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Seite:Die Gartenlaube (1891) 072.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


um rückwärts in eine lose zugeknöpfte Schleife zu enden, wie Marie Antoinette es liebte, – diese Erscheinung war in ihrer einfachen Vornehmheit von geradezu packender Wirkung in dieser schimmernden Umgebung.

Mit leichten Schritten, die rechte Hand ihm entgegenstreckend, kam sie auf Wolf zu, und zwei Augen, von deren „scheinbarer Unergründlichkeit“ Leo nicht zuviel geschrieben hatte, sahen dem jungen Arzt ernsthaft prüfend in das Antlitz, als sie um Entschuldigung bat, daß sie vorhin ihn nicht habe empfangen können, weil sie „die Kleine gerade gebadet habe“.

„Das muß die arme Frau immer selbst thun, sie hat keinerlei Hilfe sonst,“ bemerkte Leo ironisch.

„Doch nicht!“ war ihre ruhige Antwort; „ich thue es nur so gern und – seitdem die Kinderfrau die Kleine beinahe verunglücken ließ.“

„Ich bitte Dich, mein Kind, keine derartigen Erinnerungen!“ rief Leo.

Sie wandte sich zu ihm. „Mama beauftragt mich, sie für heute abend zu entschuldigen; sie fühlt sich, glaube ich, nicht ganz wohl.“

„Ich hatte auch gar nicht angenommen, daß Deine Mutter mit uns essen wollte,“ erwiderte er.

Sie sah ihren Mann groß und ruhig an. „Und wo sollte denn Mama sonst speisen, wenn nicht bei uns?“ fragte sie.

Wolf meinte ein Zucken in dem weichen blassen Gesicht zu sehen; es schnitt ihm ins Herz.

„Herr Gott,“ murmelte Leo, „wir sind lauter junge Leute! Ich denke, sie müßte sich langweilen, und anstrengen obendrein.“

„Mutter – sich langweilen? Sie, welche die Jugend so gern hat?“ Und dunkel erglühend wandte sie sich dem Kamin zu, um einen brennenden Ast, der etwas vorgerutscht war, zurückzuschieben.

„Dafür ist kein Verständniß vorhanden,“ murmelte Leo ärgerlich und verschwand in dem anstoßenden Raum, einem kleinen Gemach, dessen braune goldgepreßte Ledertapete einen sehr wirkungsvollen Gegensatz zu dem leuchtenden Gelb des Empfangszimmers bildete.

Antje brauchte eine ganze Weile, um das widerspenstige Buchenscheit in die gehörige Lage zu bringen und die bewußten zwei Tropfen zurückzuzwingen, die sich ihr in die Augen gedrängt hatten. Jetzt erst begriff sie die Weigerung der alten Dame, an der Gesellschaft theilzunehmen; Leo hatte es ihr wohl sehr nahe gelegt, daß er sie nicht wünsche. Antje empfand es so schmerzlich, als wäre diese Unart ihr persönlich zugefügt worden. Was sollte der Fremde davon denken?

Als sie sich umwandte, stand dieser, ihr den Rücken kehrend, vor einem großen Gemälde, das ein paar nackte, weinlaubbekränzte Putten darstellte, die um und auf einem behaglich ruhenden Panther spielten. „Wie köstlich das rosige Fleisch dieser kleinen Uebermüthigen gemalt ist,“ sagte er, „sehen Sie nur, gnädige Frau, diese Grübchen in den dicken Patschhändchen da, ist das nicht herzig?“

Sie trat dicht neben ihn, ein liebes trauriges Lächeln auf dem blassen Gesicht. „Es ist richtig,“ sagte sie, „die Hand ist so wahr gezeichnet, genau wie die meiner kleinen Leonie.“ Dabei verschwand das traurige Lächeln.

„Darf ich das Kind morgen besuchen?“ fragte er ernsthaft.

Sie nickte eifrig. „Ja, Herr Doktor, bitte! Ich werde es in mein Zimmer bringen lassen, denn Sie holen morgen hoffentlich den mir zugedachten Besuch nach?“

„Ich muß bitten, daß ich im Gemach des kleinen Fräuleins empfangen werde,“ sagte er und schaute ihr mit seinen blauen Augen gutmüthig lächelnd in das Gesicht, „nachdem ich,“ setzte er hinzu, „der Frau Mama in ihrem Zimmer meine Aufwartung gemacht habe, wo ich auch Ihrer verehrten Frau Mutter zu begegnen hoffe.“

