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Seite:Die Gartenlaube (1890) 850.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Der kleinen Quäkergemeinde aus Crefeld folgt einige Jahre später die Auswanderung aus der Pfalz, die sich nach dem Staate New-York wendet unb dort das reizende Mohawkthal in einen blühenden Garten umschafft. Was jene erste pennsylvanische deutsche Ansiedelung als Vorbild gleichsam gestiftet, das wiederholt sich nun im Laufe der zwei Jahrhunderte in den verschiedensten Theilen der Union bis auf den heutigen Tag.

Der Urwald weicht dem fleißigen Anbau, Handwerk und Industrie erstehen in den deutschen Niederlassungen wie auf Zauberwort, daneben kehrt geselliger Frohsinn ein und bald finden auch Kunst und Wissenschaft ihr Heim. Kein Gebiet menschlicher Thätigkeit, in dem Deutsche nicht Großes geleistet hätten! Es wäre unmöglich, hier auch nur in gröbsten Umrissen den Antheil der Deutschen an der geistigen und materiellen Entwickelung Amerikas zu schildern. Und als es im vorigen Jahrhundert galt, das herrliche Gut der Freiheit zu erringen, als dann später in blutigem Bürgerkrieg die Schmach der Sklaverei ausgetilgt werden sollte, da durfte auch deutsches Heldenthum seine altbewährte Größe bezeugen.

Das sind in allgemeinen Zügen die Erinnerungen, die den „Deutschen Tag“ ins Leben riefen und die bei seiner Feier durch Wort und Bild zur Darstellung kamen. Denn es galt ja, die Bedeutung unseres Volksthums für Amerika nicht nur der Masse unserer Landsleute ins Gedächtniß zu rufen, sondern sie vor allem der amerikanischen Bevölkerung lebendig zur Anschauung zu bringen, die von geschichtlicher Bildung leider nur in Ausnahmefällen weiß und von deutsch-amerikanischer Vergangenheit in der Schule höchstens über die unglücklichen, im Unabhängigkeitskrieg an England verkauften „Hessen“ gehört hat.

Als Festtag hatte man so ziemlich allgemein in allen Städten den 6. Oktober, den durch Seidensticker festgestellten Landungstag der ersten deutschen Einwanderung in Pennsylvanien, gewählt. Nur in einzelnen Städten, wie z. B. in Cleveland, Ohio und in San Francisko, knüpfte man das Fest an einen andern deutsch-amerikanischen Gedenktag. Aber auch hier trug die Feier denselben Charakter, den ihr der gemeinsame große Zweck und die einmüthige Begeisterung an allen Orten aufdrückte. Und die echt deutsche Kunst, frohe Feste zu feiern, sorgte überall dafür, daß der Tag erhebend und eindrucksvoll verlief.

Natürlich gestaltete sich die Feier am großartigsten da, wo das Deutschthum zu vielen Tausenden vertreten ist, in Städten wie Baltimore, St. Louis, Milwaukee, Kansas City, Detroit u. a. An vielen dieser Orte ruhten für den Festtag die Geschäfte, die Straßen prangten in herrlichem Fahnen- und Blumenschmuck, und Tausende und Abertausende von Zuschauern sahen die geschmackvoll geordneten, imposanten Umzüge vorüberziehen. Wo es nicht gerade, wie diesmal in St. Louis, auf eine Massenparade abgesehen war, da hatte man weder Mühe noch Kosten gescheut, um glänzende historische Festzüge zu schaffen, die Scenen aus der Geschichte und dem Leben der Deutsch-Amerikaner zur Darstellung brachten. Vielleicht war der historische Festzug, den das kunstsinnige Deutschthum Milwaukees ausschmückte, das Vollendetste in dieser Beziehung. Doch auch da, wo man auf einen größeren Umzug verzichtete, fehlte doch das nicht, was bei allen Feiern in den verschiedensten Städten den Höhepunkt bildete: der mit Gesang und Musik begleitete Redeakt. Nur die größten Theater und Hallen reichten aus, um die Festtheilnehmer zu fassen, an den meisten Orten waren die Stadt- und Staatsbeamten erschienen, und in allen deutschen und englischen Festreden klang die schöne Begeisterung wieder, die an dem Tage das Deutschthum der Vereinigten Staaten wie nie zuvor vereinigte.

