Verschiedene: Die Gartenlaube (1891) | |
|
Gärtner ging gebeugt und stützte sich ermattet auf den derben
Knotenstock, demüthig grüßend blieb er stehen. Christian erwiderte huldvoll, er that ihm so wohl, der Gruß Margolds!
„Wohin? Wohin, Alter?“ fragte er mit der barschen Gemüthlichkeit alten Stils.
„Zu Ihnen, gnädiger Herr! Ich brauche Ihren Rath, unser einer kommt nicht mehr mit in der klugen Zeit. Wenn ich den gnädigen Herrn so wie einen einfachen Bauer der Arbeit nachschauen sehe, dann könnte ich weinen vor Zorn.“ Er stieß mit dem Stocke auf.
„Vor Zorn? Ueber mich? Du, Margold? Hat sie Dich auch schon gepackt, die moderne Krankheit?“
„Ueber Sie? Wie können Sie nur so etwas denken, gnädiger Herr! Nein, aus Zorn über meine Kinder – die Kinder eines Arbeiters, denen die Arbeit zu niedrig, eine Schande ist! Es ist ihnen zu schlecht bei mir draußen in Haching, ich soll verkaufen, in die Stadt ziehen – der Stefanelly hat ihnen den Kopf ganz verrückt. Es ist wahr, er bietet eine sündhafte Summe für das Anwesen – aber was nutzt denn das, wenn man nichts dabei im Sinn hat, als flott zu leben, den Herrn zu spielen und nichts mehr zu arbeiten, wie es den jungen Leuten jetzt allen im Kopf steckt! Ein paar Jahre, zehn Jahre vielleicht, und alles ist verlumpt und verludert in der Stadt drinnen! – Da kommen sie nun, um mich herumzukriegen mit Sachen, die mich ganz irre machen. Der Hans will die Loni Weinmann, die Nachbarstochter, heirathen. Ihr Vater hat erst vor ein paar Tagen an den Stefanelly verkauft um ein Heidengeld, und das ist dem Mädel in den Kopf gestiegen, sie will keinen Gärtnerburschen mehr zum Mann haben. Zu meiner Zeit wäre ein Mann viel zu stolz gewesen, so einem Mädel noch nachzulaufen – aber heut’ zu Tage! Mein Hans giebt ihr ganz recht und macht mir Vorwürfe, daß ich seinem Glücke im Wege stehe, und das will ich doch nicht, hei Gott nicht! So fremd einem heutigen Tages seine eigenen Kinder werden, man hat sie ja doch über alles gern! Und dann die Bertl. Das Mädel ist ja so fleißig und brav, hat mir immer Freude gemacht mein Lebtag. auch die haben sie herumgekriegt in der Stadt, und sie ist eigentlich die Hauptsache warum ich hier bin, – ich halt’s für meine Pflicht dem gnädigen Herrn gegenüber. Sie werden mir’s nicht glauben, Sie können’s ja fast nicht glauben, aber es ist doch so, Ihr Herr Sohn, der Herr Theodor, hat ihr den Kopf so voll geschwätzt; Sie wissen ja, gnädiger Herr, die Kinder sind zusammen aufgewachsen, sie haben sich gern gehabt – aber wer hätte denn an etwas weiteres gedacht!“
Brennberg fuhr auf aus seiner geduckten Stellung, in der er, mit dem Kopfe nickend, Margold zugehört hatte.
„Und wer soll denn an etwas weiteres denken?“ fragte er in strengem, kaltem Tone.
„Der Herr Theodor selbst! Ich sag es ja, die ganze Welt steht auf dem Kopf, der Herr Theodor selbst! Sie soll machen, daß ich verkaufe, hat der Herr Theodor meiner Bertl eingeredet, mit einer reichen Bürgerstochter könne heutzutage auch ein Lieutenant von Brennberg verkehren, der ständen alle Häuser offen, und er wolle mit ihr verkehren, er habe sie über alles lieb, und was so ein junger Herr denn halt alles sagt, um einem armen jungen Mädel den Kopf zu verdrehen. Da giebt’s nur zweierlei, was man glauben kann, Euer Gnaden, entweder, er meint’s wirklich ernst, der Herr Theodor – und dann ist es für beide ein Unglück – oder er hat schlimme Absichten mit meinem Kinde, dann – dann – ’s muß heraus, Euer Gnaden, dann ist er ein schlechter Mensch und macht Ihren alten Margold unglücklich! Darum bin ich gekommen, daß Sie dem jungen Herrn den Kopf zurecht setzen, daß Sie nicht eines Tags sagen können: ‚Der alte Margold selber hat dahinter gesteckt!‘ – Gott bewahre mich davor!“
Er seufzte schwer auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn, als er seine Rede beendet hatte.
