Verschiedene: Die Gartenlaube (1890) | |
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Halbheft 28. | 1890. | |
(Schluß.)
In Reginalds Schlafzimmer standen die Fensterflügel weit geöffnet,
und der Mond sah herein; ruhig schwamm seine Silbersichel
im duftigen Gewölk des Nachthimmels, und ein Heer von
Sternen flimmerte um ihn her. Die Luft ging still – kein Laut ertönte
in der Sonnenwendnacht! –
Angesichts dieses tiefen Friedens ging es wie ein Sturm über des Mannes Seele. Nein, selbst der ungewohnte Genuß des Weines hatte es nicht vermocht, ihm Vergessenheit zu bringen. Die bis aufs äußerste erregten Nerven arbeiteten dem Einfluß des Weins entgegen und hoben seine Wirkung auf. Nicht betäubt und gedämpft – doppelt scharf und angespannt war sein Empfinden, keine Spur von Müdigkeit oder Verlangen nach Ruhe war über ihn gekommen, sein Gefühlsleben war wacher, thätiger denn je zuvor in ihm.
Er hob seine Augen auf zu dem Wunderwerk des nächtlichen Himmels. Von diesen Höhen war ihm bisher immer noch Trost und Frieden gekommen – aber seine Seele lag heute wie gelähmt in ihm, es war, als seien ihr die Flügel gebrochen, die sie sonst willig und sicher emporgetragen hatten.
Wenn er gewußt hätte, wo Recht und Pflicht für ihn lag – er würde nicht feig gezögert haben, sie auszuüben, gleichviel, was es ihn kostete. Aber dies wußte er nicht! Es war eine Stimme in ihm, die sagte: „Geh’ hin, lebe dein Leben weiter und schweige! Zerstöre nicht zwei liebenden Menschen ihr Lebensglück! Juristisch ist das Verbrechen verjährt, kein irdischer Richter der Welt würde heute mehr das Schuldig über den gereiften Mann aussprechen, der als jähzorniger Jüngling vor nahezu zwanzig Jahren die rasche That verübte. Und es war ja kein wohlüberlegter Mord, den er begangen hatte, nicht mit kaltem Blut hatte er ihn geplant. Nein! Im wilden Zorn gegen den Unmenschen, der die Armuth unterdrückte und zu seinen Zwecken ausnutzte, der seinen Vater zum unglücklichen Mann gemacht, dessen Familienleben vergiftet hatte und nun auch noch zum Uebermaß die abgöttisch geliebte Mutter hilflos in Krankheit und Entbehrung ließ, hatte der leidenschaftliche junge Mann auf seine Weise Gerechtigkeit geübt und ein Geschöpf aus der Welt geschafft, dessen Thaten eine ganz andere Strafe verdient hätten, als einen raschen, plötzlichen Tod!“ –
„Wenn es auch so
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 869. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_869.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2021)