verschiedene: Die Gartenlaube (1891) | |
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„Geh’, verstell’ Dich nicht so! Glaubst Du, ich hab’ keine
Augen und kenn’ Dein Techtelmechtel nicht mit der Loni Weinmann? Sie selbst hat mir schon davon erzählt.“
„Ich leugne’s auch nicht,“ entgegnete Hans, das Pferd zu stärkerem Lauf antreibend; „aber grad die 100 000 Mark ändern die Sach’, ich kenn’ die Loni!“
„Die können’s doch nur zum Guten ändern, mein’ ich.“
„Das meinst Du, die Bertl; die Loni denkt aber anders, die will jetzt keinen Gärtnerburschen von Haching mehr zum Mann haben – die will höher hinaus –“
„Eine nette Lieb’!“ warf Bertl ein.
„Aber es ist so, und recht hat sie!“ Hans hieb zornig auf das Pferd, daß dieses einen Seitensprung machte und ein Krautkopf auf die Straße kollerte. „Wenn man aus dem Elend einmal heraus ist, will man nicht wieder hinein, und am End’ – der Vater ist ein kräftiger Mann – der kann noch –“
„Hans!“ fuhr Bertl auf, „schäme Dich! Laß sie laufen, es ist kein Schade um so ein herzloses Ding. Sei froh, daß Du sie zur rechten Zeit erkannt hast! Wenn ich so seh’, wie’s Geld doch schlecht und hart macht, mein’ ich, der Vater hat am End’ ganz recht. Es käm’ mich selber hart an, von meinen Blumen weg zu müssen, aus meinem Garten, wo ich jede Pflanze kenn’; es ist doch eine schöne, lustige Arbeit, viel lustiger, als den ganzen Tag in so einem langweiligen steinernen Haus zu sitzen und sich zu langweilen wie eine vornehme Dame. Abgehen thut uns ja nichts – er hat ganz recht, der Vater!“
„Nun, dann schlag’ Dir den Lieutenant aus dem Kopf und behalte Deine Blumen und Krautköpf’ dafür, Bertl!“
„Was Du nur mit dem Brennberg hast – als ob ich – ich verbitt’ mir das, Hans, als ob ich – es ist zu unartig, wenn Du so sprichst, was sollen die andern Leut’ – – kann ich dafür, wenn er mir überall nachläuft? Du solltest mich in Schutz nehmen gegen ihn, anstatt – anstatt –“ Bertl standen die Thränen in den Augen – „o, ich hasse diese Stadt! Der Vater hat ganz recht – ganz recht hat er!“
„Du bist nicht gescheit, Bertl,“ entgegnete Hans, „als ob ich Dir nicht recht gäbe? Nur nicht so heucheln sollst Du. Schau – wir wollen alle beide was besseres werden, als der Vater und die Mutter waren – wollen einmal das Leben besser genießen. Das macht der Stadtwind, da nutzt alles nichts, und daß Du es als Frau von Brennberg genießen willst, das werd’ ich Dir nicht verdenken – war auch alles schon da – es kommt nur drauf an, wie man’s angreift.“
„Jesus, was der Mensch heut’ alles zusammenred’t! Als ob ich daran dächte!“ – –
Man war jetzt in der eigentlichen Stadt angelangt, Bertl trocknete sich rasch mit dem Taschentuch die nassen Augen, rückte das Hütchen zurecht und zog dann den Schleier wieder herab.
Auf den Straßen drängte sich zu dieser frühen Stunde nur die arbeitende, dienende Klasse, die Fenster der vornehmen Häuser waren alle noch mit schweren Gardinen verhangen. Bertl fiel das heute besonders auf, und ihre Phantasie schlüpfte hinter die Vorhänge in prächtige Gemächer mit kostbaren Möbeln, kostbaren Spitzenbetten, jeden Laut dämpfenden Teppichen – sie hatte das alles schon als Mädchen gesehen, wenn sie mit Aufträgen ihres Vaters in die Häuser der Reichen kam. Heute aber sah sie sich zum ersten Male selbst hinter diesen verschwiegenen Gardinen, in dem duftigen Spitzenbett, und vor ihr stand ein schöner junger Mann in glänzender Uniform und drückte einen Kuß auf ihre Stirn, wie es bei den Vornehmen Sitte ist, und wünschte ihr guten Morgen. – – Lieutenant von Brennberg! – Von einem Fenster zum andern schweifte ihr Blick und hinter jedem sah sie dasselbe Bild! –
Jetzt kam man durch das Geschäftsviertel – da verschwand der schöne Traum, und um sie her sprangen wieder die Krautköpfe, gaukelten die Blumen, die sie so sehr liebte, von denen sie sich nicht trennen konnte, wie sie eben dem Bruder gesagt. Wie das alles durcheinander stürmte hinter der kleinen, schneeweißen Stirn! Daran war nur der Hans schuld mit seinem dummen Geschwätz.