Schwer läßt sich die weitgehende Wirkung ermessen, die von dieser gewaltigen und doch so friedlichen Kundgebung ausging. Für die Deutschen Amerikas bedeutet die Feier, die wohl in Zukunft ein allgemeines jährliches Volksfest im schönsten Sinne werden wird, den Anbruch eines neuen Lebens, das seine Kraft aus dem Bewußtsein der errungenen Einheit zieht. Nur zu viele unserer Landsleute sind im Laufe der Jahrhunderte ins andere Lager übergegangen und haben das Andenken an ihren deutschen Ursprung nicht einmal in ihrem Namen bewahrt. Aber mit der Erinnerung an seine amerikanische Vergangenheit erwacht dem Deutschen auch das Bewußtsein an die hohen Kulturgüter, die er in Sprache und Sitte als heilig anvertrautes Erbe aus der deutschen Heimath mitgebracht hat und die in der neuen Heimath zu pflegen, zu erhalten und auszubreiten seine große Aufgabe ist. Denn als Sohn eines Volkes, dem die geistige und heute auch die politische Führerschaft der Welt zugefallen ist, tritt er in Amerika einer Kultur gegenüber, die an deutschem Geistesleben auf allen Gebieten sich zu bilden in ihren besten Vertretern bemüht ist. Wo aber im Deutsch-Amerikaner dies stolze Bewußtsein lebendig ist, da wird er ebensowenig bereit sein, seine Nationalität mit Sprache und Sitte von sich zu werfen, als sie von nativistischer Anmaßung sich rauben zu lassen.

Ja, an dem „Deutschen Tage“ war es auch in Amerika „ein Fest, Deutscher mit Deutschen“ zu sein. Die großartige Feier klang wie eine Antwort auf den prophetischen Willkommgruß, den Franz Daniel Pastorius vor zwei Jahrhunderten den kommenden Geschlechtern seines geliebten Volkes zurief und dessen lateinische Schlußworte lauten: „Vale posteritas! Vale Germanitas! Aeternum vale!“ was in freier deutscher Uebersetzung etwa heißt: „Sei mir gegrüßt, Geschlecht der Enkel! Sei mir gegrüßt, du Deutschthum! Sei mir gegrüßt auf ewig!“

New-York. Julius Goebel.




Bellamys Zukunftsstaat.

[„]Ein Rückblick aus dem Jahre 2000 auf 1887“ – „nach dem 301. Tausend der amerikanischen Originalausgabe“.[1]

Wäre der Ruf des Buchs nicht seiner Uebersetzung längst vorausgeeilt, der erste Eindruck dieser Ankündigung müßte der einer riesenhaften Reklame sein, würdig, die Eifersucht eines Barnum herauszufordern. Wie Edward Bellamys „Looking backward“ aber thatsächlich beschaffen ist, so gehört die Mittheilung seiner unmittelbaren Wirkung zur wesentlichen Kennzeichnung des Buchs. Sie sagt uns: dieses Buch begegnet sich mit dem Interesse von Hunderttausenden, es ist ein Erlebniß unserer Zeit, ein Ausdruck ihrer gährenden Ideen, ein Spiegelbild der sich in ihr bekämpfenden Hoffnungen und Wünsche wie kaum ein anderes. Wie dies geschieht, deutet der Titel an: in Form einer Prophetie, die uns ausmalt, welche Zustände im Jahre 2000 an die Stelle der unseren getreten sein werden. Das ist zugleich Sozialkritik und Sozialpoesie. Und in dieser Verbindung, zeitgemäß wie sie ist, gleichzeitig an die Befürchtungen und Hoffnungen, an die Unzufriedenheit mit der Gegenwart und die Zukunftsideale unzähliger Zeitgenossen sich knüpfend, liegt das Geheimniß des unerhörten Erfolgs.

Wer nähme heute – sei’s in Amerika oder in Europa – nicht Antheil an den großen Fragen nach der Möglichkeit eines Ausgleichs der sozialen Gegensätze, welche den Kampf der Interessengruppen in der modernen Gesellschaft von Jahr zu Jahr zu einer immer gefährlicher werdenden Gluth entfachen? Im Fürstenschloß, in der Bauernhütte, beim schwirrenden Triebrad unserer Industriestätten wie beim leisen Geräusch der schreibenden Feder im stillen Studierzimmer des Gelehrten, überall findet diese größte Frage des menschlichen Fortschritts ihren Widerhall. „Was will das werden?“ fragt, besorgt in das Wirrsal der sich bekämpfenden Interessen schauend, der berufene Deuter der Zukunft, der Dichter. „Nach uns die Sündfluth,“ antwortet kalten Blicks der durch Materialismus und Selbstsucht verhärtete Vertreter der frivolen Genußsucht. „Die Herrschaft des Proletariats – unsere Herrschaft, wenn ihr am Laternenpfahl hängt,“ erwidert grimmig der Anarchist. „Die Auflösung aller staatlichen Ordnung, ein wilder Verzweiflungskampf aller gegen alle,“ sagt, trüben Sinnes ins Weite schauend, der schwarzsichtige Zweifler. Jeder Sozialphilosoph antwortet mit einer anderen Formel, die wohl Begriffe, aber keine sinnliche Anschauung der Zukunft vermittelt; jeder Sozialdemokrat mit Forderungen,


  1. Leipzig, Druck und Verlag von Philipp Reclam jun.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 850. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_850.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2022)
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