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Seite:Die Gartenlaube (1891) 002.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

beschreibender Seelenstimmung ziel- und planlos im Walde umher, hatte mir ein Gewehr des Försters geborgt, und als ich an einer, wie ich glaubte, sehr einsamen Stelle war, setzte ich den Lauf gegen die Brust und drückte ab. Ich schoß mich – nicht todt, wie ich gehofft hatte, aber doch recht krank.

Nun kommt die bekannte Geschichte von Bewußtlosigkeit, von Wiedererwachen in einer traulichen Stube, von einer holdseligen Pflegerin am Bette, in die man sich von rechtswegen verliebt und die man dann später heirathet. Und bis auf das Verlieben kam es auch wirklich so. Als ich nach langem Siechthum zum ersten Male – es war April geworden – in den Garten des Herrn Hüttenbesitzers Frey hinunter ging, fragte ich Fräulein Anna Frey oder ‚Antje‘, wie sie genannt wurde – die Mutter ist Holländerin von Geburt – ob sie mich armen Kerl wohl nehmen würde, und sie that es ohne Besinnen. Was sie dazu bewogen hat, ist mir bis heute noch nicht ganz klar geworden. Ich war dazumal, weiß Gott, kein irgend wie verlockender Freier, von Liebe habe ich ihr auch nichts vorgeredet, und dennoch sagte sie Ja, trotzdem beide Eltern unverkennbar lange Gesichter zu der Wahl ihres Kindes machten.

Wir waren kaum verheirathet, noch auf der Hochzeitsreise, als ihr Vater starb. Sie wäre nun am liebsten bei ihrer Mutter auf dem einsamen Hüttenwerk geblieben, wo Tag und Nacht die Hämmer pochten; sie meinte, die Mutter würde uns dort gern eine lauschige Villa in den Wald hinein bauen, von wo Antje in vier bis fünf Minuten das Vaterhaus erreichen könnte. Selbstverständlich wollte ich das nicht – es graute mir vor dieser schwiegermütterlichen Idylle, und so ließ sie denn die stattliche Mutter allein in der Heimath, denn diese hatte sofort nach dem Tode des Gemahls mit kräftiger Hand die Zügel des großen Geschäftes ergriffen und leitete dasselbe ebenso gewandt und sicher wie ihr Seliger. Antje aber zog mit mir aus, ein neues Heim zu suchen.

Wir fanden es hier in der nächsten Umgebung Dresdens. Es ist ein stattliches altes Gebäude am Fuße der Weinberge, doch immer noch hoch gelegen über der Elbniederung, inmitten eines großen parkartigen Gartens. August der Starke hat es einst erbaut, um einer seiner Damen ein Geschenk damit zu machen; ‚Sibyllenburg‘ heißt die Besitzung. In dem obern Saal – er war schuld, daß wir dieses Nest kauften - habe ich mir ein Atelier eingerichtet, das auch dem verwöhntesten Künstler genügen würde; es durchmißt die Tiefe des ganzen Hauses und ist getheilt durch einen großen Smyrnavorhang. Am Nordfenster steht meine Staffelei; an der offnen Balkonthür gen Süden mein Schreibtisch, und hebe ich den Blick, so sieht mein Auge über das terrassenförmig abfallende Vorland, über Landhäuser, Dörfer und grüne Felder hinweg zu den Bergen jenseit der Elbe; nach rechts bis dorthin, wo die Albrechtsburg sich über Meißen erhebt, nach links bis zu den Thürmen Dresdens. Will ich in die Residenz, so lasse ich anspannen oder fahre mit einem der Kurierzüge, die im Dorfe halten müssen, weil die Verbindung – –

Aber, mein Gott, ich vergesse Dein Hauptanliegen – ja, es ist dick unterstrichen in Deinem Briefe: ‚Vor allem erzähle mir von Deiner Frau!‘

Alter Junge, wie soll ich das anfangen, ohne, ehrlich gesagt, langweilig zu werden? Du fragst: ‚Ist sie eine von den schlanken, kapriciösen, temperamentvollen Frauen, die Du so sehr bevorzugtest, als wir noch Berlin unsicher machten?‘ Nein, Wolf, nein! Sie ist nicht brünett, sie ist blond, goldblond, wie Tizian das Frauenhaar so gern malte; sie ist groß, aber – ‚wie die Palme windgebogen?‘ O nein! Viel eher wie eine kraftvolle junge Buche in ihren heimathlichen Wäldern; man würde sie, ohne ihr zu schmeicheln, eine hübsche stattliche Frau nennen können. Sie hat zu ihrer Größe einen zierlichen runden Kopf, ein volles Gesicht mit kurzem geraden Näschen, einen rothen Mund, den sie sehr oft zu schließen vergißt, was ihr den Ausdruck kindlicher Verwunderung giebt, und ein Paar klarer grünlichbrauner Augen. ‚Nixenaugen‘ nennt man solche; sie können still und unergründlich unter den langen dunklen, etwas nach oben gebogenen Wimpern hervorsehen. Aber Wolf, Du bist mein ältester und bester Freund, Dir darf ich es sagen, diese Unergründlichkeit trügt – es ist nur seichtes Wasser. – – –

Ich mache da eine ganze Reihe Gedankenstriche, wie soll ich es nur aus der Feder bringen? Von Temperament, Wolf, nicht eine Spur! Ich muß es leider eingestehen, sie ist eine unbedeutende Frau.