Nun war man auf dem Marktplatze. Der wirre Lärm, das bunte Gedränge, diese ihr heimische Atmosphäre von Obst– und Blumenduft, Fleisch- und Fischgeruch verscheuchten auf einmal alle müßigen Gedanken. Rasch eine Schürze vorbindend, griff Bertl wacker zu, die Blumentöpfe und die Yucca mit dem Bruder in den Stand zu schleppen, auf welchem in goldenen Buchstaben stand: „Thomas Margold.“
Der Markt war bereits gefüllt, es schillerte von kräftigen bunten Farben; da lagen in Pyramiden aufgeschichtete rothbackige Aepfel, strotzende Trauben, Berge von Gemüsen in allen Schattirungen des Grün, daneben scharfriechende Gewürzpflanzen, Sämereien, in zierlichen Säckchen ausgestellt, verlockende Butter in großen Ballen, ätzend riechendes Sauerkraut in mächtigen Kübeln, weißglänzendes Schmalz und in der Sonne rosig schimmernde Eier; dazwischen tönte das Gegacker unzähliger Hühner, das Gequiek der Schweinchen, Gemecker der Lämmchen und Gurren der Tauben – das lärmende, lawinenartig sich fortpflanzende Gefeilsche der Käufer und Verkäufer, das Fluchen der Bauern und Fuhrleute, helles Gelächter – – das alles sammelte sich im Glanze der Oktobersonne zum farbigen, kraftstrotzenden Lebensbilde. –
Die fruchtreiche, liebevolle Erde schüttete hier ihre Schätze auf zur Fütterung des steinernen Kolosses, der hochmüthig mit seinen Thürmen und Palästen hinausblickte auf ihre durchwühlten bescheidenen Fluren, und ihr kräftiger aromatischer Duft lag wie eine segenbringende Wolke über dem Platz, den wüsten Dunst verbrauchter Luft, den Qualm des Häusermeeres ringsumher besiegend. –
Neben dem Verkaufsstand Thomas Margolds lag der seines Nachbarn von der Landstraße, des Gärtners Weinmann. Er war heute geschlossen und bildete einen schmutzig grauen Fleck inmitten des Blumenwaldes ringsum. Jedermann wußte, warum. Weinmann hatte sein Anwesen verkauft, der Kaufpreis betrug, wie der junge Margold berichtete, 100 000 Mark; er verursachte allgemeine Aufregung. Weiber und Männer starrten in Gruppen mit einer gewissen Ehrfurcht auf den alten staubigen geschlossenen Kasten. Solch ein Glück! Das große Los! Und womit haben sie es denn verdient, die Weinmanns? Waren sie besser wie andere? Nur, weil ihr Anwesen gerade im Wege lag! Warum hatte man nicht auch das Glück? Warum mußte diese verfluchte Stadt gerade dorthin sich ausdehnen, auf der andern Seite konnte man sich zu Tod arbeiten und kam doch zu nichts. Nun, der wird jetzt den Großen spielen, und die Loni, diese eitle Person, wie wird’s die jetzt erst treiben!
Diejenigen, welche in gleicher Richtung wie Weinmanns ihre Gärten hatten, befiel ein ordentliches Fieber; sie berechneten mit pochendem Herzen ihren jetzt sicheren Erlös, sie sahen schon den Tag nahe, wo auch ihr Stand geschlossen sein würde, wo auch sie zu den Verzehrenden, nicht zu den Ernährenden dieser Stadt gehören, wo sie der schwarzen Erde, die sie ein Leben lang umgewühlt hatten, Lebewohl sagen würden, wo das ewige Säen endlich aufhörte und die ewige mühelose Ernte begann.
Kein dankbarer Gedanke, kein Quentchen Liebe blieb übrig für die getreue stetige Ernährerin, die ihnen jede Arbeit reichlich gedankt hatte. Das lustige Brausen der Großstadt umher betäubte sie jetzt schon, und jeder hatte seine heimlichen üppigen Wünsche, die er dann zu befriedigen gedachte. Genießen, mühelos genießen!
Dieser Zuruf erscholl ja in allen Tonarten aus allen Häusern, aus den glänzenden Läden der stattlichen Paläste, aus den Restaurationen und Vergnügungslokalen, den üppigen Auslagen der Bilderläden, die sie auf ihrer Wanderung durch die Stadt so oft staunend mit geheimer Begierde betrachtet hatten. Das alles gehörte jetzt auch den Weinmanns, gehörte auch ihnen in kurzer Zeit, und der geschlossene Stand dünkte ihnen der Sarg der Arbeit – sie wollten ihn tüchtig vernageln, wenn sie einmal so weit wären, daß er gewiß sich nicht mehr öffnete und ihre Quälerin aufs neue ans Tageslicht erstehen ließe.
Hans war zunächst der Mittelpunkt des allgemeinen Neides; als Nachbar Weinmanns mußte sein Vater ja sofort an die Reihe kommen, und man konnte seine helle Freude nicht verbergen, als Hans den Starrsinn desselben schilderte – eines ausgemachten Narren in den Augen aller.
verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_018.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)