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Seite:Die Gartenlaube (1891) 252.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Theodor achtete nicht weiter darauf; bei der Antwort Lonis: „Ich säume nicht,“ mußte er aber lachen, es klang so komisch ernst und es lag ein so sonderbarer Nachdruck darin, als handelte es sich um eine große That. Sie sah ihn erstaunt an.

„Säumen Sie nicht!“ sagte scherzend Theodor, den eigenthümlichen Ton nachäffend. „Es gilt eine Bowle!“

Jetzt lachte Loni mit. „Wollen Sie mitgehen und meine Kunst bewundern, von welcher Stefanelly so viel Aufhebens – doch nein, ich lasse mir mein Geheimniß nicht abgucken, aber begleiten dürfen Sie mich bis vor die Pforte des Heiligthums!“

Theodor folgte der Einladung. Sie gingen die große Freitreppe hinab, dann durch einen engen Gang. Niemand begegnete ihnen dort.

„Wie unvorsichtig von Stefanelly, das Haus, in welchem solche Schätze liegen, so unbewacht zu lassen,“ sagte Theodor, dem es allmählich an der Seite dieses Weibes unbehaglich wurde, „wie leicht könnte sich das jemand zu Nutzen machen!“

Der weiße Arm Lonis zuckte in dem seinen.

„Dafür wird schon gesorgt sein, beruhigen Sie sich!“

Endlich waren sie an der Küche.

Theodor athmete auf und empfahl sich rasch. Er sah Loni noch die Küche betreten und stieg dann eine schmale Treppe hinauf, die wohl nach oben führen mußte.

Bertha hatte ihren Gatten nicht mehr aus den Augen gelassen. Sie glaubte, die kecken Worte zu hören, die Loni ihm ins Ohr flüsterte, sie beobachtete das katzenartige Streicheln mit dem Fächer, die Gluth in seinen Wangen, und sie dachte in ihrer Herzensangst schon, dazwischen zu treten, als sie zum Glück von einigen Damen in die Unterhaltung gezogen wurde, über welcher sie das Paar aus den Augen verlor.

Als sie dasselbe nach wenigen Minuten wieder suchte, war es nirgends mehr zu finden. Sie durcheilte alle Nehenräume, der Schmerz jäher Eifersucht ergriff sie und trieb sie rastlos umher.

Nach den beiden zu fragen, schämte sie sich. Im ersten Stock waren sie nicht, so ging sie unbemerkt die Treppe hinab und durch denselben engen Gang, welchen Theodor mit Loni durchwandert hatte und welcher in den alten Theil des Stefanellyschen Hauses führte. Verschobenes Winkelwerk, kleine Treppen, ein Gewirr von sich kreuzenden Seitengängen nahm sie auf. Sie befand sich plötzlich völlig im Dunkeln und lauschte ins Leere. Was wollte sie hier? Sie wußte es selbst nicht mehr und tappte nur vorwärts, um wieder ins Freie, zu Menschen zu kommen. Da drang ein dumpfer Ton an ihr Ohr, er schien von unten zu kommen, ein metallisches Hämmern, ein Kratzen und Rascheln – der Athem stockte ihr. Sie folgte dem unerklärlichen Lärm – er wiederholte sich in kurzen Zwischenräumen und wies ihr den Weg in einen Seitengang, eine Treppe hinab. Ein kalter Luftzug wehte herauf – rechts aus einem dunklen Gang quoll leiser Lichtschimmer hervor. – Auf den Fußspitzen schlich sie ihm nach – jetzt klang es wie das Bersten irgend eines spröden Gegenstandes – dann fiel klirrend irgend etwas zu Boden –: „Diebe im Kassengewölbe!“ durchzuckte es sie. Sie wollte schreien, aber die Angst hielt sie ab. Zurück, lautlos, wie sie gekommen, und Alarm gemacht, das war das Beste! Schon war sie die Treppe hinaufgeeilt; unten war es schon wieder still, die Verbrecher ruhten offenbar in der Arbeit. Da plötzlich nahm der Lichtschimmer zu, es näherte sich etwas. Lähmender Schreck erfaßte sie, die Füße versagten ihr den Dienst. Wenn die Diebe sie hier entdeckten, so war sie verloren. Immer näher flammte der Lichtschein, deutliche Tritte ertönten, ein unerklärliches Rauschen – es war zu spät zum Entkommen, halb bewußtlos vor Angst flüchtete sich Bertha in eine dunkle Nische. Der Lichtbogen an der Decke über ihr vergrößerte sich, schon hörte sie hastiges Athmen – zu einem Knäuel sich zusammendrückend, starrte sie auf die Treppe – da mußte sie die Hand vor den Mund pressen, um nicht aufzuschreien: ein Licht erschien, ein bloßer Arm lehnte sich an die gegenüberliegende Mauer, er war von schmutzigen Flecken bedeckt, eine hohe Frisur, rothe Blumen darin, hob sich und blieb einen Augenblick regungslos – Bertha kannte diese Blumen – ein schwerer Seufzer wie nach einer großen Anstrengung drang herauf, dann bewegten sich die Blumen und der Arm. Lonis erhitztes Antlitz erschien über der Brüstung, ihr schweres Seidenkleid, über welchem eine große Küchenschürze hing, rauschte über die Stufen herauf.

