Verschiedene: Die Gartenlaube (1891) | |
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drohend aufgehobenem Finger und grimmigen Augen, „so Geschichten mit anonymen Blumen und ähnlichem Zeug, die giebt es bei mir nicht – verstanden? Du bist bei einer honnetten Frau und wirst Dich als honnettes Mädchen aufführen, oder die Thür steht offen – da –!“
Dem Mädchen war alles Blut aus dem Gesichte gewichen, das Körbchen mit den Blumen ihren schlaffen Händen entglitten. „Tante,“ stieß sie hervor, „was sagst Du da? Was denkst Du eigentlich?“
„Nur immer gemüthlich! Ich habe Dir bloß auseinandergesetzt, wie wir’s halten wollen,“ war die Gegenrede, und Frau Polly schälte eine Zwiebel über dem Kohlenkasten.
„Ich weiß nicht, von wem der Strauß kommt,“ vertheidigte sich Hilde. „Ich schwöre es Dir, Tante, ich kann nur vermuthen, daß er vom Herrn Maler Jussnitz ist, demselben, der gestern mit mir hierher fuhr, den ich von früher her kenne – seine Eltern wohnten neben uns – und der voraussichtlich mein Lehrer wird.“
„So, so! Na, das wird sich ja finden! Vorläufig kannst Du wohl irgend etwas anfangen, damit Du nicht so herumsitzst und auf dumme Gedanken kommst. Die Strümpfe von der letzten Wäsche sind noch nicht gestopft, auf dem Nähtisch liegt das Garn.“
„Ich – Tante – ich habe Kopfschmerz, ich muß in die Luft hinaus. Ich bin auch nicht hier, um Strümpfe zu stopfen, ich will mich zur Malerin ausbilden. Du erlaubst gewiß, daß ich die Galerie besuche?“
Tante Polly stand noch immer fassungslos mit der Zwiebel in der Hand, als schon die beleidigte Nichte aus der Hausthür trat und die Straße entlang eilte, weinend vor Zorn über die ihr gewordene Behandlung.
Das empörte Mädchen ging immer der Pferdebahn nach und endlich fand sie sich wieder in vornehmen schönen Straßen. Sie frug irgend jemand nach der Gemäldegalerie und man wies sie zurecht. An einer Straßenecke war sie genöthigt, stehen zu bleiben, so lebhaft war der Verkehr von Wagen und Fußgängern. Zwischen zwei Pferdebahnen, einigen Lastwagen und verschiedenen Droschken wand sich ein eleganter Landauer hindurch. Hilde bemerkte zuerst nur die prächtigen Rappen, die vor Ungeduld über den Aufenthalt die Köpfe mit den schaumbedeckten Gebissen in die Luft warfen. Dann zuckte sie zusammen – war das nicht „er“? Der Insasse des Wagens wandte den Kopf zu seiner Nachbarin, einer blonden jungen Frau, deren ovales zartes Gesicht ein einfaches stahlblaues Kapothütchen umschloß. Er mußte es ja sein, so konnten sich doch nicht zwei Menschen gleichen!
Hilde schob sich rücksichtslos durch die Menge, um besser zu sehen, aber da war auch schon Raum auf der Straße geworden und die Equipage sauste davon. Mechanisch ging Hilde, den Wagen mit den Augen verfolgend, nach; etwas Unbekanntes, Quälendes hatte sie erfaßt. Das Gefährt verschwand nach kurzem ihren Blicken; sie wanderte weiter und zermarterte sich den Kopf.
Aber er konnte es ja gar nicht gewesen sein! Er sprach gestern zu ihr von Ringen und Kämpfen, dem er fast erlegen sei, und jener in der prächtigen Equipage sah nicht aus wie ein Künstler, der mit Entbehrungen zu schaffen hat. Und Hilde lachte sich selber aus. Der da im Wagen neben seiner Frau war sicher ein reicher Fabrikant. Sie dachte an ihre Rosen daheim: einer, der neben solch schöner Frau saß, verschenkte nicht Blumen an andere, so heimlich – – Sie ward allmählich ruhiger und faßte Beschlüsse: sie wollte ganz vernünftig werden, sich mit Tante Polly vertragen; vorläufig hing sie ja von dieser ab. Sie fragte nach der Xstraße und kam nach langem Wandern zurück.
Tante Polly lag auf dem Sofa, das Gesicht mit der Schürze zugedeckt, und hielt Mittagsruhe. Die Stube roch nach Fleischbrühe und Nudeln: im Ofen stand ein Schüsselchen, wohl für Hilde zurückgestellt, denn Tischtuch, Teller und Besteck harrten ihrer noch. Die alte Frau erwachte nicht; schweigend holte Hilde sich ihr Essen, und wie eine Else so leise deckte sie nachher den Tisch ab. Sie hatte zu Hause dergleichen nie gethan; sie war da von allen verhätschelt, verwöhnt und als „Talent“ gefeiert worden. Dann öffnete sie leise ein Fenster und suchte sich die Strümpfe zum Stopfen.
