Verschiedene: Die Gartenlaube (1891) | |
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Ein Sklavenaufstand vor zweitausend Jahren.
Wenn wir von dem Standpunkt unserer heutigen Anschauungen aus auf die Skavenaufstände im alten Rom zurückschauen, fühlen wir uns versucht, in ihnen das Aufleuchten einer höheren Auffassung von der Würde des Menschen, eine gewaltsame Auflehnung gegen die moralische Erniedrigung, welche für unser Gefühl in dem Begriff der Sklaverei liegt, zu erblicken. Und doch ist dem nicht so; die Befreiungsversuche jener kühnen Häuptlinge Ennus, Athenio, Spartacus, welche am Ende des zweiten
und Anfang des ersten Jahrhunderts vor Christi Geburt die Sklaven in Massen zur Erhebung gegen ihre Herren riefen, wurden nicht im Dienste der Menschenwürde unternommen, die Opfer, welche in dem Kampfe auf Seite der Sklaven fielen, sind keine Märtyrer einer höheren Idee. Denn an eine Verurtheilung des Sklaventhums an sich dachte noch kein Mensch in jenen Zeiten. Die Skavenaufstände waren nichts als Gegenstöße gegen eine überaus brutale Art der Behandlung, Gegenstöße, die durch das
Machtbewußtsein, welches die Masse verleiht, begünstigt waren. Denn es war eine unglaublich verrohte Zeit, eine der trübsten Perioden der römischen Geschichte, selbst die Kaiserzeit eingeschlossen, welche dieses Schauspiel der wider den Stachel löckenden Sklaven sah. Mehrere Menschenalter hindurch hatten Bürgerkriege und innere Umwälzungen den Staat zerrüttet, und die bösen Früchte einer solchen Saat, namenlose Verwilderung der Sitten, Raub und Gewaltthat auf allen Seiten, Zerrüttung der staatlichen Kräfte, blieben nicht aus.
In diese Zeit wüster Gährungen im Innern fällt nun auch die Sklavenerhebung des Jahres 73 v. Chr., deren Seele der Thracier Spartacus gewesen ist – die größte und blutigste, welche das Alterthum kennt. Sie schien eine Zeitlaug ihre Wellen sogar gegen Rom selber wälzen zu wollen, und den Bewohnern lag der Schreck in den Gliedern wie damals, als Hannibal mit seinen Scharen die Richtung gegen die Hauptstadt nahm und die Späher schon den Staub der Kolonnen in der Ferne wollten aufwirbeln sehen. Die Furcht war beidemal nicht ungegründet, und welche Greuel die entfesselten siegesberauschten Skavenhorden in der Weltstadt verübt haben würden, davon gab das Schicksal einiger kleiner von ihnen eingenommener Landstädte einen Vorgeschmack. Man weiß leider nur zu gut, was sich „regelrechte Heere“ im Siegestaumel gegen die Ueberwundenen erlaubt haben – und nun vollends diese zügellosen Horden, welche durch Mißhandlung zur Verzweiflung, durch Verzweiflung zur Empörung getrieben waren und wußten, welches Los ihnen bevorstand, wenn sie ihren Peinigern unterlagen, wußten, daß es in ihrer Hand lag, sich an diesen Peinigern zu rächen. Man kann sich denken, in welche Orgien der lang verhaltene Rachedurst ausgeborsten wäre!
Vor diesem Gedanken graute auch den Römern. Es war diesmal eine besondere Gattung von Skaven, welche sich frei zu machen suchten: sogenannte Gladiatoren (Fechter), deren trauriges Handwerk darin bestand, zur Belustigung des Volkes nach den Regeln der Kunst ihre eigenen Brüder abzuschlachten oder von ihnen abgeschlachtet zu werden. Diese Kunst wurde in „Fechtschulen“ gelernt, und in solchen häuften sich, je nach Bedarf und Angebot der „Ware“, ganze Scharen von Gladiatoren zusammen, um von ihren Herren bei dieser oder jener Gelegenheit – es gab deren bei dem grausamen, erbarmungslosen Sinn der Italiker mehr als genug – vermietet zu werden. In der Nähe besehen – es bedurfte nicht einmal scharfer Augen! – war es nichts mehr und nichts weniger als ein Handel mit Menschenfleisch. Die Summe, welche für einen verwundeten oder getödteten Fechter zu bezahlen war, wurde zum voraus festgesetzt; das Schicksal des Besiegten, ob Tod oder Leben, lag gewöhnlich in den Händen der Zuschauermenge, und zwar buchstäblich in einer Handbewegung, dem Aufheben eines Fingers, was Leben, oder dem Senken des Daumens, was Tod bedeutete. Dagegen lag es in der Hand ihres „Herrn“ und ihres Fecht- oder Drillmeisters, ihnen das Leben erträglich oder aber zu einer beständigen Folterqual zu machen; nur eines konnte auch die erbarmungsloseste Behandlung nicht versagen: genügende und kräftige Nahrung. Die Leute mußten, um eine „gesuchte Ware“ zu werden, etwas leisten können, und dieser Kraftaufwand war nur möglich bei guter Kost. Was also in dieser Hinsicht geschah, hat mit Milde oder Herzensgüte nicht das mindeste zu schaffen, sondern entsprang bloß berechnender Selbstsucht.
