Verschiedene: Die Gartenlaube (1891) | |
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In der Wunde fehlt jede Eiterung, wenn die Impfung wirklich mit einer Reinkultur vorgenommen wurde. Die Bacillen sind nur in der unmittelbarsten Nähe der Wunde aufzufinden oder sind inzwischen zu Grunde gegangen. Sie haben eben an Ort und Stelle, ohne weiter den Körper zu durchdringen, das furchtbare Tetanusgift erzeugt, welches sich von hier aus über den ganzen Körper verbreitet und nach und nach den Tod herbeiführt.
So wurde das Wesen des Wundstarrkrampfes enträthselt. Die Keime des Tetanusbacillus sind in der Natur sehr verbreitet. Sie finden sich häufig in oberflächlichen Schichten der Gartenerde, ebenso hat man sie in verfallenem Mauerwerk, in faulenden Flüssigkeiten, sowie im Dunge nachgewiesen. Die französischen Forscher haben namentlich auf ein sehr häufiges Vorkommen des Tetanusbacillus in Pferdeställen aufmerksam gemacht, wodurch die vielen Tetanuserkrankungen bei französischen Kavalleristen ihre Erklärung finden. Ob es außer diesem bacillären Tetanus noch einen anderen, der durch andere Ursachen bedingt wird, den sogenannten „idiopathischen“ Tetanus, giebt, werden erst weitere Untersuchungen ergeben können.
Nachdem auf diese Weise das Wesen der Krankheit ergründet worden war, versuchten Dr. Kitasato und Stabsarzt Dr. Behring, Heil- und Schutzmittel gegen dieselbe zu finden. Sie führten ihre Arbeiten in dem hygieinischen Institut von Robert Koch in Berlin aus.
Es gelang ihnen, indem sie Versuchsthiere mit Jodtrichlorid behandelten, Kaninchen und Mäuse gegen das Tetanusgift zu „immunisiren“, d. h. gegen dasselbe unempfänglich zu machen. Das Blut der so behandelten Thiere besaß von nun an tetanusgiftzerstörende Eigenschaften.
Gewöhnlich genügen 0,5 kcm einer bestimmten Tetanusbacillenkultur, um ein normales Kaninchen ganz sicher am Tetanus zu Grunde gehen zu lassen. Dem immunisirten Kaninchen wurden 10 kcm von derselben Kultur eingespritzt – es erhielt somit das 20fache der sicher tödlichen Dosis - und es blieb ganz gesund.
Das Blut dieses Kaninchens erhielt und behielt wunderbare Eigenschaften. Mit frischem Blute desselben wurden Mäuse geimpft. Nun wurden nach 24 Stunden dieselben sowie zwei gar nicht vorbehandelte Kontrolmäuse mit Tetanusbacillen inficirt. Die Kontrolmäuse starben nach 36 Stunden an Tetanus; die mit dem immunen Kaninchenblut behandelten blieben gesund.
Nun wurde dem immunisirten Kaninchen Blut entnommen und dieses stehen gelassen. Es ist bekannt, daß unter solchen Umständen das Blut sich verändert: es gerinnt und es erfolgt nunmehr die Theilung in den festen rothen Blutkuchen, in dem die Zellenelemente des Blutes, die Blutkörperchen, enthalten sind, und in das Serum, eine fast farblose oder leicht bernsteingelbe Flüssigkeit. In dem Serum sind nun die tetanusgiftzerstörenden Eigenschaften enthalten.
Zu Versuchen mit Serum wurde eine zehntägige sehr giftige Tetanuskultur genommen. Man filtrirte dieselbe durch die Porzellanfilter und erhielt so eine keimfreie Flüssigkeit, in der sich keine Bacillen, wohl aber die von ihnen gebildeten Gifte befanden. Fünf Hunderttausendstel (0,00005) Kubikcentimeter dieser Flüssigkeit genügten, um eine Maus nach 4-6 Tagen, und 0,0001 kcm, um dieselbe nach weniger als 2 Tagen zu tödten. Nun wurde ein Theil dieser Giftflüssigkeit mit 5 Theilen des immunisirten Blutserums vermischt und die Mischung 24 Stunden stehen gelassen. Von dieser Mischung erhielten alsdann 4 Mäuse je 0,2 kcm. Es war also darin die 300fache Menge der für eine Maus unter gewöhnlichen Umständen sicher tödlichen Dosis von Tetanusgift enthalten! Aber alle diese Versuchsmäuse blieben dauernd gesund; denn das Blutserum, welches einem immun gemachten Thiere entnommen war, hatte das Tetanusgift schon außerhalb des thierischen Körpers unschädlich gemacht! Die so behandelten Mäuse wurden aber selbst gegen Tetanus immun, sie hatten eine Schutzimpfung durchgemacht; denn wie oft man sie auch mit großen Mengen von Tetanusbacillen impfte, sie blieben dauernd gesund, zeigten nicht eine Spur von Erkrankung.
