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Seite:Die Gartenlaube (1891) 026.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


„Nein,“ sagte er, ganz hingerissen von dieser Begeisterung, „nein, gewiß nicht! Möge Ihnen alles gelingen, was Sie sich erträumen; und wenn ich Ihnen behilflich sein kann – ich bin selbst Künstler und bekannt in Malerkreisen – zählen Sie auf mich!“

„Aber habe ich es nicht gesagt?“ rief sie. „Wenn das nicht Glück ist! Noch heute früh dachte ich, wie wirst Du es anfangen, Hilde, um in das Atelier irgend eines Berühmten zu dringen – da finde ich einen alten Bekannten von der Toni, und die Pforten stehen offen.“

„Hoffentlich nehmen Sie auch mit minder Berühmten vorlieb?“

„Sie sind Maler? Sie sind wohl derselbe Jussnitz, der die Brockenhexe gemalt hat. Ich habe das Bild in einer illustrirten Zeitung gesehen – nicht wahr? Und die Hexe hat im Original rothes Haar; die wunderbarsten Farbeneffekte, wie in der Beschreibung stand. Das sind Sie wirklich?“ Sie staunte ihn an mit weit geöffneten Augen.

„Das bin ich,“ sagte er leise, ihren Blick erwidernd.

So fuhren sie stumm ein Weilchen dahin. Welche Schönheit, welche Rasse, dachte er und studierte jede Linie des erregten Mädchenantlitzes. Ein langsameres Fahren und das Pfeifen der Lokomotive zeigten jetzt an, daß der Zug sich seinem Ziele näherte.

„Wo wohnt Ihre Frau Tante?“ erkundigte er sich hastig.

„In der Friedrichstadt, Xstraße – ist es weit?“ Sie hatte sich in ihrer schlanken Höhe aufgerichtet und langte ein Handkofferchen aus dem Gepäckraum über der Bank.

„Sehr weit!“ antwortete er.

„O weh!“ sagte sie.

Er hatte den Koffer ergriffen. „Werden Sie abgeholt?“

„Nein! Tante glaubt, ich komme erst morgen, aber ich hatte keine Ruhe mehr daheim und mochte die Seufzer und Unglücksprophezeiungen nicht mehr hören; da ging ich heute früh heimlich und ohne Lebewohl fort – ich kann so schlecht Abschied nehmen.“

Er lächelte. „Erlauben Sie mir den Koffer, ich trage ihn zur Droschke.“

„Danke, mein Herr, ich gehe, ich nehme einen Dienstmann.“

„Es ist unmöglich, Fräulein von Zweidorf, Sie müssen fahren. Auch ich habe in der Friedrichstadt zu thun; gestatten Sie mir, Ihnen einen Platz in meinem Wagen anzubieten – ich –“

„Ich danke,“ sagte sie kühl und mit der Haltung einer jungen Prinzessin.

„Ich bitte Sie darum,“ redete er zu in ehrlicher Besorgniß. „Sie haben keine Ahnung, wie weit es ist, Sie können wirklich nicht in Dresden so bei Nacht und Nebel allein umherirren. Bedenken Sie, ich bin ein alter Bekannter Ihrer Familie und darf Ihnen etwas mit Rath und That zur Seite stehen.“

Sie lachte unbefangen. „Ja freilich, wir sind Nachbarskinder, wenn ich auch nichts von Ihnen weiß. Aber ich werde Toni fragen nach Ihren Personalien – also – wenn Sie mich mitnehmen wollen!“

(Fortsetzung folgt.)

Der Kampf mit den Bakterien.

Heilung der Diphtherie bei Thieren.

Noch steht die Welt unter dem überwältigenden Eindruck der großen Entdeckung Robert Kochs, noch prüfen in allen Ländern tausend Aerzte die wunderbaren Eigenschaften der geheimnißvollen braunen Lymphe, und schon kommt von Berlin eine neue Siegesnachricht. Kochs Schüler mehren den Ruhm des Meisters.

Diesmal gilt es nicht dem Tuberkelbacillus; der Forschergeist hat in den denkwürdigen Räumen des hygieinischen Instituts zu Berlin zwei andere Todfeinde des Menschengeschlechtes mit tausend Listen umstrickt; es ist ihm gelungen, ungemein wichtige Gesichtspunkte für die Heilung zweier furchtbarer Krankheiten zu gewinnen, und die Tragweite dieser neuesten Errungenschaften deutscher Wissenschaft wird sofort jedem klar, wenn nur ihre Namen genannt werden: die Diphtherie und der Wundstarrkrampf!