Eine solche Fechtschule hielt in Capua (in der Landschaft Campanien) ein gewisser Lentulus – einer von der schlimmen Sorte, der seine Sklaven das ganze Elend der Leibeigenschaft kosten ließ. Der Qualen müde, ließen diese sich von dem Thracier Spartacus überreden, aus ihrem Kerker – denn einen andern Namen verdienten ihre Wohnräume kaum – auszubrechen und sich durch die Stadt und die Landschaft durchzuschlagen. Ihr nächstes Ziel war der Vesuv, in dessen Schluchten sie sich einstweilen sicher fühlen durften. Ein glücklicher Zufall hatte ihnen unterwegs einen mit militärischen Waffen beladenen Wagen in die Hände gespielt; auch wer ihnen sonst bewaffnet begegnete, mußte sichs gefallen lassen, daß über das Mein und Dein keine langen Unterhandlungen gepflogen wurden.
Uebrigens läßt sich aus unseren Quellen kein fertiges Bild zusammensetzen; sie genügen nur zu einem Schattenriß, und auch dieser leidet an Lücken und unsicheren Linien. Ob die Schar ursprünglich bloß dreißig, oder ob sie siebzig und mehr Mann zählte, ist freilich von wenig Belang, denn jedenfalls schwoll sie schon auf dem Weg zum Vesuv zu einem ordentlichen Trupp an; gleich und gleich gesellt sich gern, und Räuber und Hirten – beides wohl auch in einer Person – ließen sich willig finden, mitzumachen. Aber was viel wichtiger ist: des Banditen- oder, wenn man lieber will, Feldhauptmanns Spartacus „Charakterbild schwankt in der Geschichte“. Natürlich! war er doch nur ein Sklave – und wer wird sich um einen solchen weiter kümmern, wenn er einmal zertreten ist! Sicher ist: er war von Anfang an Kopf und Seele des Aufstandes und blieb es; vom Rädelsführer war er zum Anführer aufgestiegen. Er verstand, als früherer Soldat, etwas vom Kriegshandwerk; freilich hatte er wenig Geschmack daran gefunden, denn er war fahnenflüchtig geworden und hatte dann als Räuber in den Bergen „ein freies Leben“ geführt, bis er schließlich wieder eingebracht und zur Strafe in die Sklaven- und Fechterjacke gesteckt worden war. Um die Bande, die unter seinem Kommando stand, eine aus aller Herren Ländern zusammengewürfelte Masse ohne Zweifel höchst ungezügelter Gesellen, Jahre lang in Zucht und Ordnung, kriegsgeübte Truppen wie die römischen im Schach und ein Land wie Italien im Bann des Schreckens zu halten, dazu bedurfte es eines nicht gewöhnlichen Maßes persönlicher Tüchtigkeit, und wenn seine Maßregeln schließlich durch Zwiespalt im eigenen Lager vereitelt wurden und sein Glück an den ehernen Heersäulen der Römer in Scherben ging, so trifft den Spartacus kein Vorwurf; es mußte, wie die Dinge lagen, so kommen, das Gegentheil wäre ein Wunder gewesen. Und es war ein Glück für Rom, für die Welt, daß dieses Gegentheil nicht eintraf. Es sei anderen überlassen, hier allerlei erbauliche oder unerbauliche (jedenfalls aber nutzlose!) Betrachtungen darüber anzustellen, was alles in jenem Falle hätte geschehen und zu Grunde gehen können oder müssen – der Eindruck, den wir vom Wesen jenes Sklavenhäuptlings empfangen, wird durch solche Ueberlegungen nicht abgeschwächt, und wenn er vollends, wie uns berichtet wird, seinen wilden Gesellen gegebenen Falles Milde und Schonung predigte und ihre Raub- und Mordlust zu dämpfen suchte, so werden wir sein ganzes Thun nicht nur begreifen, sondern sogar billigen, ja, wir werden ihm etwas wie Bewunderung kaum versagen können.
Der Bandenführer Spartacus war vielleicht – wer weiß es? – nicht nur in seiner Art und in seiner Umgebung ein Held, er verdient möglicherweise diesen Titel im besten und absoluten, nicht bloß im relativen Sinne des Wortes. Wir lesen sogar, ohne daß Grund vorhanden wäre, dieser Nachricht zu mißtrauen, daß er es gar nicht auf Plünderung und Beute abgesehen habe; er habe kein anderes Ziel verfolgt, als sich glimpflich durch Italien durchzuschlagen und sich und seinen Genossen den Weg in die Freiheit zu bahnen, diese aber, vom Glück des Augenblicks trunken und verblendet, hätten ihn gezwungen, einen andern Weg zu gehen, den des sicheren Untergangs. Hierüber ins Klare zu kommen, ist für uns unmöglich, und unmöglich war es schon für ein römisches Gehirn, einem Sklavenführer
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_158.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)