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Seite:Die Gartenlaube (1891) 007.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Besitz des auf Kranz lautenden Dienstbuchs gekommen war, das er wohlüberlegt am Orte der That zurückließ, um den Verdacht von sich ab auf den im Buche beschriebenen Inhaber zu lenken. Damit war zugleich erklärt, wie die Frau Blout und die andern Zeugen einen der beiden Fremden für Kranz halten konnten, da er den Anzug des Kranz angezogen hatte. Aber der hanfene Strick? Kranz behauptete, daß er den bei ihm vorgefundenen Hanfstrick in der Nähe eines Tabakladens in der Commerce-Street in London gefunden habe. Man untersuchte den Ort und bemerkte, daß neben dem Laden sich eine Seilerwerkstatt befand, aus welcher die Frau Blout in Wegby ihre hanfenen Stricke bezog. Man fand auch Theile solcher noch im Hofe und auf der Straße. Die Opernsängerin – es war Frau Jenny Lind-Goldschmidt – erklärte, daß ein Deutscher ihre Hilfe angegangen habe, um sich Empfehlungen zu verschaffen, aber die Beschreibung desselben paßte nicht auf Kranz. Durch Schriftenvergleichung wurde endlich festgestellt, daß die Unterschrift „Adolf Mohn“ nicht von Kranz herrührte. Nun war der Entlastungsbeweis geführt und Kranz wurde vom Schwurgericht freigesprochen. Fürwahr ein grausames Schicksal, das einen Menschen seiner Legitimationspapiere beraubte und sie in die Hände eines Mörders spielte, das diesem Mörder durch die gestohlenen Kleider soviel Aehnlichkeit mit jenem Unschuldigen verlieh, daß Zeugen beide verwechseln konnten, und das den Ahnungslosen auch noch in den Besitz der nämlichen Gattung eines Stricks versetzte, deren sich der wirkliche Mörder bedient hatte.

Von einem ähnlichen Schicksale wurde ein italienischer Matrose bedroht, der einem andern sein Messer kurz vor einer Schlägerei geborgt hatte. Die letztere fand in einer Hafenwirthschaft in London bei ausgelöschten Lichtern statt und endete damit, daß einer der betheiligten Matrosen erstochen wurde. Das Messer, welches ihm noch in der Brust stak, wurde bald als das jenes Italieners erkannt und dieser verurtheilt. Der richtige Mörder war inzwischen entflohen. Nur den opfervollen Bemühungen eines wohlhabenden Landsmannes des Italieners gelang es, den Flüchtigen ausfindig zu machen und zu einem Geständnisse zu vermögen. Das Urtheil über den vermeintlichen Mörder konnte nun zwar nach englischem Rechte nicht wieder rückgängig gemacht werden, aber die Strafe wurde ihm im Gnadenwege erlassen.

Erst neuerdings wurde die öffentliche Aufmerksamkeit auf einen Fall der Verurtheilung einer Unschuldigen, eines Fräulein Amalie Schimmel in Breslau gelenkt, in welcher ebenfalls die eigenthümliche Lage der Umstände den Verdacht von vornherein zu rechtfertigen schien. Der Fall ist in einer bei Braun und Weber in Königsberg i. Pr. erschienenen Broschüre behandelt, welche der thatkräftige Verfechter der Entschädigungsansprüche unschuldig Verurtheilter im Reichstage, Rechtsanwalt Munckel in Berlin, mit einem Vorwort versehen hat.

Fräulein Schimmel, eine den gebildeten Ständen angehörige, zur Zeit bereits hochbetagte Dame, führte seit dem Jahre 1858 dem früheren Kaufmanne, späteren Rentier Kästner in Breslau die Wirthschaft. Sie wurde in dieser Stellung, welche sie sorgsam und gewissenhaft ausfüllte, auch belassen, als Kästner wegen eingetretener Geistesschwäche einen Zustandsvormund in der Person eines Kaufmann Rentsch erhielt. Als Kästner am 23. Juni 1886 starb, fand man bei Ordnung des Nachlasses, daß für 24 000 Mark Werthpapiere fehlten. Eine bei der Wirthschafterin vorgenommene Haussuchung ergab, daß diese gegen 10 000 Mark Werthpapiere besaß, unter denen sich auch 3000 Mark konsolidirte preußische Staatsanleihe befanden, von welchen genau feststand, daß sie dem Kästner gehört hatten. Die bereits in den siebziger Jahren stehende Wirthschaftsdame wies zwar im allgemeinen nach, daß sie gegen 10 000 Mark sich nach und nach erworben habe, und behauptete, daß sie die Konsols von Kästner ausgehändigt erhalten habe zur Deckung der Ansprüche, welche ihr gegen ihren Dienstherrn für Auslagen und Lohn erwachsen waren; da sie aber über den Verbleib der fehlenden 21 000 Mark keine Auskunft zu geben vermochte, da man außerdem entdeckte, daß in dem Verzeichnisse der Kästnerschen Wertheffekten ein Blatt herausgerissen war, und endlich auch ein Nachschlüssel zum Geldschranke sich vorfand, so wurde gegen Amalie Schimmel die Untersuchung wegen Diebstahls eingeleitet, deren Endergebniß am 6. Dezember 1887 die Verurtheilung der Angeschuldigten wegen Diebstahls von 24 000 Mark zu einem und einem halben Jahre Gefängniß und zwei Jahren Ehrverlust war.

