verschiedene: Die Gartenlaube (1891) | |
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Nr. 2. | 1891. | |
Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Eine unbedeutende Frau.
Frau Antje stand nach ein Weilchen an ihrem Wäschespind und
versuchte, einen Knoten zu lösen, der sich durch das Spiel
mit dem Bande verschlungen hatte, aber diese Bemühung schien
eine rein mechanische zu sein, denn als jetzt ein Diener
durch den Flur zum Speisesaal hinüber schritt, fuhr sie
erschreckt zusammen, ordnete eilig die Wäschestöße und
schloß den Schrank. Dann ging sie hinunter in das
Souterrain, wo in blitzender Küche die alte Köchin,
die schon zwanzig Jahre in Antjes Vaterhause als solche
gedient hatte, vor dem blendend weißen Anrichtetisch
stand und beschäftigt war, eine Anzahl Schüsseln mit
kaltem Fleisch und andern appetitlichen Sachen zu belegen.
„Laß es gut sein, liebe Classen,“ sagte die junge Frau, „der Herr speist nicht daheim heute abend, er mußte ganz plötzlich nach Dresden.“
Das alte Gesicht unter der sauberen Haube starrte die Herrin mit einem Ausdruck von Erstaunen an, als habe diese soeben verkündet, morgen gehe die Welt unter, oder dergleichen. Antje hatte sich umgewandt und sah angelegentlich in die spielenden Flammen des Herdes; sie antwortete auch nicht auf die hastige Frage der Alten: „Heute - Ant - heute, Frau Jussnitz? Grad’ heute mußte er fort?“
„Ich trinke wie gewöhnlich meinen Thee -“ scholl es vom Herd zurück.
„Schon gut, gnä’ Frau – ja – aber – –“
„Und schicke den Diener zur Frau Baronin hinüber, liebe Classen, ich bedauerte sehr, daß aus unserer kleinen Ueberraschung nichts werden könne, der Herr habe plötzlich nach Dresden fahren müssen, und ich – mit mir allein – ich habe Kopfschmerzen. – Frau von Erlach möge uns ein andermal die Freude machen. Hast Du verstanden, liebe Classen? Oder soll ich es aufschreiben?“
Sie griff mit der Hand nach der Stirn, wartete eine Antwort nicht ab und verließ die Küche.
„Ja wohl, ich hab’s verstanden,“ murmelte die alte Frau, die ihr mit den Augen folgte, „freilich hab’ ich’s verstanden. O du lieber Himmel! Und heute sind’s just vier Jahre, daß sie Mann und Frau wurden! Ich hab’s gleich gesagt, als er sich in der Kirche so umgeschaut hat, während er mit dem Kinde zum Altar ging, ’s wird all mein Tag nichts Gutes daraus. – Warum hat sie ihn auch um jeden Preis haben wollen, konnte ’nen andern kriegen, als so einen, einen – !“
Sie stieß ingrimmig ein paar Schüsseln auseinander, und in dem Klirren ging die wenig schmeichelhafte Bezeichnung verloren, die sie dem Gatten ihrer angebeteten jungen Herrin gab.
„Nicht einmal eine Aussteuer hat er gehabt!“ schalt sie weiter, und dann trippelte
verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_021.jpg&oldid=- (Version vom 24.5.2021)