Verschiedene: Die Gartenlaube (1891) | |
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Bäumchen der Edelkoralle aus dem Gewirre gelöst. Ein seltenes Glück will es zuweilen, daß die Koralle an einem losen Stein festgewurzelt ist; meist kommen nur größere oder kleinere Bruchstücke herauf. Je dicker und länger die Stammstücke, desto werthvoller sind sie für die fernere Bearbeitung zu Schmuckgegenständen; der Kaufwerth wächst fast in ähnlicher Weise mit den Maßen, wie bei den Edelsteinen mit dem Gewichte. Aber den Naturforscher interessiren die feineren Endzweige am meisten, denn dort lebt und wächst die Koralle, dort finden sich in der Rindenschicht die von kleinen Polypen bewohnten Zellen, die mit dem Stamme verwachsen und durch Kanäle verbunden sind. Die gütige Vorsehung, die alles zum besten wendet, hat mit dieser Entrichtung eine zarte Fürsorge für den Geldbeutel der Naturforscher bethätigt - sie können, selbst wenn sie nur außerordentliche Professoren sind, die Kosten für eine Untersuchung allenfalls erschwingen. Ich habe mir sogar erlaubt, das Bäumchen, dessen Abbildung ich hier gebe (B), statt einer banalen Bronzefigur auf die Uhr des Kamines in meinem Salon zu stellen, was den doppelten Vortheil bietet, daß es einerseits ganz hübsch aussieht und andererseits den Besucher zu der Frage veranlaßt: „Bitte, Herr Professor, was ist denn das?“ wodurch man glücklich über die Einleitungsgespräche eines ersten Besuches von Wind und Wetter, Schnupfen und Rheumatismen oder Krieg und Frieden hinübergelotst wird. Salvatore hat nach mancherlei Versuchen ein Verfahren entdeckt, wodurch die Korallenbäumchen, die frisch von der Bank bei Capri eingebracht worden sind, in konservirenden Flüssigkeiten und vollständig entfalteten Polypen ganz in der Weise erhalten bleiben, als ob sie noch lebten. Da man in dieser Art präparirte Bäumchen von der Station zu verhältnismäßig billigem Preise beziehen kann, so dürften sie, in hübschen Glasgefäßen aufgestellt, einen ganz artigen Zimmerschmuck abgeben.
Man kann freilich die Form der Bäumchen nicht gerade zierlich nennen. Die Aeste sind mannigfach gebogen, sperrig, die Enden der Zweige oft knorrig, verdickt und die Oberfläche mit unregelmäßigen Warzen bedeckt. Aber Stamm, Aeste und Zweige haben eine lebhaft rothe Farbe, auf welcher sich die ausgestreckten Polypen wie feine, halb durchsichtige Blüthenkelche von weißer Farbe gar prächtig abheben. Aus jedem geöffneten Wärzchen tritt ein kurzer, drehrunder, halsförmiger Kelch hervor, der sich mit acht fein gekerbten Blättchen entfaltet.
So bieten sich auch die Polypen im Leben dar, und man muß oft lange und scharf mit der Lupe beobachten, um Bewegungen der einzelnen Blüthenblättchen, der Arme, wie die Zoologen sie nennen, oder die Zusammenfaltung des ganzen Polypen zu sehen, der die Arme nach innen einschlägt, wo im Mittelpunkte der Blumenkrone sich der Mund befindet, und langsam den Hals in die Warze zurückzieht, die sich über ihm mit acht Lappen schließt.
Stamm, Aeste und Zweige sind aus zwei Theilen gebildet, einer dicken, lebenden Rinde und einem inneren festen Kern, der allein zur Verarbeitung benutzt werden kann und aus concentrischen Schichten dichter Kalksubstanz zusammengesetzt ist, die meist roth, rosa, seltener gelblich oder schwärzlich gefärbt ist. Die Mode wechselt in Beziehung auf die Farbe; früher wurde die Koralle um so höher geschätzt, je lebhafter die Farbe war, jetzt wird das blasse Rosa vorgezogen. Die erste Behandlung besteht in der Ablösung der Rinde, in deren lederartig verfilztem Gewebe zahlreiche lose Kalknadeln eingebettet und die Zellen der Polypen, sowie die von ihnen ausgehenden Kanäle ausgehöhlt sind.
Ein Korallenbäumchen ist das vollendetste Vorbild einer rein kommunistischen Gesellschaft; alle Individuen sind durch Röhren und Gefäße miteinander verbunden, und was das eine verdaut, kommt der ganzen Kolonie zugute. Der zentrale Mund eines jeden Polypen führt in einen geräumigen Magensack, der durch acht im Kreise gestellte Scheidewände an die Zelle, in welche sich der Hals und der Kelch der Blumenkrone zurückziehen können, befestigt wird. Auf den Armen stehen zahllose, mikroskopische Wimpern, die einen Strudel erzeugen, durch welchen kleine Körperchen in den Mund eingewirbelt werden. Der Magensack ist an seinem Grunde durch Spalten direkt in Kanäle geöffnet, die in der Rinde ein verzweigtes Netz bilden und sich endlich zu Sammelkanälen vereinigen, welche unmittelbar dem steinigen Kerne aufliegen. Auf den Scheidewänden, die den Magen umstehen, entwickeln sich Eier und Samenzellen; sie sind die Träger der Fortpflanzungsorgane. Meist sind die Stöcke verschiedenen Geschlechtes, das eine Bäumchen männlich, das andere weiblich; doch hat man auch schon Bäumchen gefunden, auf welchen Polypen beiderlei Geschlechtes eingepflanzt waren. Die befruchteten Eier entwickeln sich im Innern der Kanäle zu infusorienartigen Jungen, die über und über mit Wimpern überzogen sind, schließlich durch den Magen und Mund der Polypen hinausschlüpfen in das freie Meer, in diesem einige Zeit herumschwimmen und dann an einem geeigneten Orte sich festsetzen und auswachsen zu neuen Bäumchen.
