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Seite:Die Gartenlaube (1890) 865.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

größeren Gemeinden freiwillige Hilfskräfte heranzuziehen, Leute, die womöglich über freie Zeit verfügen, die vermöge ihrer Bildung dazu befähigt sind, den Zweck der Zählung richtig zu verstehen, die Formulare richtig anzuwenden und die richtigen Fragen zu stellen. Denn es ist gar nicht immer so leicht, den Zählkommissar zu spielen. Er hat mit gar viel Unklarheit, Unverstand, ja nicht selten geradezu mit bösem Willen zu kämpfen; wenn so ein gut gekleideter, „herrisch" aussehender Eindringling in die Hinterhäuser und in die Dachstuben kommt, zu den Armen und Gedrückten, da begegnet er oft dem bittersten Argwohn. „S’ ist ja doch bloß wieder wegen der Steuer" denkt der und jener, und es bedarf umständlichen Zuredens und Beschwichtigens, bis endlich die nöthigen Angaben zögernd und vorsichtig gemacht werden.

Nun, so gefährlich steht es nicht in dem Hinterhause, in welches unsere Skizze uns einen Blick thun läßt. Hier ist der selbstlose Herr, der sich als Zählkommissar hergegeben hat, lediglich Gegenstand einer kindlichen Neugierde. Ja, fast will es scheinen, als ob der Herr Kommissar seine Arbeit in diesem Falle ganz interessant fände, als ob er sich gar nicht übermäßig beeilte, mit seinem Auftrag zu Ende zu kommen, und recht gerne die liebliche junge Frau weiter examinirte, die, ihr Jüngstes auf dem Arme, ihm kurz und sachlich Auskunft giebt. Er ist wohl noch nie mit den Menschen dieser Volksschichte in Berührung gekommen, kennt sie nur vom Hörensagen und hat sich kein besonders günstiges Bild von ihnen gemacht. Nun ist er eingetreten in diese bei aller Enge doch saubere Stube, sieht das trauliche Zusammenleben der drei Generationen, bemerkt mit Freuden die manierlich erzogenen Kinder und bewundert den ruhigen Anstand der jungen Mutter – und für seinen ausgefüllten Fragebogen, für seine Zahlen und Vermerke, die er mitnimmt, hat er etwas zurückgelassen in dem schlichten Hinterhause – ein Vorurtheil.


Das Haus „Zum Kaffeebaum“ in Karlsbad nach seiner Zerstörung durch die Wasserfluthen.
Nach einer Photographie im Verlag von Hans Feller in Karlsbad.

Ueberschwemmungen. Der Winter brach in diesem Jahre mit einem Wettersturz herein, der im Gedenken vieler Menschen als eine Zeit des Schreckens und der Trauer sich eingraben wird. Heftige, andauernde Regengüsse und in der Nacht vom 23. zum 24. November ein gewaltiger Föhnsturm führten Hochwasser fast in ganz Mitteleuropa herbei und besonders der Rhein und Main, die Moldau und die Elbe traten verheerend über ihre Ufer, brachten Jammer und Elend über viele Tausende von Familien und begruben Millionen von Werthen in ihren schlammigen Fluthen. Unter all diesen grausigen Verwüstungen haben in hervorragender Weise die, welche Karlsbad betrafen, die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt; nicht, daß die Stadt der berühmten Ouellen am meisten zu leiden gehabt hätte – Barmen, Kösen u. s. w. haben vielleicht ebenso schwer gelitten – aber Karlsbad ist ein weltbekannter Ort, seine Straßen und Anlagen an der Tepl, jedes der alten gemüthlichen Häuser in der Nähe des Sprudels des Mühl- Markt- und des Theresienbrunnens, die Kaffeehäuser der „Wiese“ sind Hunderttausenden von Kurgästen vertraut und lieb geworden, all diese Oertlichkeiten umschweben sicher so mancherlei Erinnerungen unzähliger dankbarer Patienten, daß es wohl gerechtfertigt ist, wenn wir an diesem sozusagen klassischen Punkt die furchtbaren Wirkungen des rasenden Elementes unsern Lesern zeigen, zumal wir durch die Liebenswürdigkeit eines Freundes der „Gartenlaube“ in der Lage sind, an der Hand von Photographien unsere Leser mitten in die Greuel der Zerstörung hineinzuversetzen.

