnehmen und ihm verzeihen? –
„Daß ich Ihnen diese Geschichte erzählte, Herr Pfarrer,“ begann Schönfeld endlich aufs neue, „das soll zugleich die Antwort auf eine Frage sein, die Sie mir vor kurzem einmal vorgelegt haben: ob ich nicht inmitten meines wirren, wüsten Lebens das in mir gespürt hätte, was Sie mir als göttliche Regung ausgelegt und erklärt haben! Ich denke, mein unverändert tiefes und warmes Gefühl für diesen meinen verlorenen Jugendfreund und die Thatsache, daß ich sein Geheimniß bis auf den heutigen Tag treu behütet habe, – ich denke, das ist eine göttliche Regung gewesen!“ –
Immer noch saß Reginald von Conventius unbeweglich da, und die weißen Rosen nickten träumerisch über seinem blonden Haupt. Ein brütender Ernst, ihm sonst fremd, lag über seinen Zügen, und ein banges Fragen stand in seinen Augen zu lesen. Aber er raffte sich auf mit all seiner Kraft und ließ noch einmal die göttliche Lehre von Vergeben und Vergessen über seine Lippen strömen, und aus seinem tiefsten Herzen kam das Gebet, das er zum Schluß für die Seele sprach, die sich ihm anvertraut hatte mit all ihren Irrthümern und ihrer Reue. –
Aber als er um wenige Minuten später durch die Straßen schritt, da war der inbrünstige Ausdruck, der sein schönes Gesicht eben noch verklärt hatte, spurlos verflogen, – einem Nachtwandler gleich ging er mitten durch das fröhliche Gewühl der Menschen, die von ihren Ausflügen heimkehrten oder jetzt noch, nach des Tages Arbeit, ins Freie hinausstrebten – er sah keinen Gruß, der ihm zutheil wurde, beachtete keinen der verwunderten Blicke, die ihn trafen, – fuhr aber plötzlich schreckhaft, wie vor einer Geistererscheinung, zusammen, als er, um eine Straßenecke biegend, auf ein Paar stieß, das ihm gerade entgegenkam: Professor Delmont und Annie Gerold, Arm in Arm, sie, eifrig plaudernd, einen Strauß köstlicher Rosen an der Brust, heiter, jugendschön, wie verklärt von ihrem bräutlichen Glück, – er, stolz und vornehm, mit einem unbeschreiblichen Ausdruck heimlicher Wonne auf sie niedersehend, ein zärtliches Lächeln um die Lippen. Ein leichter Schreck überkam auch sie beide, als sie so ganz unvermuthet den Prediger von Sankt Lukas vor sich sahen – sie faßten sich aber rasch, grüßten verbindlich und blickten einander dann befremdet in die Augen.
Reginald hatte ihren Gruß nicht erwidert und war, so rasch ihn seine Fuße trugen, weitergestürmt.
Am Nachmittag desselben Tages, der Schönfelds Beichte gebracht hatte, ging es bei Rainers sehr heiter zu. Der neugebackene Bräutigam war da, der vergnügteste Ulan, den je Gottes Sonne beschienen hatte. Er wollte mit seiner Braut und Frau Hedwig Weyland einen Besuch in Professor Delmonts Atelier abstatten, nicht so ohne weiteres – bewahre! Das hatte bei dem unberechenbaren Künstler, der noch dazu auf seine schöne Braut so eifersüchtig war wie ein Türke, übel ablaufen können! Annie Gerold selbst hatte es übernommen, ihre Freunde in das Heiligthum, das nur sehr wenigen offen stand, einzuführen; denn Delmont machte auch darin eine Ausnahme von anderen Malern, daß es ihm gar nicht darum zu thun war, sein Atelier viel besucht und seine Bilder bewundert zu sehen, – im Gegentheil, er wies viele dahin zielende Wünsche ab und nahm den Berichterstattern und Kritikern gegenüber meist eine so herbe Miene an, daß diese Herren ihren ganzen Vorrath von Unparteilichkeit zu Hilfe nehmen mußten, um die Person von der Sache, um die es sich handelte, zu trennen. Frau Weyland und Hedwig Rainer nun hatten, als Annie Gerolds beste Freundinnen, den lebhaften Wunsch geäußert, des Professors Allerheiligstes zu sehen, und Fritz von Conventius hatte sich selbstverständlich angeschlossen, „schon, um zu sehen,“ wie er sich innerlich sagte, „wie ich mich als Bräutigam gegenüber dieser gefährlichen Annie als einer Braut benehmen werde, und ob ich mit Ehren vor ihr und vor mir selbst bestehen kann. Natürlich werde ich das gut zustande bringen, denn ich verliebe mich mit jedem Tage ernstlicher in mein kleines Mäuschen – aber eben darum! Fräulein Gerold soll doch sehen, daß andere Leute auch glücklich sein können, und daß man nicht Braut eines berühmten Künstlers und Professors zu sein braucht, um das Leben wunderschön zu finden!“