Die Erzeugnisse der geschlechtlichen Fortpflanzung, auf deren Entwicklung wir später zurückkommen werden, sind also nur zur Versendung nach auswärts, zur Bildung neuer Korallenbäumchen bestimmt, sie tragen zum Wachsthum der ganzen Kolonie nicht das Mindeste bei. Wie aber geschieht dieses?
Um eine genauere Kenntniß der Vorgänge, welche sich bei dem Wachsthum der Kolonie abspielen, zu erhalten, muß man besondere Veranstaltungen treffen und mit dem Rasirmesser die Rinde in seine Schnitte zerlegen, die so durchsichtig sind, daß man sie unter dem Mikroskope beobachten kann. Aber die in der Rinde angehäuften Kalknadeln und das innere Skelett setzen dem Messer zu bedeutenden Widerstand entgegen; sie müssen also durch Säuren aufgelöst und entfernt werden. Erst wenn dies geschehen ist, kann man die Substanz mit Weingeist so härten, daß ihre Zerlegung in feine Schnitte möglich ist. Zeitraubende, wochenlang dauernde Vorbereitungen, die aber schließlich zum Ziele führen!
Das Wachsthum und die Bildung neuer Thierchen, die damit eng verbunden ist, werden durch die Nährgefäße der Rinde vermittelt. Diese sind mit Zellen ausgekleidet, welche eine direkte. Fortsetzung der den Magen auf seiner Innenseite überziehenden Zellen sind. An den Gesäßen bilden sich Erweiterungen, Aussackungen, in welchen die Zellen wuchern, so daß sie oft den ganzen Innenraum der Aussackungen zu erfüllen scheinen. Schließlich bilden diese Zellenwucherungen eine Knospe, an welcher man bald die eingeschlagenen Arme und den inneren Magensack mit den umgebenden Falten wahrnimmt. Diese Knospen drängen gegen die Oberfläche hin, die Aussackung wird zur Zelle, die anfangs noch vollkommen geschlossen ist, während man die Mundöffnung der in ihr steckenden Polypenknospe schon deutlich wahrnehmen kann. Endlich öffnet sich die Zelle auf der warzenförmigen Erhöhung und der Polyp kann nun feine Arme entfalten und Nahrung herbeiwirbeln.
Diese Knospenbildung von innen heraus findet am lebhaftesten an der Spitze der Zweige und an denjenigen Stellen statt, wo neue Zweige gebildet werden sollen, und mit ihr wächst das Bäumchen weiter, wenn es an geschütztem Orte ungestört sich entwickeln kann , in seltenen Fällen bis zu einer solchen Größe, daß der ganze Baum einen Meter Länge und der Stamm fast die Dicke eines Armes erreichen kann. Von solchen Riesenkorallen träumt der Fischer - aber sie wachsen nur im Hintergrunde tiefer Grotten, in welche das „ingegno“ nicht eindringen kann! Während aber die Bäumchen an der Spitze der Zweige fortwachsen, sterben die Polypen an dem Stamme allmählich ab, wie die Knospen an dem Stamme eines Pflanzenbaumes verschwinden.
Niemand weiß, wie lange die Edelkoralle wächst und um wie viel sie in einem Jahre wächst. Gewiß hängt dieses Wachsthum sehr von einer Menge zusammenwirkender Umstände ab, besonders von der reichlichen oder spärlichen Zufuhr der Nahrung. Wahrscheinlich aber wächst die Edelkoralle nur sehr langsam, wie aus dem Umstande geschlossen wird, daß ausgefischte Bänke zwanzig und mehr Jahre lang brach liegen müssen, bevor wieder dort Korallen erbeutet werden können, die verkäuflich sind. So wurde die zwischen Neapel und Capri gelegene Bank, die man neu entdeckt zu haben glaubte, noch zu Zeiten Cavolinis, im Anfange dieses Jahrhunderts, befischt, dann aber aufgelassen und vergessen - die jetzt dort erbeuteten Bäumchen haben keine bedeutende Größe. Vielleicht hängt dieses langsame Wachsthum mit der Festigkeit des harten inneren Skeletts zusammen, das so dicht ist, daß es eine schöne Politur annehmen kann. Andere, nicht benutzbare Korallen mit porösem Skelette scheinen dagegen ziemlich schnell zu wachsen, wie man aus Beobachtungen an untermeerischen Telegraphenkabeln oder an Ankern und ähnlichen Gegenständen schließen kann, die aus dem Meere heraufgeholt wurden.
Die Edelkoralle folgt in der doppelten Fortpflanzungsweise
durch Eier, welche bewegliche Junge hervorbringen, und durch
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_059.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)