verschiedene: Die Gartenlaube (1891) | |
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Aber auch die Frauenkleidung war einfach. Unsere Großmütter erzählten ja so gerne von ihrer Jugendzeit als einer, in welcher man die heutige Kleiderpracht noch nicht kannte. Und sie hatten recht – das lehren die Modeblätter.[1] Damals galt die Einfachheit ja in allen Gebieten der Kunst als höchste Forderung des guten Geschmackes.
Man sprach es selbst in den Modezeitungen deutlich aus: „Die Kleider müssen den Regeln der einfachen Natur untergeordnet werden.“ „Einfache Natur“ besaßen aber in erster Linie die die Kunst jener Zeit völlig beherrschenden Griechen und Römer. Ihnen strebte man nach: wie alle anderen Schaffensgebiete, so fühlte sich auch das des Frauenschneiders bis in die Wurzel hinein klassisch. Und als Bonaparte erst der Welt, namentlich auch derjenigen der Mode, einen Konsul und dann einen Imperator gegeben hatte – da war der Sieg der klassischen Einfachheit ein vollkommener. Das Weiß antiker Marmorbildwerke, der Purpur der Cäsaren und das Gold des Diadems – das wurden die im Reich der Vornehmheit alleinherrschenden Farben.
Die Natürlichkeit mußte auch in die Frauenkleider jener so lustigen Zeit eindringen. Der Schnürleib des Rokoko verfiel dem Gelächter. Wie hätte derselbe in den Tagen der Freiheit Bestand behalten können! Das hohe Leibchen fiel gleichfalls. „Noch vor kurzem,“ höhnt eine Zeitung, „war die Mode der Damen, ihre Reize mit großer Sorgfalt zu verhüllen, wie abgelebte Mütterchen sonst ihre Runzeln zu verbergen pflegen.“ Dieser gegen die Natur verstoßenden Thorheit wurde von den Frauen des neuen Jahrhunderts gründlich abgeholfen. „Wenig Stoff!“ heißt es in einem Modenblatte aus dem Jahre 1801. „Die Frauen sollen aussehen wie gewebte Nebel in den Farben der Morgenröthe!“ „Von allem Irdischen befreit“ sollen sie erscheinen. Sie sollen sich leiten lassen von jenem allein guten Geschmacke, den die Griechen in ihren Meisterwerken am vollendetsten vertreten.
Man muß es der Mode jener Zeit zugestehen, sie besaß den gewaltsamen Muth der Revolutionen ihrer Zeit! Reifrock und Schnürleib waren schnell aufgegeben, die hohen Haartrachten verschwanden, der kurz geschnittene Tituskopf trat vielfach hervor; sie studierte eifrig die antiken Bildwerke und fand in der „Toque“ eine aus Bändern, Netzen oder Schleifen gebildete, meist den Kopf eng umschließende, kleidsame Schmuckform. Aber sie scheute sich auch nicht vor der edlen Nacktheit der Antike. Achtzehn Loth, so sagt ein Modeblatt, hat der vollständige Anzug einer vornehmen Frau zu wiegen; dann ist er simpel und natürlich genug: ein Hemd, ein dicht unter der Brust von zwei Achselriemen getragener Gurt, ein Kleid aus Perkal oder Tüll, „Pamina-Tricots“, d. h. Handschuhe bis an die Achseln, seidene Strümpfe, Sandalen – das ist alles. Oder doch nicht; denn das neue Jahrhundert trat mit einer großen Erfindung auf, dem „ridicule“, oder wie die tugendhafteren Engländer es nannten, dem „indispensable“, dem „Unerläßlichen“, jenem Arbeitsbeutel, den man in der Hand trug, weil im Kleide eine Tasche unmöglich war, in dem Kleide, welches, dicht unter der Brust zusammengefaßt, eng die Gliedmaßen umschloß. Das Taschentuch hatte bisher die Dame in der Hand halten und beim Tanz dem Partner zur Aufbewahrung übergeben müssen. So wollte es die taschenlose Mode und der Anstand. Als dann 1807 wieder Taschen an der Hüfte angebracht wurden, konnte man sie bei den eng gespannten Kleidern nur mit Mühe benutzen. „Sie sind zwar unbequem und mißgestalt,“ sagt ein Modebericht alles Ernstes, „aber man erkennt an ihnen ein gut gemachtes Kleid.“
Auch die Aerzte billigten diese Toilette. Der Mangel an Ausdünstung sei schuld an
verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_009.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)
- ↑ Den größten Theil meiner Studien machte ich in der reichen Sammlung von Modezeitungen, welche die „Europäische Moden-Akademie“ zu Dresden besitzt. Es sei mir gestattet, hier meinen Dank dem Direktor der Anstalt, Herrn Strobel, auszusprechen, der mir die Sammlung erschloß.