Inzwischen war ein Bekannter der Verurtheilten, ein Kaufmann Rupp in Königsberg, der an ein Vergehen der Dame nicht glauben konnte, rastlos bemüht gewesen, ihre Unschuld zu Tage zu fördern und besonders den Verbleib der fehlenden Werthpapiere zu ermitteln. Es gelang ihm endlich, nachdem die Verurtheilung bereits erfolgt war, festzustellen, daß die 21 000 Mark Obligationen am 22. Juni 1886 bei der Handlung Günther und Rudolph in Dresden auf den Namen eines Herrn von Stutterheim-N.-(Nieder-)Wintersdorf verkauft worden waren und sich nach mehrfachem Weiterverkaufe jetzt im Depot der Firma S.  Bleichröder in Berlin befanden. Nun galt es, über den angeblichen Verkäufer der Papiere weitere Ermittelungen anzustellen. Dieselben erwiesen sich aber als erfolglos; der Name Stutterheim-N.-Wintersdorf war offenbar ein falscher. Indessen hatte ein von Rupp unter Aussetzung einer Belohnung erlassener öffentlicher Aufruf den Erfolg, daß, wenn auch zunächst auf dem Wege namenloser Mittheilungen, der Verdacht der Entwendung der Papiere auf den Kästnerschen Zustandsvormund Rentsch gelenkt wurde. Damit wurde die Wiederaufnahme des Verfahrens erreicht, welche die volle Unschuld des Fräulein Schimmel und die Schuld des Rentsch ergab. Jene wurde, nachdem sie bereits neun Monate ihrer Gefängnißstrafe verbüßt hatte, wegen Diebstahls gänzlich freigesprochen, in Betreff der 3000 Mark Konsols wurde dagegen angenommen, daß sie zwar die Papiere in Pfandbesitz erhalten habe, aber dieselben, da inzwischen ihre Ansprüche an Kästner durch Zahlung getilgt waren, nicht länger hätte behalten dürfen. Das Gericht erblickte in dieser Handlungsweise – die alte Dame war sich deren Tragweite wohl nicht bewußt gewesen – eine strafbare Veruntreuung, für welche man eine Strafe von sechs Monaten Gefängniß in Ansatz brachte, sodaß die Angeklagte immerhin drei Monate unschuldig Strafe verbüßte. Der tapfere Befreier der Unschuld war dabei sogar in die Lage gekommen, eine Zeitlang selbst für den Dieb gehalten zu werden.

Mancher Unschuldige wird das Opfer einer falschen Zeugenaussage. Aber die Falschheit der Aussage braucht nicht immer den Charakter eines wissentlichen Meineids zu tragen, sie ist oft nur das Ergebniß unrichtiger Sinneswahrnehmung. Einer solchen Täuschung unterliegen namentlich die Zeugen oft dann, wenn es sich um die Frage der Wiedererkennung der Person des Angeschuldigten handelt. Eine Person, die man, ohne ihr besondere Aufmerksamkeit zu schenken, nur flüchtig sah, namentlich bei eingetretenem Wechsel der Kleidung wiederzuerkennen, ist keine leichte Sache gegenüber der Verantwortung, die man dabei übernimmt. Sichere Wiedererkennungszeugen sind daher auch ziemlich selten. Aber auch sie müssen dann manchmal erfahren, daß sie sich täuschten.

So wurde während der Untersuchung gegen eine Räuberbande, welche Ende der vierziger Jahre den Kreis Beuthen beunruhigte, ein gewisser Schewior von einem Kaufmann B., den man beraubt und dabei mit Erschießen bedroht hatte, bestimmt als Mitthäter erkannt und deshalb zu lebenslänglichem Zuchthause verurtheilt, obwohl der Verurtheilte behauptete, zu jener Zeit im Zuchthause gesessen zu haben. Man ließ die Ausrede unbeachtet, da der Angeklagte an sich nicht glaubwürdig erschien. Da derselbe aber im Gefängniß immer wieder auf die Angabe zurückkam, zog man die Akten bei und fand dieselbe bestätigt. Schewior wurde nunmehr nachträglich freigesprochen.

Bedenklich ist es auch, auf das Zeugniß von Kindern und halbwüchsigen Personen etwas zu geben, da dieselben vielfach den Einflüssen Erwachsener, besonders der bei der Sache interessirten oder gar auf gemeinen Gewinn spekulirenden Eltern unterworfen sind. Erst ganz neuerdings beschäftigte sich die Presse mit einem Falle, in welchem ein unbescholtener, gut gestellter Berliner Kaufmann infolge der lügenhaften Aussagen von drei Schulmädchen unschuldig zu schwerer Strafe verurtheilt wurde. Die Mädchen behaupteten, durch einen Wüstling sittlich geschädigt worden zu sein, dessen Person sie nicht näher zu bezeichnen vermochten. Ein Polizeibeamter hatte ihnen eine Belohnung von anderthalb Mark versprochen, wenn es ihnen gelänge, den Mann wieder aufzufinden. Die Mädchen stellten sich hierauf in der Belle-Alliancestraße auf, wo sie die Vorübergehenden musterten und hierauf dem Schutzmann den gerade vorübergehenden Kaufmann Gustav Lebram als den Schuldigen bezeichneten. Trotz der gegentheiligen Betheuerungen des Bezichtigten wiederholten die Mädchen auch vor Gericht ihre Angabe, und Lebram wurde auch in zwei Fällen des ihm zur

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_007.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)
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