verschiedene: Die Gartenlaube (1891) | |
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eine pochende Hitze in den Wangen, dazu der lärmende angetrunkene Weinmann, der Mann mit dem stechenden Auge, Lonis freches Benehmen –, Bertl sehnte sich hinaus in das kleine Häuschen zum Vater, zu ihren Blumen, und einen Augenblick dämmerte in ihr mitten in dem unsteten Treiben um sie her der Gedanke auf, ob das Glück dieser Welt nicht so falsch sei wie all das Gold, all der Marmor, all der Glanz im Restaurant Arnold.
Sie machte Hans schon lange ein Zeichen, daß er aufbrechen solle, doch dieser sah und hörte nicht darauf – die Spekulation war jetzt Gesprächsstoff. Weinmann schrie und schlug mit der Faust auf die Marmorplatte, daß die Gäste im Saale mit ärgerlicher Miene hereinblickten; er wolle in einem Jahr Millionär sein, es handle sich nur um die ersten Hunderttausend, das andere sei Spaß – nicht mit der Hand, mit dem Kopfe müsse man arbeiten – wobei er sich mit der rauhen Hand auf seinen knochigen Schädel schlug – ja, wenn er das früher begriffen hätte, dann führe er jetzt schon lange mit Vieren.
Stefanelly stimmte ihm vollkommen bei, indem er seine Rede größtentheils an Hans richtete. Er schilderte in den verführerischsten Farben die heutige Spekulation, die Zukunft M ... s. Sein bleiches Gesicht mit den harten Zügen röthete sich, er glaubte offenbar selbst daran. Hans horchte athemlos, Haufen Goldes flammten vor seinen Augen, der Sekt that das übrige.
Man kaufte und verkaufte M ..., ein Strom flüssigen Goldes floß durch ihre Taschen und füllte sie mit seinem kostbaren Niederschlag, die Bacchanten winkten und grinsten aus allen Ecken, Faunen, Amoretten lächelten lüstern herab auf den glühenden Hans – „komm! genieße, genieße!“
Auch Bertl lauschte jetzt; es war ja auch die Zukunft des Geliebten, ihres künftigen Gatten, von der die Rede war. Sein Bild stand wieder lebhaft vor ihr, sein Wort tönte ihr wieder im Ohr – da kam ihr plötzlich der Gedanke: ja, du gehörst ja gar nicht mehr unter diese Leute, unter diese Weinmanns und Stefanellys – wenn er dich jetzt darunter sitzen sähe! – Eine förmliche Angst befiel sie – da klirrte es draußen im Saale, sie fuhr jäh zusammen, sie sprang auf und rüstete sich zum Gehen, aber Hans hielt sie zurück. Da trat Lieutenant Brennberg, begleitet von einem Freunde, unter die grauseidene Gardine, welche die Nische vom Saale trennte. Eben wollte er bei dem Anblick der lärmenden Gesellschaft wieder umkehren, da erblickte er Bertl, die sich vergebens hinter Hans zu verbergen gesucht hatte, trat, seinem Kameraden winkend, ein und nahm mit einem kurzen und gemessenen Gruße an dem noch freien Tische nebenan Platz.
Stefanelly hatte den Eintretenden scharf ins Auge gefaßt, sprang dann plötzlich auf und machte eine unterthänige Verbeugung, die kaum erwidert wurde. Das war unangenehm, man fühlte sich auch sonst in seiner Lust gestört, besonders Weinmann, der mit seinem wankenden Haupte und verschleierten Blicke die Eindringlinge betrachtete und seinen Diamant möglichst zur Geltung brachte.
Bertl saß wie auf Kohlen, sie zitterte vor jedem lauten Worte, vor jeder Bewegung ihrer Tischgenossen; besonders Loni brachte sie zur Verzweiflung, die sofort in der auffallendsten Weise mit den Offizieren kokettirte, ohne daß dieselben im geringsten Notiz davon nahmen. Bertl war in athemloser Spannung, was Brennberg thun würde. Wenn er herbeikäme und sie begrüßte, das wäre ein Triumph vor diesem Volk!
Kaum dachte sie es, da erhob sich Brennberg, seinem Gefährten etwas zuflüsternd, und trat zu ihr, ohne die Gesellschaft weiter zu beachten.
„Sie nehmen sich ja meine Lehre sehr gut zu Herzen, Fräulein Bertha!“ sagte er. „Arnold – Champagner – das sind Fortschritte! Ich darf Sie wohl Ihrer Gesellschaft nicht entziehen! Ja, wenn ich das gewußt hätte, würde ich mir schon längst einmal erlaubt haben, Sie einzuladen. Uebrigens –“ er sprach jetzt ganz leise, sich von dem Tisch abwendend, „haben Sie sich das überlegt, was ich heute früh sagte? Es war mein voller Ernst.“
Er sah mit einem eigenthümlichen Ausdruck in das Antlitz Bertls, das jetzt in seiner Erregung doppelt schön war.
„Was Sie sprechen, vergesse ich gewiß nicht!“ entgegnete sie.
„Und noch etwas“ – er flüsterte jetzt nur noch – „gefällt Ihnen die Gesellschaft, in der Sie sich jetzt befinden?“
„Ich verachte sie!“ erwiderte Bertl.