Es gelang ziemlich mangelhaft, denn Hilde war ungeübt, und die Rosen, die vor ihr standen, verwirrten sie so, daß sie blaues Garn zu schwarzen Strümpfen nahm. Aber die alte Frau, die, ohne daß Hilde es bemerkt hätte, erwacht war und das schöne Mädchen am Fenster so bemüht sah, söhnte sich aus mit dem Vorhergegangenen; sie lag ganz still und betrachtete das Bild vor ihr und meinte bei sich, daß es doch sehr behaglich sei, so ein junges, frisches Menschenkind um sich zu haben; was an ihr liege, wolle sie versuchen, sie vernünftig zu machen und ihr die Raupen aus dem Kopf zu bringen, welche die Zweidorfsche Wirthschaft darin gezüchtet hatte. Und wenn sich die Hilde einlebte mit ihr, na – dann konnte man ja auch gelegentlich mal an ein Testament denken.
„Höre, mein Hildchen!“ rief sie, plötzlich sich aufrichtend, in unverfälschtem Sächsisch, „wir wollen uns wieder vertragen, gomm her und gieb mir die Hand!“ Und Hilde kam herüber und schlug ein.
„Du darfschst nur nie wieder derartige Aeußerungen thun wie heute früh.“
„Ich weiß sehr wohl, was ich thue, und kenne die Welt, wenn ich auch noch jung bin –“ bemerkte Hilde.
Tante Polly wollte lachen. „Du Kiekindiewelt!“ sagte sie; aber sie verstummte vor dem lodernden Blick dieses jungen Geschöpfes.
„Und,“ fuhr Hilde fort, „ich bitte Dich, nicht zu vergessen, daß ich eine Zweidorf bin und daß unser Wappenspruch heißt: ‚Ueber alles die Ehre!‘“
Taute Polly war ganz roth geworden. Hilde stand da vor ihr wie eine Fürstin, so hoheitsvoll. Tante Polly ahnte plötzlich, daß sie ihren Meister gefunden habe; sie ging ganz betroffen in die kleine dunkle Küche, und dort stand sie wie eine Fremde in ihren eigenen vier Pfählen.
Na, das konnte ja nett werden, wenn das Mädchen beständig ihren adligen Stammbaum ins Treffen führte! Seufzend stieg sie endlich die Treppe hinunter in das Büdchen und schickte den Kleinen der Gemüsehändlerin zu ihrer Aufwartefrau. Es war nichts mit dem Ersparen dieser Hilfe; Tante Polly fand den Muth nicht, ihre hochgeborene Nichte an das Aufwaschgefäß zu befehlen, sie begriff es sogar nicht mehr, daß sie einmal daran gedacht hatte. Sie fand Hilde, als sie wieder heraufkam, in dem kleinen Fremdenstübchen beschäftigt, sich mit Hilfe eines großen Pappdeckels eine Art Staffelei am Fenster zurechtzumachen.
„Es geht nicht,“ sagte das Mädchen, „es ist zu dunkel.“ Und Tante Polly entgegnete, ob Hilde nicht in der guten Stube malen wolle. Als sie es heraus hatte, biß sie sich auf die Lippen; wie kam sie nur dazu? Und doch trieb sie eine nie gefühlte Macht, die Putzstube aufzuschließen und stumm mit anzusehen, wie Hilde eifrig sich dort einzurichten begann; sie nickte ergeben, als Hilde mit einem: „Du erlaubst doch, Tante?“ ein halb Dutzend Porzellanblumentöpfe mit künstlichen Camelien und Rosenblüthen von der Fensterbank entfernte.
„Ich danke Dir vielmals, Tante,“ sagte das Mädchen dann, „ich werde Dein hübsches Zimmer in Ehren halten.“ – Im stillen schauderte ihr vor der Ausstattung des Raumes, besonders vor der Tapete, die kornblumenblau war mit eingestreuten weißen Rosen. Auch störten sie die schrecklichen, von Pfuscherhand gemalten Oelbilder der Tante und ihres Seligen. Aber das war ja alles nur ein Uebergang, eines Tages würde sie weder die blaue Tapete, noch die stümperhaften Porträts mehr zu sehen brauchen! Sie nahm ein Aquarell des väterlichen Hauses, hinter dem ein plumper alter Mauerthurm und hohe Linden empor ragten, vor, und während sie ihre Farbentuben und Pinsel aus ihrem Malkästchen herauskramte, erzählte sie der Tante allerlei von daheim; dann begann sie, an der Skizze weiter zu arbeiten.
„Es stellt so verkleckst aus,“ sagte Tante Polly, „und das Papier ist so grob! Muß das so sein?“
„Ja!“ erwiderte die Nichte kurz, und Tante Polly nickte und setzte sich seufzend mit dem Strickstrumpf an das gegenüberliegende Fenster und beobachtete die Häuser drüben. Sie tröstete sich damit, daß es ja immerhin recht interessant sei, wenn man sehe, daß sie eine Nichte habe, die male.
Aber Hilde konnte nicht immer malen, und die Stunden wollten gar nicht vergehen; wie lang war so ein Tag – wie entsetzlich lang! Sie schlief des Nachts nicht, sie dachte nur immer an den versprochenen Besuch. „In drei Tagen komme ich,“ hatte er gesagt – würde er Wort halten?
Und der dritte Tag brach an. Hilde von Zweidorf saß früh morgens schon an ihrer Arbeit, aber die Farben trockneten ein, denn sie blickte immer auf die Straße. Als die Besuchszeit um die
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_055.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)