Fraut Weyland war zum Kaffee zu Rainers, die ein hübsches Gärtchen besaßen, gekommen – noch aber war’s zu dem beabsichtigten Gang zu früh, und der Lieutenant unterhielt die Damen einstweilen damit, ihnen Julchens neuestes Kunststück vorzuführen. Die begabte Hühnerhündin saß inmitten einer Jasminlaube auf den Hinterbeinen, sie hatte ein Schnittchen Butterbrot auf ihrer Nase liegen und balancirte dieses mit einem sehr unbehaglichen Gesichtsausdruck, ohne indessen ihre Stellung zu verändern. Erst wenn ihr Herr „Attention!“ rief, warf sie den Kopf zurück, fing das Schnittchen Brot in der Luft auf und sank in die gewöhnliche Stellung eines Vierfüßlers zurück, um dann noch vergebliche Versuche anzustellen, das letzte Restchen Butter vermittelst ihrer langen, geschmeidigen Zunge von der Nase herunterzuholen. Diese anspruchslose Kunstleistung unterhielt die Damen bestens und Julchen erhielt viel Anerkennung ob ihrer Gescheitheit. Mama Rainer, die „Perle einer Schwiegermutter“, saß mit ihrem guten, gemüthlichen Gesicht in der Jasminlaube und wünschte sich ihren seligen Mann herbei, auf daß er sehen könne, wie glücklich sein Kind sei und wie klug sie – seine Gattin – gehandelt habe, für Hedwig einen so prächtigen Mann auszusuchen. Frau Rainer war nämlich entzückt von ihrem Schwiegersohn und bildete sich demzufolge ein, sie habe ihn „ausgesucht“! –
„Jetzt wird es bald Zeit, aufzubrechen,“ meinte Frau Weyland, indem sie ihre Uhr zog.
„Wie unbehaglich Sie dazu aussehen!“ lachte Fritz. „Hand aufs Herz, verehrte Frau – haben Sie wieder Ihre Ahnungen? Mein Mäuschen hat mir so etwas davon verrathen! Sollte ich’s nicht sagen, Kleine?“
Das „Mäuschen“ sah ein wenig verlegen aus.
„Frau Weyland liebt es gar nicht, wenn darüber gesprochen wird – nicht wahr, liebe Hedwig?“
„Es kommt darauf an, wer es thut und in welchem Ton darüber gesprochen wird!“ entgegnete die Gefragte. „Meines Mannes spöttische Art kann ich nicht gut vertragen, das räume ich ein, – er hat sich’s aber überhaupt verbeten, daß ich ihm mit solchen Dingen komme. Ich thue es auch nie und bemühe mich redlich, alles ‚Uebernatürliche‘, wie Robert es nennt, in mir zu unterdrücken, denn er behauptet, es schade mir, und es kann ja sein, daß er recht hat. Ich gehe, wenn mich solche Stimmungen überkommen, absichtlich viel unter Menschen, ich lache und schwatze, treibe Musik, arbeite und spiele mit meinen Kindern und lese ein anregendes Buch – lauter Mittel, die meine Gedanken von dem abziehen sollen, was fort und fort in ihnen die Hauptrolle spielt. Zuweilen, wenn mein Ahnen und Befürchten nicht gerade besonders ausgeprägt ist, helfen diese Gegenmittel ganz gut, – ein andermal aber erweisen sie sich als völlig machtlos!“
„Und im gegebenen Fall?“ fiel Hedwig Rainer eifrig ein.
Frau Weyland sah sich ihre Zuhörerschaft der Reihe nach an: die alte Dame war ganz Erstaunen und Glauben, die kleine Braut ganz Theilnahme und freundschaftliches Mitgefühl, und der Lieutenant Fritz, den sie, trotz seiner ihr sehr angenehmen Persönlichkeit, am meisten im Verdacht der Gegnerschaft hatte, zeigte ein ganz sittsames, ernstes Gesicht und sah aus, als interessire er sich sehr lebhaft für die Sache.
„Nun, leider muß ich bekennen“ – Frau Weyland seufzte tief auf – „daß im gegebenen Fall jede Ablenkung bisher nutzlos gewesen ist. Ich habe mich selbst ernstlich deshalb gescholten, habe alles drangesetzt, meine Stimmung zu ändern … umsonst! Es gelang mir nur äußerlich, in meinem Innern blieb alles beim alten. Sie wissen ja, wie lieb ich Annie Gerold habe, nächst meinen Familiengliedern am liebsten von allen Menschen auf der Welt. Immer, seitdem Annie erwachsen ist, hat mich die Idee beschäftigt, wie wohl ihr künftiger Mann geartet sein würde – denn sie ist ja ein entzückendes Geschöpf und ganz dazu geschaffen, einen Mann unendlich zu beglücken! Von all den bisherigen Freiern und Verehrern, die um das reizende Wesen herum waren wie die Motten um das Licht, schien mir bis vor kurzer Zeit kein einziger geeignet, ihr Herz zu gewinnen und zu verdienen – einen ausgenommen – und der ist nicht der Erwählte! Sowie ich Annie mit Professor Delmont zusammen sah, faßte mich die geheime, unerklärliche Angst, die ich so gut an mir kenne, die Angst, daß einem geliebten Wesen ein Unheil drohe; dieses
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 839. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_839.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)