„Das glaube ich Dir alles aufs Wort, lieber Margold,“ entgegnete Christian; „ich glaube sogar, daß mein Junge die Werbung ernst nimmt. Was kümmert ihn sein Name, sein Stand! Deine Tochter ist hübsch, sie ist auch sehr klug und brav, sie vergiebt sich nichts ihm gegenüber und sie ist eines reichen Mannes Tochter, wenn Du Dein Anwesen verkaufst! Sein Vater, der alte Narr, will ja nicht, und der Bursche steckt in Schulden bis über die Ohren! Befriedigung seiner Leidenschaft, Genuß, Geld um jeden Preis, was sucht er denn sonst? Ich wüßte ein einfaches Mittel, meinem Jungen diese Heirath aus dem Kopf zu bringen: ich bin klüger als Du, verkaufe Schönau an den Stefanelly um ein paarmal hunderttausend Mark, ziehe in die Stadt – und mein Theodor sieht Deine Bertha nicht mehr an! Du bist starr, Margold, nicht wahr? Der alte Brennberg verkauft sein Schönau, die Welt geht unter, meinst Du? Sie geht aber nicht unter wegen des alten Brennberg und dreht sich lustig weiter. Ich sage Dir, Margold, Du bist nicht gescheit, wenn Du nicht verkaufst an den Stefanelly und in Deinen alten Tagen Dir Ruhe gönnst. So lange wird es ja reichen, und dann – was kümmert einen das ‚Dann‘? Bei mir ist es was anderes, ein alter Name, ein uralter Stammsitz – alter Kram, den alles verlacht, verhöhnt und den ich doch liebe! Wenn ich Du wäre, ich würde mich nicht besinnen, ich würde verkaufen und den tollen Tanz der Zeit noch mit meinen grauen Haaren mittanzen.“
Margold zerknüllte die Mütze zwischen den Händen und starrte mit offenem Munde und ängstlichem Blick auf Christian.
„Das sagen Sie, der Herr Christian von Brennberg auf Schönau! Mein Geschäft aufgeben, mit zwei noch rüstigen Armen ein Herumlungerer werden in der Stadt und ruhig zusehen, wie – wie alles das hart mit diesen Händen Erworbene zum Teufel geht, verpraßt wird von meinen Kindern? – Sie sagen das? Ja dann – dann haben sie ja ganz recht, die Bertl und der Hans, dann bin ich wirklich der einzige Blinde auf der Welt! Da muß ich ja laufen, daß ich den Stefanelly nicht versäume!“
Seine Stimme klang wie von zornigem Weinen erstickt, er wandte sich zum Gehen.
„Da schaue hin, Alter,“ – der Gutsherr wies mit dem Reitstock auf die neue Baulinie – „glaubst Du, dem gefräßigen Ungethüm dort könnten wir widerstehen? Unmöglich. Auch Schönau wird und muß fallen! Ich habe alle Hoffnung aufgegeben, es zu erhalten, Deine Nachricht über Theodor beschleunigt nur meinen Entschluß. Für uns zwei handelt es sich um etwas ganz anderes: darum, daß wir mit unseren grauen Haaren nicht von unseren Jungen selbst mit hineingezogen werden in den schwindelhaften Taumel, der jetzt alles beherrscht; das wäre das schmachvollste! In Dir steckt gesundes Arbeiterblut, bei Dir hat das weniger Gefahr, anders ist es bei mir! Mein Großvater war ein Spieler, die Brennbergs waren reich, bis er an das Regiment kam! Wenn nun das alte Laster, das unserem Stamme schon so viel Verderben gebracht hat, wieder zum Durchbruch käme! Mein Theodor kämpft bereits mit ihm, und Dir kann ich es ja sagen, Margold, das viele Geld, das ich für meinen Wald eingenommen habe, beunruhigt mich ganz sonderbar. Das glaubst Du nicht, wenn Du mich so ansiehst in meinem alten Rock und meinen Kappenstiefeln, und doch ist was daran! Ich sage Dir, ich fürchte mich vor mir selbst, darum verkaufe ich nicht, wenn ich nicht muß.“
Margold bekam eine förmliche Angst um seinen alten Herrn; der Schmerz um seinen Wald, meinte er, und der Leichtsinn seines Sohnes konnten ihn wohl verrückt gemacht haben.
„Das verstehe ich alles nicht,“ erwiderte er verwirrt; „aber das sehe ich schon, ich muß nachgeben, und vielleicht kann ich meine Kinder vor dem Taumel bewahren, denn es steckt auch in ihnen Arbeiterblut, denke ich. Nichts für ungut, gnädiger Herr, wegen dessen, was ich von dem Herrn Sohn berichtet habe! Mein Gott, er wird es sich nicht so überlegt haben. Ich hätte gar nichts sagen sollen! Es ist ja zum Lachen – der Herr Lieutenant von Brennberg und die Bertl Margold! Nein zum Lachen!“
Und Margold ging ohne Gruß den Feldweg zurück, den er gekommen war. „Nein zum Lachen!“ klang es noch aus dem Nebel, in dem er rasch verschwand.
Christian blickte seinem alten Gärtner nach und das Wasser trat ihm in die Augen. „Der hält aus! Den kriegen sie nicht unter!“ murmelte er vor sich hin, und in tiefes Sinnen versunken ritt er gegen Schönau zurück.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_064.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)