„Das ist alles, was ich wissen wollte. Es ist schon spät, ich rathe Ihnen, rasch heimzukehren. Auf Wiedersehen, Fräulein Bertha!“
Leicht grüßend trat er zurück zu seinem Kameraden.
Bertl war es, als müßte sie sich an ihm festhalten, als müsse sie ihn anflehen, daß er sie rette aus dieser Gesellschaft, die ihr jetzt mit einem Male in ihrer ganzen Rohheit erschien. Loni machte spöttische Bemerkungen, der alte Weinmann blinzelte beleidigend, auch Stefanelly und der Ingenieur warfen ihr Blicke zu, die sie wohl verstand. Sie fühlte aus allem einen häßlichen Verdacht heraus, und sie mußte sich zurückhalten, um sich nicht offen als die Braut des Herrn von Brennberg zu bekennen. Aber bleiben durfte sie jetzt nicht mehr, ihr Geliebter würde es ihr nie verzeihen! Was lag ihr daran, wenn sich diese Leute beleidigt fühlten! Sie stand entschlossen auf.
„Wenn Du nicht mitkommst, fahre ich allein; der Vater ängstigt sich zu Tode,“ sagte sie zu Hans.
Mißmuthig stand dieser auf; er hatte sich so wohl gefühlt in diesem Element, der Gedanke an Haching war ihm jetzt fürchterlich. Brennberg sprang Bertl hilfreich bei, als sie ihren Regenmantel anzog. Dieser kleine Ritterdienst machte sie beben vor Wonne und Stolz, in diesem Augenblick gehörte sie ihm ganz. Sie schwur in ihrem Innern die heiligsten Eide.
Stefanelly sprach noch einige Worte insgeheim mit Hans, Bertl verließ mit kurzem Abschied den Tisch und warf Brennberg noch einen Blick zu, der ihm seine völlige Herrschaft über dieses Mädchenherz verkündete.
Hans war in übelster Laune. Er wäre heute überhaupt nicht mehr heimgekehrt, wenn Bertl nicht bei ihm gewesen wäre. Von dem Stefanelly, meinte er, habe er in einer Stunde mehr gelernt, als sein Lebtag in der Gärtnerei des Vaters. Er schalt auf seinen Beruf, auf den Vater, auf die Arbeit und bedauerte fortgesetzt sich selbst, daß er in solche Ketten geschmiedet sei.
Bertl hörte ihn gar nicht mehr, sie mußte sich nur alle Mühe geben, nicht zu lachen und zu jubeln, so glücklich, so selig fühlte sie sich. Die glänzende Zukunft an seiner Seite lag ja sonnenklar vor ihr, und, in ihrem vorausstrahlenden Lichte gesehen, kam ihr die eben erlebte Stunde in der abgeschmackten Gesellschaft, ihr einfältiger Bruder, das Gartenhaus in Haching, die Mutter und selbst der Vater furchtbar kleinlich vor.
Das Fuhrwerk stand im „Schwarzen Rößl“ auf dem Marktplatze, dem ständigen Absteigequartier Margolds.
Hans spannte rasch ein, denn es war schon dunkel. Schweigend fuhren sie an den jetzt geschlossenen und verlassenen Marktbuden, an den umgestürzten Ständen vorbei, an der Bretterstadt, in der sie beide ihr junges Leben verbracht hatten. Die Gesichter der Geschwister glühten vom Wein und von Erregung, und zornig hieb Hans auf den Traber ein. In der Vorstadt wälzte sich ihnen das Heer der Arbeiter entgegen, welches von den außerhalb gelegenen Bauplätzen und Fabriken kam. „Als ob es nicht voll dem Volk genug gäbe!“ brummte Hans vor sich hin. „Andere arbeiten lassen, darin liegt’s! Ja, der Stefanelly, das ist ein Mann!“
Wieder fuhren sie die neuentstandene Straße entlang, die geradeswegs zu ihrem Anwesen führte. Die noch unbeworfene kahle Häuserreihe strahlte schon im Lichtglanz, der zu jedem Fenster herausdrang – fast alle diese Häuser gehörten dem Stefanelly! War es da ein Wunder, wenn die Loni sich an den Ingenieur hing, der bei ihm ein riesiges Geld verdiente? Sie hatte es ihm ja insgeheim zugeflüstert, daß sie den Mann nichts weniger als lieb habe, aber der Vater dränge zu der guten Partie; Hans solle doch seinen Alten rasch herumkriegen, dann gebe sie dem Ingenieur sofort den Laufpaß. Hans war über solche gewissenlose Reden Lonis gar nicht empört. Nach seinen Begriffen war sie danach einfach ein schlaues, kluges Mädchen, dem er es im gleichen Falle ohne weiteres nachthun würde. Ein Ingenieur und ein Gärtnerbursche – das war ein Unterschied! Ein Ingenieur und der Sohn eines reichen Privatmannes war auch einer, aber nur einer zu seinen Gunsten. An ihm, dem Hans, war es jetzt, den Vater gehörig zu behandeln; er mußte nachgeben! Daß Bertl zu derselben Zeit denselben Entschluß gefaßt hatte, daran dachte er nicht.
Es war völlig Nacht, als die Geschwister an Margolds
Haus ankamen. Das Dorf lag schon in stiller, lichtloser Ruhe,
nur gegen Osten schimmerte über die schwarzen Felder eine röthliche
Gluth – die Stadt.
verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_050.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)