Mit diesem Serum von tetanusimmun gemachten Thieren wurden auch sichere Heilwirkungen erzielt, indem man die normalen Thiere zuerst mit Tetanusbacillen inficirte und erst nachträglich das giftzerstörende Serum mit bestem Erfolg einspritzte. „Auch wenn schon mehrere Extremitäten tetanisch geworden sind,“ schreibt Dr. Behring in der „Deutschen medizinischen Wochenschrift“, „und nach den sonstigen Erfahrungen der Tod der Mäuse in wenigen Stunden zu erwarten ist, falls keine Behandlung eintritt, selbst dann gelingt es noch mit großer Sicherheit, die Heilung herbeizuführen, und zwar so schnell, daß schon in wenigen Tagen nichts von der Erkrankung zu merken ist. – Die Möglichkeit der Heilung auch ganz akut verlaufender Krankheiten ist danach nicht mehr in Abrede zu stellen.“
Diese Erfolge reihen sich in würdiger Weise der Entdeckung Robert Kochs auf dem Gebiete der Behandlung der Tuberkulose an; sie sind von der weittragendsten Bedeutung, denn sie gehören gleichfalls zu den Fortschritten, welche eine neue Aera der Medizin eröffnen. Man ist jetzt mit Schlüssen vom Thierexperiment auf den Menschen vorsichtiger geworden, aber über kurz oder lang werden die Erfolge auch beim Menschen nicht ausbleiben. Ueber kurz oder lang wird eine der fürchterlichsten Krankheiten, eine großartig traurige Niederwerfung des Menschen durch ein winziges Bacillenstäubchen, heilbar sein - eine Krankheit, bei der 90% der Befallenen bis jetzt zu sterben pflegen! Der Wundstarrkrampf ist in seinen Erscheinungen ebenso düster und tieferschüttert wie die Hundswuth – aber er kommt viel häufiger als die letztere vor. Dies läßt uns den neuen Erfolg der unermüdlichen Forscherschar in dem hygieinischen Institut zu Berlin erst im rechten Licht erscheinen.
Aber weit wichtiger ist es noch, daß dieselben Methoden es gleichfalls möglich machen, auch die Diphtherie zunächst bei Thieren zu bekämpfen, wie wir dies in unserem ersten Artikel in Nr. 2 dieses Jahrgangs der „Gartenlaube“ auseinandergesetzt haben. Es ist uns, als ob Märchenträume in Erfüllung gingen, und wir möchten ausrufen: „O Zeitalter, in dem wir leben!“
C. F.
Neunzig Jahre Frauenmode.
Der Stahlreifrock, auf den bald der Name Krinoline fälschlich übertragen wurde, erschien seit 1856. Fast zwanzig Jahre hat er die Welt der Frauenmode beherrscht. Millionen wurden an seiner Herstellung verdient, bis in die unteren Stände griff er durch, den Geschmack aller Nationen umbildend. Lange vorher erhob sich in der Presse, in der Gesellschaft ein Wehgeschrei, ehe er kam. Man ahnte ihn voraus und machte drei beschwörende Kreuze. Selbst die Modenblätter verwahrten sich feierlich dagegen, daß eine vornehme Dame je den Reifrock tragen werde. Aber bereits 1858 sagt die „Allgemeine Modenzeitung“, die Gegner des neuen Kleidungsstückes seien schon still geworden, bekehrt, gewonnen, da sie einsähen, daß ein nicht fächerförmig sich entfaltender Rock „unangenehm absteche“. Im Jahr 1859, höhnt dasselbe Blatt bereits die Bestrebungen, welche in Deutschland gegen die Nachahmung der Pariser Mode, durch den österreichischen Krieg hervorgerufen, kurze Zeit wirkten. Dann, 1860, wird die Form des Reifrockes geändert, er erscheint nicht mehr als Glocke, sondern als umgestülpter Trichter – was womöglich noch häßlicher wirkt; 1862 treten die jupes cages auf, welche namentlich die Engländer Thomson u. Comp. meisterhaft anfertigten; ihre Eigenart lag darin, daß sie vorn wenig, hinten aber um so mehr abstanden.
„Cage“ heißt „Käfig“. Der Reifrock bestand nämlich nicht nur aus 37 wagrechten ovalen Reifen, sondern auch aus acht lothrechten. Er bildete also einen Stahlkäfig, welcher frei für sich stand und dem Hinsetzen einen ganz entschiedenen Widerstand entgegenstellte. Noch 1867 waren die jupes cages in vollem Gebrauch. Der Hauptbügel, welcher dem Reifrock die stark geschwungene Haltung für die Schleppe gab, war 1,02 Meter lang,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_075.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2023)