Sie empfand diese liebenswürdigen Worte, als wären sie ein Verband, den ihr jemand auf eine wunde Stelle legen wollte, um den Schmerz zu lindern, und der doch noch mehr Weh verursachte, als wenn die Wunde unbeachtet geblieben wäre. „Meine Mutter wird sich freuen,“ antwortete sie kühler, und dann schritt sie rasch einer Dame entgegen, die, begleitet von einem riesengroßen blonden Herrn, herein – Wolf fand keinen passenderen Ausdruck für ihre Art zu gehen – herein gaukelte. Es war wirklich etwas Schmetterlingartiges, Spielendes in der Erscheinung der schlanken, fast zu schlanken brünetten Frau; sie trug ein weißes Kleid, das außer einem unmöglich engen, in einer langen Schleppe endigenden Rock eine Art Blusentaille mit weiten bauschigen Aermeln zeigte und der Trägerin außerordentlich gut stand. Ueber dem etwas zu hohen Stehkragen, den kleine Brillantnadeln zusammenhielten, saß ein zierlicher Kopf mit kurz geschnittenem Haar, zu welcher jungenhaften Tracht die kleinen brillantgeschmückten Ohren einen drolligen Gegensatz bildeten. Das Gesicht war blaß, von dunklen Augen belebt, die halb muthwillig, halb schmachtend in die Welt schauten. Die Nase war sehr kurz und gerade; die blutrothen Lippen schienen beständig zu lächeln, aus keinem andern Grunde, als um zwei Reihen spitzer, weißer, sehr unregelmäßiger Zähne sehen zu lassen, die sich wirklich allerliebst ausnahmen. In der Hand hielt sie an langem Stiel einen kreisrunden Atlasfächer, auf den ein Rokokobildchen gemalt war.

„Ich bitte Sie, liebste Frau Jussnitz,“ rief sie, „setzen Sie meinen Vetter heute abend an das entfernteste Ende der Tafel; er ist auf dem Wege hierher so außergewöhnlich unartig gewesen, daß ich am liebsten vergessen möchte, ihn hier zu wissen.“ Dabei bekam der riesenhafte Vetter, der sich lächelnd den blonden Bart strich, einen sehr lustigen Blick aus den schwarzen Augen seiner Feindin.

Jussnitz stellte die Herrschaften einander vor. Ehe noch Wolf die üblichen kurzen Höflichkeitsphrasen mit der Baronin gewechselt hatte, waren zehn bis zwölf Herren versammelt, die theils Uniform, theils Civil trugen und alle möglichen Stände vertraten.

Die Baronin und Antje waren die einzigen Damen unter ihnen. Die erstere hatte, auf einem Sofa Platz nehmend, sofort die ganze Wolke der Herren um sich.

Wolf, der sich nach Antje umsah, erblickte die junge Frau im Nebenzimmer, wo sie dem Diener irgend eine Weisung ertheilte. Sie kam nach einer Weile herüber und setzte sich auf den äußersten Sessel des Kreises, als sei sie nicht dazu gehörig, und ihre Augen sahen wie abwesend in weite Fernen. Wolf rückte seinen Stuhl zu ihr und versuchte, ein Gespräch anzuknüpfen, indem er von seinen Reisen zu erzählen begann. Sie schaute ihn aufmerksam an, während er sprach, aber sie ging mit keinem Wort auf den angeregten Gegenstand ein. Als er auch die Schilderung eines Weihnachtsabends in Rio ohne Erfolg gegeben hatte, verstummte er; er fühlte sich müde von der Reise und fand es ganz angenehm, zu schweigen.

Sie schien sein Verstummen gar nicht zu bemerken. Das Lachen der kleinen Baronin, dem jedesmal ein Gelächter der Herren folgte, scholl immer öfter durch den Raum.

„Gnädige Frau sind bereits vor Tisch in einer brillanten Laune,“ rief ein blutjunger Kavallerieoffizier, „was wird es da nachher noch geben!“

„So bin ich immer, lieber Osten, wenn ich mich recht geärgert habe,“ erwiderte die junge Frau, und noch lachend legte sie die Hand in den Arm des Hausherrn, der sie zu Tisch führte. Im Hinausgehen wandte sie den Kopf und sah zu ihrem Vetter hinüber, wobei blitzgeschwind ihre kleine spitze Zunge zwischen den rothen Lippen erschien und das muthwillige Gesichtchen unter dem kurzen Haar täuschend dem eines unartigen Buben glich.

„Unglaublich!“ murmelte der blonde Riese mit seelenvergnügtem Ausdruck. – –

Antje saß oben an ihrem Hausfrauenplatz; rechts von ihr Maiberg, links ein älterer Maler mit langem Künstlerhaar und interessantem, aber sehr verdrießlichem hageren Gesicht, der sich im stillen beharrlich wunderte, warum er, der doch wirklich etwas geleistet hatte im Leben, hungern mußte, während so ein Grünschnabel wie Jussnitz vom Schicksal in Sammet und Seide hineingesetzt wurde. Solche Betrachtungen hinderten ihn indessen nicht, sich die Austern recht gut schmecken zu lassen.

Die Baronin hatte sofort die Unterhaltung an sich gerissen, ihre helle glockenklare Stimme schwebte beständig über dem Lachen der Herren; sie schien heute besonders gut aufgelegt.

(Fortsetzung folgt.)




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_072.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)
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