verschiedene: Die Gartenlaube (1891) | |
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„Ganz richtig, Fräulein Bertha, derselbe Eigensinn, ganz richtig! Aber bei Ihnen wäre der Unterschied zwischen den zukünftigen Verhältnissen und Ihren jetzigen immer noch bedeutender. Sie würden damit in einen ganz andern Lebenskreis treten. Was kümmert man sich heutzutage um die Vergangenheit!“
„Wie meinen Sie das, Herr Lieutenant? Ich denke, unsere Vergangenheit war eine durchaus ehrliche, die jeder wissen darf!“ entgegnete Bertl etwas gereizt.
„Aber, Fräulein, es liegt mir doch fern, Sie beleidigen zu wollen! Alle Achtung vor der Arbeit, dem Handwerk! Gott, heutzutage denkt man selbst in der Uniform etwas freier über diese Dinge! Aber ich meine das anders – es giebt einmal gewisse Gesetze, über die wir nicht hinaus können – ich meine, Sie treten dann in einen Lebenskreis, der – der – –“ der junge Mann zögerte – „der es jedem, wer er auch sei, ermöglicht, offen mit Ihnen zu verkehren,“ sagte er dann rasch. „Fräulein Bertha Margold, ein reiches Bürgermädchen, eine Dame – das meine ich – und – –“ er ergriff eine Rose und sog wiederholt ihren Duft ein – „und das ist mir gar nicht gleichgültig, Fräulein Bertha! Sehen Sie zum Beispiel, ich möchte jetzt noch gern mit Ihnen plaudern – aber es geht nicht – es würde sofort darüber gesprochen werden!“ Er beugte sich etwas vor und reichte ihr die Rose. „Verstehen Sie mich jetzt? – Adieu, Bertha, denken Sie darüber nach!“
In demselben gleichgültigen Bummelschritt, in dem er gekommen war, entfernte er sich, um sich in den Augen der allenfallsigen Beobachter nicht den Anschein eines absichtlichen Besuchers des Blumenpavillons zu geben. Bei den Marktweibern umher fruchtete indessen diese Bemühung wenig, sie hatten ihn und Bertl schon längst beobachtet.
„Da kann man freilich das Geschäft hinauf bringen, wenn man es so macht!“ das war der Inhalt ihrer nicht eben freundschaftlichen Bemerkungen.
Auf Bertl machten die Worte Brennbergs einen gewaltigen Eindruck. Sie waren ja gar nicht mißzuverstehen; was sie kaum zu denken wagte, das sprach er eben klar aus – er liebte sie! Er wollte sie zu sich emporheben – als – als – Aber nein, das war ja gar nicht möglich – er wollte nur mit ihr, ohne darum angesehen zu werden, verkehren – das konnte er jetzt ja nicht – Jugendfreundschaft, weiter nichts! „Das ist mir gar nicht gleichgültig!“ Wie fest er das sprach, wie bedeutungsvoll! die Freundschaft einer Gärtnerstochter war einem Lieutenant von Brennberg nicht gleichgültig! Dann war es eben keine Freundschaft, sondern – Liebe, heiße, innige Liebe! Es gab für sie kein drittes! Ihre Neigung zu dem jungen, vornehmen Mann, deren sie sich schon längst bewußt war, schlug jetzt plötzlich in hellen Liebesflammen empor. Nichts entzündet ein Mädchen mehr als das Herabsteigen des geliebten Mannes von einem wirklichen oder eingebildeten Piedestal, ihm zu Liebe. In dem Sinnes- und Herzensrausch bei diesem seligen Anblick vergißt es nur zu leicht die sorgfältige Prüfung der Beweggründe.
Bertl war nur eins klar: sie hatte jetzt die heiligste Verpflichtung, alles zu thun, um sich emporzuschwingen zu dem Geliebten, der ihr ja bereits beide Arme helfend entgegenstreckte; jede andere Rücksicht mußte verschwinden. Am Ende gab es ja gar keine Rücksicht mehr zu nehmen, der Vater würde selbst nicht mehr bei seinem Willen beharren, sobald er das Glück seiner Bertl erfuhr; er liebte sie über alles, er verehrte das Haus Brennberg – – den alten Herrn von Brennberg! – Herrn von Brennberg – o weh! den kannte sie als gestrengen, absonderlichen Herrn; er verschmähte alles Geld, das man ihm für sein altes, ihn und seine Familie kaum ernährendes Familiengut bot, und jetzt sollte sein einziger Sohn die Tochter seines Gärtners –
Doch das ist ja das Große, das Herrliche der neuen Zeit, von der man immer spricht, daß diese dummen Schranken gefallen sind, ihr muß das Alte weichen – der Herr von Brennberg – der Vater! Sie band die verwirrtesten, sinnlosesten Sträuße bei diesen stürmischen Gedanken, sie mußte über die häßlichen Dinger lachen, als sie zu sich selbst kam – da stand Hans vor ihr, der ihr schon lange zugeschaut hatte.
„Komm, Bertl, es ist jetzt Mittag, wir sperren die Bude zu und wollen uns auch einmal etwas gönnen. Ich lade Dich zu einem Diner bei Arnold ein.