Zwei Schüler Kochs, Stabsarzt Dr. Behring und Dr. Kitasato aus Tokio, fassen selbst ihre Erfolge in die Worte zusammen: „Bei beiden Infektionskrankheiten ist es uns gelungen, sowohl inficirte Thiere zu heilen, wie die gesunden derartig vorzubehandeln, daß sie später nicht mehr an Diphtherie bezw. Tetanus (Wundstarrkrampf) erkranken.“

Es sind vorläufig nur Thiere, die dieser Wohlthat theilhaftig werden; aber wir sind wohl berechtigt, an solche Errungenschaften auch Hoffnungen für die leidende Menschheit zu knüpfen. Hat nicht Robert Koch sein Heilmittel auch zuerst an Thieren versucht und ist es nicht heute bereits, soweit unsere Erfahrungen reichen, die mächtigste Waffe, die uns in Bekämpfung der Tuberkulose bei dem Menschen zur Verfügung steht? Wir dürfen niemals vergessen, daß auf dem so vielgelästerten Thierexperiment sich die glänzendsten Erfolge der medizinischen Wissenschaft aufbauen. Andererseits muß man dringend vor übereilten Schlüssen aus dem Thierexperiment auf den Menschen warnen, und vor allem in der Beurtheilung der Einwirkung bestimmter Heilmittel auf Bakterien, die im thierischen Körper leben, vorsichtig sein.

Die Medizin hat erst in jüngster Zeit in der Bakteriologie eine Stütze gesucht und gefunden, und die Bakteriologie selbst wandelt erst seit etwa zehn Jahren auf festen Füßen. Aus diesem Grunde stehen wir auf diesem Gebiete nur Anfängen einer neuen Heilkunde gegenüber; eine spätere Zeit wird die reife Frucht pflücken. Welche Aussichten aber diese Anfänge eröffnen, das werden die Leser am besten aus den nachfolgenden Mittheilungen über die zielbewußten Versuche zur Bekämpfung der Diphtherie und des Wundstarrkrampfes erfahren. Die Thatsachen mögen für sich sprechen. Beginnen wir zunächst mit der Diphtherie!

*     *     *

Wer von den Lesern der Gartenlaube über das Wesen der Diphtherie aus einem populär-medizinischen Werke, selbst neuester Auflage, Belehrung geschöpft hat, der wird seine Ansicht ändern müssen; denn erst in allerjüngster Zeit ist das Geheimniß dieses schrecklichen Würgengels unserer Kinderwelt entschleiert worden. Das Krankheitsbild, welches uns am Leidenslager eines von Diphtherie Befallenen entgegentritt, ist allgemein bekannt. Jedermann weiß, daß eine starke eigenartige Entzündung der Schleimhaut des Rachens den Ausgangspunkt der Krankheit bildet, daß an der erkrankten Stelle ein schmutziggrauer Belag erscheint, daß zu den örtlichen Störungen, welche diese Entzündung hervorruft, sich allgemeine Krankheitserscheinungen gesellen: Fieber, Delirien, Bewußtlosigkeit. Nicht nur der Hals, der ganze Körper ist erkrankt, und wenn selbst die erste Gefahr überwunden wird, so bleiben nach der Diphtheritis noch Nachkrankheiten, vor allem verschiedene Lähmungen der Rachen-, Kehlkopf-, Augenmuskeln, der Beine oder der Arme zurück. Die tiefgehenden Veränderungen der inneren Organe entziehen sich dem Verständniß der Laien.

Man wußte längst, daß die Diphtherie eine ansteckende Krankheit sei, und vermuthete, daß sie durch Bakterien verursacht werde. Man forschte nach diesen, aber es war mit ungeheuren Schwierigkeiten verbunden, unter den zahlreichen Bakterien, die stets den Mund und Rachen bevölkern, den wirklichen Krankheitserreger zu entdecken. Erst im Jahre 1884 fand Löffler, einer der Aerzte im Kaiserl. Gesundheitsamte zu Berlin, die richtige Fährte, die er jahrelang unablässig verfolgte, bis er unzweifelhafte Beweise für die Existenz des Krankheitserregers der Diphtherie beibrachte.

Er ist ein Stäbchenbakterium oder ein Bacillus, der etwa die Länge des Tuberkelbacillus besitzt, aber doppelt so breit ist wie dieser. Er ist in dem diphtherischen Belag zu finden, entwickelt sich bei Temperaturen von 20 bis 42° C. und besitzt eine ziemlich große Lebensfähigkeit. An Seidenfäden angetrocknet bleibt er 3 bis 10 Wochen ansteckungsfähig. Noch größer ist seine Lebensdauer in den abgestorbenen Hautstückchen (Membranen), wie sie von Diphtheriekranken ausgehustet werden. Aus den kleinsten eingetrockneten Stückchen konnte Löffler noch nach 8 Wochen, aus größeren selbst nach 14 Wochen Bazillen züchten, die voll ihre giftige Wirkung ausübten. Auch in dem Rachen und Munde des Kranken halten sie sich noch auf, wenn die Krankheitserscheinungen abgelaufen sind. In einem Falle konnte Löffler noch 3 Wochen, nachdem das Fieber abgefallen war, ansteckungstüchtige Bazillen im Munde der Rekonvalescenten nachweisen.

Es wurde ferner festgestellt, daß der Löfflersche Bacillus nur der menschlichen Diphtherie eigenthümlich ist, und ähnliche auch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_026.jpg&oldid=- (Version vom 28.6.2023)
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