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Seite:Die Gartenlaube (1890) 852.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Die Schlaraffengesellschaft.

Von Schmidt-Weißenfels. Mit Zeichnungen von Werner Zehme.

Von allen Gesellschaften unterhaltenden Zwecks ist die „Schlaraffia“ die einzige, welche eine über die ganze germanische Welt, also außer dem Deutschen Reiche auch über Oesterreich-Ungarn, die Schweiz und Nord-Amerika sich verzweigende Ausdehnung gefunden und durch die Einheit ihres Charakters wie ihrer Gesetze eine eigenartige Bedeutung gewonnen hat. Denn nicht bloß die Lust an fröhlicher, künstlerisch gehobener Geselligkeit führt die Mitglieder zusammen, die, mehr als dreitausend an der Zahl, in fünfundneunzig Städten ihre Sitze, ihre „Burgen“, haben, sondern sie haben sich auch höhere Ziele gesteckt: die Ausbildung eines hilfbereiten Gemeingeistes und jenes ritterlichen Sinnes, der über alles Gemeine und Niedrige erhaben ist. Der rechte Schlaraffe soll in seinem bunten Schalksordenskleid sich äußerlich der profanen Welt und ihrem Getriebe wie völlig entrückt, als dreihundert Jahre vor ihr geboren wähnen und mit warmem Herzen edlem Menschenthum sich widmen.

So war es gemeint und wurde es gehalten in dem kleinen Kreise, der sich einst in zwangloser Geselligkeit beim Hopfentrank aus Pilsen in Prag zusammenschloß, und so ist es geblieben in dem jetzt über zwei Erdtheile sich erstreckenden Schlaraffenreich mit seiner in die Tausende angewachsenen Mitgliederschar.

Sagenhaft schon ist der Anfang dieser Schöpfung geworden. Keine Chronik vermöchte ganz zuverlässig einen einzelnen als ihren einzigen Urheber zu bezeichnen. Zumeist waren es Mitglieder des Prager Landes-Theaters, die zuerst am 10. Oktober 1859 nach der Vorstellung auf Verabredung in einer Bierwirthschaft zusammenkamen und in lustigen Einfällen sich vergnügten. Damals besaß jene Bühne unter ihrem Direktor Thomé einen stattlichen Bestand an jungen, aufstrebenden Talenten, von denen mehr als eines später zu Ruhm und schönen Erfolgen gelangt ist. Diesem jungen Volk, bei dem theilweis lieb gebliebenes Studententhum mit künstlerischer Genialität sich versetzte, war das Kneipen helle Lust, und jugendlicher Uebermuth suchte ihm einen idealen Zug zu geben. So entstand dort, was eine so große, ungeahnte Zukunft haben sollte.

Um dieselbe Zeit hatte sich in Prag ein ästhetisch-litterarischer Verein unter dem Namen „Arcadia“ gebildet, dem auch mehrere Angehörige des Theaters beitraten. Als aber einmal ein neu angemeldetes Mitglied bei der Ballotage abgelehnt wurde, erklärten in kollegialischem Ehrgefühl die schon aufgenommenen ihr Ausscheiden aus dieser Gesellschaft. Trutziglich beschlossen sie, aus der erwähnten lustigen Kneipverbrüderung eine freie Künstlervereinigung zu machen. Ihr Theaterdirektor schloß sich an und zog einen weiteren Theil seines Personals an sich; ebenso wurden neue Mitglieder aus anderen Berufskreisen gewonnen. Die auf solche Weise stattlich verstärkte Gesellschaft taufte sich in absichtlicher Herausforderung gegen die so wählerischen Arcadier unter großem Jubel „Schlaraffia“ und nahm sogleich den Umzug in ein anderes geräumigeres und besser geeignetes Lokal vor, bei welchem schon schlaraffischer Spaß genugsam in Scene gesetzt wurde.

Ahalla.