Bertl sah den Bruder erstarrt an. Arnold galt für das vornehmste Restaurant der Hauptstadt.
„Na, was schaust Du? Glaubst Du vielleicht, wir dürfen dort nicht hinein? Da sitzt mancher drin und macht sich breit, der nicht die Hälfte von dem hat, was wir haben könnten. Grad extra! Ich hab’s satt, die ewige Schinderei!“
Um keinen Preis hätte Bertl unter andern Umständen je eingewilligt, sie hätte gar nicht den Muth gehabt, dort einzutreten. Heute aber willigte sie ein, ja, die Aufforderung schien ihr ganz erwünscht zu kommen, der hastigen Eile nach, mit welcher sie zusammenräumte und den Pavillon zuschloß. Sie machte vor dem kleinen Spiegel sorgfältig Toilette, sie durfte sich überall sehen lassen, nur die rothen Finger konnten sie verrathen. Hans steckte eine Rose in das Knopfloch, setzte den hellen grauen Hut gerade und bot seiner Schwester den Arm. Spitzige Reden verfolgten sie auf dem Wege durch die Stände links und rechts, aber sie fühlten sich jetzt schon beide erhaben darüber.
Zum ersten Male bummelte Bertl so ohne alle Beschäftigung und Zweck, nur zum Vergnügen, in den Straßen der Stadt herum. Es entging ihr nicht, daß die Herren ihr nachblickten, manch schmeichelhafte Bemerkung drang an ihr Ohr. Vor jedem Auslagefenster blieben sie stehen. Da blitzten kostbare Geschmeide in roth- und blausammetenen Etuis, dort war alles Erdenkliche ausgebreitet, was weibliche Eitelkeit reizen konnte, in den hohen Spiegelscheiben erblickte Bertl ihre schlanke Gestalt; wenn sie erst diese Hilfsmittel der Schönheit alle zur Verfügung hätte, da sollten sie nur kommen, diese feinen Damen alle, die da so stolz an ihr vorübergingen!
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Es war jetzt die Promenadezeit der ersten Gesellschaft, und das Restaurant Arnold lag in der Hauptstraße. Dahin war Bertl noch nie gekommen. Das war eine ganz andere Welt als in den engen übelriechenden Vierteln um den Markt herum, mit ihrem farblosen Publikum! Diese Toiletten, diese lautlos dahinrollenden, sich wohlig schwingenden Equipagen, diese prächtigen, alle Sinne in Aufruhr bringenden Auslagen, an den Ecken unzählige bunte Plakate mit verlockenden Bildern, mit Anzeigen von Bällen, Konzerten, Theatervorstellungen. Die Arbeit war hier unbekannt, sie mußte sich erschrecklich düster, schmutzig ansehen in dieser Umgebung. „Genießen“ war hier die Losung, „mühelos, rücksichtslos genießen!“ Was ihr auffiel, das waren die ernsten oder wenigstens völlig gleichgültigen, kalten Gesichter, die sie überall erblickte. Warum lachten diese Menschen nicht? Freuten sie sich nicht über ihr Glück? Sie, Bertl, glühte ja und hätte laut aufschreien mögen vor Lebenslust. Diese schöne junge Frau da am Arme des Offiziers in glänzender Uniform, die ihr entgegenkam, wie gelangweilt, wie freudlos sah sie drein! – Wenn sie einmal am Arme ihres Geliebten –
Die Sinne schwanden ihr fast bei dem Gedanken, sie hielt sich fest an dem Arm des Bruders, dem alle diese Dinge durchaus nicht mehr neu waren; er hatte sich bereits das Nichtverblüffenlassen des Großstädters zu eigen gemacht, diese erheuchelte Gleichgültigkeit gegen alles, die Bertl empörte.
Sie traten in das Restaurant Arnold.
„Guck nicht so erstaunt herum wie ein Banernmädl, man lacht Dich sonst aus!“ flüsterte ihr der Bruder zu und schritt, den Stock in der Ueberziehertasche, die Schultern emporziehend, mit kühnem Blick durch die Reihen der tadellos gedeckten Tische. Bertl folgte ihm Schritt für Schritt, schüchterne Seitenblicke werfend; ihr sonst so entschlossenes Wesen war verschwunden, es lag ein so eigenthümlich schwüler und doch so prickelnder Dunst über dem weiten Raum, gemischt aus dem Aroma feiner Cigarren, Speisegeruch und Weindunst, dem Parfüm der Damen und Herren.
Aus einem lauschigen Winkel, in welchem bereits das Gas brannte, erschallte lautes lärmendes Gelächter und Gläserklingen.
Hans wollte eben in erzwungener Achtlosigkeit daran vorbei, da rief jemand seinen Namen, und er wandte sich danach um. Ein breitschulteriger, knochiger Mann mit hochgeröthetem Antlitz inmitten einer lärmenden Gesellschaft schwenkte ein Champagnerglas gegen ihn.
„Nur ’ran, Nachbar! Kommen ja wie bestellt – es lebe die – die – Gä – Gärtnerei! Prosit, Kinder!“
verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_032.jpg&oldid=- (Version vom 17.10.2024)