Ich will Dir ein Pröbchen erzählen: Auf der Hochzeitsreise waren wir in Haarlem, dem Geburtsort ihrer Mutter. Antje strahlte vor Entzücken, das hochgieblige alte Haus am Markt, in dem die ehrenwerthe Dame das Licht der Welt erblickt hatte, nach der Beschreibung richtig gefunden zu haben. Sie wäre am liebsten hineingegangen und hätte die braven Leute, die dort innen beim Mittagessen saßen, gebeten, ihr die Besichtigung sämmtlicher Säle und Zimmer zu gestatten. Ich mußte fast Gewalt anwenden, um sie fortzubekommen, indem ich sagte: ‚Komm, Kind, mich zieht’s vor allem zu Franz Hals.‘ – Sie sah mich mit offenstehendem Mündchen an. ‚Franz Hals?‘ fragte sie endlich, ‚wer ist das? Wo wohnt er? Ich wußte gar nicht, daß Du hier einen Bekannten hast, Leo.‘

Ich kann Dir nicht beschreiben, Wolf, wie mir war in jenem Augenblicke! ‚Das ist die Frau eines Malers, deine Frau!‘ sagte ich mir. Ich glaube, ich wurde heftig, ich beschämte sie über ihre Unwissenheit, sagte ihr, ich begriffe nicht, daß sie den Namen eines der gottbegnadetsten niederländischen Künstler nicht kenne, da sie doch holländisches Blut in ihren Adern habe! Sie folgte mir stumm und niedergeschlagen und trat pflichtschuldigst ebenso stumm neben mir vor die wunderbaren Bilder, um mich hinterher leise zu fragen. ‚Sind sie wirklich so schön, diese Gemälde?‘

Barmherziger! Wolf, ich war ganz geknickt. Und so ist’s in allem. Ich rede sie an, bei Tische zum Beispiel – sie schlägt die unergründlichen Augen auf und fragt: ‚Wie sagtest Du, Leo?‘ Ich wiederhole meine Worte – ‚So? Das weiß ich nicht.‘ Oder ‚Ach!‘ oder, was noch schlimmer ist, sie will auf das angeregte Gespräch eingehen, wird roth, stottert, verwechselt die Begriffe und nöthigt mir endlich krampfhaft eine allerdings prächtig zubereitete Schüssel auf, denn Kochen und Haushalten, Freund, das versteht sie meisterhaft.

Du sagst vielleicht: ‚Das ist doch schon etwas, und zwar etwas Gutes.‘ Aber, von meiner Gefährtin verlange ich mehr. Sie soll mich in meinem Berufe verstehen, und doch ist, wie Du schon aus alledem ersehen kannst, keine Möglichkeit, mit ihr über Kunst zu reden. Das arme Kind ist ganz entschieden farbenblind, sie verwechselt van Eyck und van Dyck, spricht vom Lackiren der Oelbilder, ich bekomme Beängstigungen, werde unangenehm, sie weint und verläßt das Zimmer und wir versöhnen uns endlich an der Wiege unseres Töchterchens, das genau mit den nämlichen Augen in die Welt guckt, genau das Mündchen so aufsperrt und, leider, genau so ‚einfach konstruirt‘ zu sein scheint wie seine Mama.

Ich sagte vorhin, sie weint nach solcher Srene – sie weint aber auf ihre Art. Sie schließt dann den Mund, seine Winkel senken sich, zucken, und urplötzlich hängen an den krausen Wimpern zwei große Tropfen; man begreift gar nicht, wie dieselben so rasch dahingezaubert wurden. Kein Zug ihres Gesichtes verändert sich sonst, sie ringt nicht die Hände wie andere, sie schluchzt nicht laut, kein Taschentuch wird zum Auswinden naß, sie tritt nicht mit den Füßen auf, wirft sich nicht in einen Stuhl, sie stößt auch keine Vase vom Tisch – es geht alles mäuschenstill ab. Nie werden die Dienstboten etwas von einem Zwiste gewahr, aber – bei Gott, mir wäre etwas anderes lieber!

Mit einem Worte, Wolf, ich wählte sie ja in kopfloser Eile, um mich zu retten, ich bin in jeder Weise ihr Schuldner. Ich verkenne ihre guten Eigenschaften durchaus nicht, und doch – es ist schwer!

Du fragst mich, ob ich Maler geblieben sei? Ja! – Und ob ich glücklich dabei sei? – Das ist schwer zu beantworten. Ich bin gewiß, ich hätte meinen Weg gemacht, wenn nicht meine Frau – ich will es Dir erklären: Ich weiß ja, Wolf, Du hast immer nichts wissen wollen von meinem Beruf, Du hast mir einmal in einer ernsten Stunde, die fast das Band unserer Freundschaft zerrissen hätte, herbe Worte gesagt; Du meintest, ich würde es nie über einen gewissen Dilettantismus hinausbringen. Ich sollte mein Talent nur dazu verwerthen, um mir, neben einem andern soliden Beruf, der mich ernährte und befriedigte, Erholung zu suchen, das wäre das Rechte. – Ich weiß es noch so genau, hundertmal habe ich daran gedacht bei meinen Mißerfolgen. Aber glauben kann ich dennoch nicht daran, und so habe ich denn weiter gemalt. Einmal gelang mir auch ein glücklicher Wurf, ich verkaufte das Bild der rothhaarigen Wäldschönheit unter dem Titel: ‚Brockenhexe‘ und erlebte die Freude, es gut kritisirt zu sehen. Aber seitdem? Ich malte nach wie vor, ich malte Genrebilder und malte Landschaften, niemand wollte die armen Dinger kaufen, obgleich tausendfach geringere Leistungen an den Mann kommen. Niemand

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_002.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)
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