Toller als zuvor sprudelte es nun von Witz und Humor in dieser Gesellschaft. Mit Feuereifer sorgten einzelne immer an den Abenden der Zusammenkünfte für künstlerisch gehobene Unterhaltung. Die vom Orchester spielten auf, die von der Oper ließen sich in Gesängen hören, die vom Schauspiel gaben Vorträge zum besten; in fröhlichem improvisirten Zusammenwirken wurde manch Possenspiel getrieben, das mehr und mehr stehende Bedeutung bei bestimmten Veranlassungen und sinnbildliches Gepräge annahm. Im Grunde lief es auf eine Verspottung der Eitelkeiten und Lächerlichkeiten dieser Welt durch einen feierlich närrischen Kultus derselben hinaus. Daher die Einführung eines höchst pomphaften Ceremoniells, das namentlich bei der Aufnahme neuer Mitglieder und bei Ertheilung des Ritterschlages zur Geltung kam. Ein mittelalterliches Kauderwelsch bildete sich für verschiedene Bezeichnungen von Dingen und Handlungen aus, Gruß, Beifalls- und Zutrunksruf lauteten anders als bei den gewöhnlichen Menschen. Dazu trat ein komischgravitätisch sich bewegendes, mit Schalksmütze stolzirendes Ritterthum, sich spreizender Hofwürden- und Reichsambtsdünkel, unfehlbarer Despotismus des Oberschlaraffen als des erwählten primus inter pares und demüthig ehrfurchtsvoller Gehorsam seiner Reichsunterthanen, die er zum Besten des Schatzes in Geldstrafen nehmen oder ins schauerliche Burgverließ zu Unken und Ratten werfen lassen konnte. Der Uhu wurde als mächtiger und kluger Wächter, auch als Bote der göttlichen Minerva, zum Schutzpatron erkoren und in ausgestopfter Leibhaftigkeit auf hohem Throne zur unbedingtesten Verehrung aller Genossen und Pilger (das waren die eingeführten Gäste) aufgestellt, später sogar eine Zeitlang durch einen lebendigen ersetzt. Ihm galt der erste „Lulugruß“ gleich beim Eintritt in die „Burg“, den Gesellschaftssaal. Als bösem Geist, der Uhus Dienst zu stören trachte, gab man einem Pokal den Namen „Oho“, und sowie er sein unheilvolles Wirken spüren ließ, beschwichtigte man ihn durch Trankopfer. Chorgesänge wurden gedichtet und komponirt, deren frische Ursprünglichkeit und melodische Eigenart noch heute in allen „Burgen“ weit und breit ihren bestrickenden Zauber ausübt.

Der Corpsgeist, welcher gegen die Arcadier die Trutzschlaraffen hatte erstehen lassen, kräftigte sich durch alle diese heiteren Thaten und Genüsse; er bewirkte eine Brüderlichkeit der Gesinnung, die, wie dreißig Jahre es bewiesen haben, nicht von rasch verrauschender, phrasenhafter und schnell in Ernüchterung verfallender Flüchtigkeit war, sondern sich auch in fördernden und manchmal rettenden Beistand goldrein bewährt hat. Daraus ergab eine hingebende Liebe der Prager Schlaraffen an ihre Schöpfung und ein gerechtfertigter Stolz auf ihre Schalksritterschaft.

Die Verneigung des „einreitenden“ Schlaraffen vor dem Uhu.

Im Anfang des Jahres 1861 hatte eins ihrer Mitglieder den ernsten Einfall, all dies Treiben und den Sinn des Schlaraffenthums in die regelrechten Formeln eines Reichsstatuts, eines „Spiegels“, zu fassen, und mit dessen Annahme erhielt die Schlaraffia ihre stehende Organisation und trat in ein gefestetes Vereinsverhältniß. Im wesentlichen ist dies Statut bis heute maßgebend für alle Erweiterungen geblieben, welche die Gesellschaft erfuhr.

Dasselbe Mitglied der „Praga“, wie sich im besonderen die Schlaraffia jener Stadt nannte, rief dann nach seiner Uebersiedelung nach Berlin daselbst im Oktober 1865 eine neue Schlaraffia ins Leben, deren Verfassung es nach den Grundsätzen der Prager ausarbeitete, wenn auch in anderen Formen der Regierung. Es gab daher in der „Berolina“ anstatt dreier erwählter Oberschlaraffen einen „Mikado“ als persönlichen Vertreter aller Weisheit in den „Sippungen“, d. h. den immer parlamentarisch geleiteten geselligen Zusammenkünften, und einen natürlich allmächtigen Reichskanzler in der japanischen Benamsung eines „Taifun“; als Abzweigung der Prager Schlaraffia, als mit ihr eins, konnte die Berolina damals nicht angesehen werden, da überhaupt an eine Verbreitung des Schlaraffenthums als einer einmüthigen Genossenschaft

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verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1890, Seite 852. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_852.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)
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