Die Ueberschwemmung in Karlsbad.
Die punktirte Linie giebt die Grenze des höchsten Wasserstandes beim Haus „Zur Stadt Hamburg“ an.
Nach einer Photographie im Verlag von Hans Feller in Karlsbad.

Wer in Karlsbad gewesen ist, weiß, daß die Tepl ein kleines harmloses Flüßchen ist, welches, eingeengt zwischen Wassermauern, Quais und meist alten Häusern, sich durch die Stadt windet. Am Montag den 24. November strömten plötzlich die Fluthen dieses Wasserlaufs mit rasender Gewalt drei Meter hoch durch die Marienbaderstraße, die alte und neue Wiese, den Marktplatz, die Mühlbadgasse, Sprudelgasse, Kaiser- und Egerstraße, überschwemmten den Quai und richteten fürchterliche Verheerungen an. Ein reißender Strom ergoß sich sozusagen mitten durch den Kern, den belebtesten, mit Geschäften erfüllten Theil, der Stadt, Thüren und Läden eindrückend, in die Häuser dringend und aus diesen fortschwemmend, was in sein Bereich kam. Die schwersten Möbel, Betten, Haushaltungsgegenstände wurden hinausgerissen, fortgetrieben, Brücken und Stege, Wassermauern und Quaianlagen stürzten in die schwarze tobende Fluth. – Nachdem die eiserne Sophienbrücke den rasenden Wassern zum Opfer gefallen, strömte die Fluth ungehemmt auf das Haus „Zur Stadt Hamburg“ zu – dessen Grundmauern sie unterwusch – man erwartete jeden Augenblick dessen Einsturz, und mit unsäglicher Mühe gelang es, die gefährdeten Einwohner zu retten – das allbekannte Haus „Zum Kaffeebaum“ an der Kreuzgasse stürzte unter furchtbarem Krachen zusammen. Vom Goethedenkmal, dieser Zierde Karlsbads, wurde die schwere Marmorbüste herabgeschleudert. – In den berühmten Puppschen Verkaufsläden stand das Wasser mannshoch – genug, es war für die Karlsbader ein Augenblick, als sollte die Welt untergehen. Ein besonders tragischer Zug kam in die Katastrophe dadurch, daß der Bürgermeister Knoll beim Beaufsichtigen der Rettungsarbeiten angesichts eines mit den Wogen ringenden Mannes vom Schlage gerührt wurde und sofort verschied. Schwer hat der weltberühmte Badeort gelitten, aber das Kostbarste, was er besitzt, – die Quellen, sind von der Verheerung völlig unberührt geblieben.


Vom Weihnachtsbüchertisch. Prachtwerke. Es herrscht in diesem Jahre nicht gerade Ueberfülle auf dem Gebiete der Prachtwerke, und das ist vielleicht ganz gesund; denn naturgemäß ist die Aufnahmefähigkeit des Publikums für solche theureren Werte nicht so groß wie für gewöhnliche Bücher in schlichtgediegener Ausstattung.

Eine der reizendsten Neuigkeiten ist „Allerlei aus A. Hendschels Skizzenmappen" (M. Hendschel, Frankfurt a. M.). Wer kennt sie nicht, die reizenden Hendschelschen Zeichnungen, diese fein hingestrichelten bald rührend anmuthigen, bald urkomischen Gestalten und Figürchen, wie sie nur der geborene Humorist herausfindet aus dem wirren Treiben des Alltagslebens! Seit Jahren schon waren die photographischen Nachbildungen dieser Hendschelschen Skizzen das Entzücken des Kunstliebhabers, aber die Blätter waren zu kostbar, als daß viele sie sich zu eigenem Besitze hätten erwerben können. Erst die Vervollkommnung des Lichtdruckverfahrens hat es möglich gemacht, billigere Ausgaben zu veranstalten, und so sind in den letzten Jahren nacheinander drei schöne Bände voll solcher Lichtdruckwiedergaben „Aus A. Hendschels Skizzenbüchern" erschienen.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 865. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_865.jpg&oldid=- (Version vom 9.2.2023)
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