Bertha zuckte ein furchtbarer Gedanke durch den Kopf. Sie hatte keine Angst mehr, entdeckt zu werden, sie sah nicht mehr auf die sich entfernende Gestalt, sie lauschte nur, ob ihr nicht jemand folge – Theodor! Schon herrschte wieder völlige Dunkelheit und sie lauschte noch immer; das Entsetzliche war wenigstens nicht wahr, was sie eben gedacht hatte! Sie hatte Theodor völlig Unrecht gethan, und die Freude darüber, daß sie sich getäuscht hatte, war so groß, daß sie im ersten Augenblick das unerklärliche Erscheinen Lonis an diesem Platz, das Geräusch, das sie aus dem Gewölbe gehört hatte, ganz vergaß. Erst als sie sich mit Mühe aus dem Labyrinth herausgefunden und das hellerleuchtete Stiegenhaus betreten hatte, fiel es ihr wieder ein. Die Erinnerung an die Angst vor den Dieben, den Einbrechern kam ihr wieder, noch zog ein Frösteln durch ihren Körper. Es waren ja aber keine Einbrecher gewesen, sondern Loni, und das Gerausch – dieses Knirschen und Kratzen, wo hatte sie das doch schon gehört? Sie mußte unwillkürlich an die Schlosserwerkstätte zu Hause bei Bergmanns denken; gerade so hatte sie es dort vernommen, als der junge Schlosser Georg mit dem fiebernden Blick von der goldstrotzenden Kasse erzählte – wenn er? – Aber wie kam dann Loni da herauf! Warum diese Hast in ihrer ganzen Erscheinung, woher der Arm mit den dunkeln schmutzigen Flecken – –?

Als Bertha wieder unter die Gesellschaft trat, war sie fest entschlossen, kein Wort von dem eben Erlebten zu sprechen, sondern nur zu beobachten; Loni mußte ja wieder erscheinen. Und richtig trat sie kurz darauf herein; Bertha glaubte zu bemerken, daß sie mit Stefanelly einen langen Blick wechselte. Auf ihrem Arm sah man noch deutlich einige dunkle Stellen, trotzdem er offenbar abgewaschen worden war. Sollte Loni selbst der Einbrecher gewesen sein? Aber wozu denn? Stefanellys Reichthum stand ihr ja zur Verfügung! Das hätte sie noch eher ihrem eigenen Bruder, dem verdorbenen Hans, zugetraut, der, in sein Kartenspiel vertieft, im Nebenzimmer saß. Am Ende war an der ganzen Sache nichts! Weiß Gott, was Loni geholt haben mochte, sie war ja die Hausfrau. Vielleicht war der Weinkeller da unten.

Jetzt trat Theodor zu Loni und Bertha gesellte sich wie zufällig zu ihnen.

„Nun, ist das Kunstwerk vollendet?“ fragte Theodor.

„Welches Kunstwerk, wenn man fragen darf?“ wandte sich Bertha an Loni.

„Eine Bowle, Bertha,“ entgegnete Theodor, „in welcher Deine Frau Schwägerin Meisterin sein soll.“

„Und die ich eben in der Küche selbst gebraut habe,“ vollendete Loni; „man kann so etwas nicht den Leuten überlassen.“

„In der Küche?“ fragte unwillkürlich Bertha.

„Wo denn sonst?“ entgegnete Loni.

„Ich dachte nur, es könnte ja auch wo anders, etwa im Keller gewesen sein.“ Und Bertha beobachtete bei diesen Worten Loni scharf, der eine Blutwelle ins Gesicht stieg.

Im Saale ordneten sich die Paare zur Quadrille, die Damen wurden geholt und daher das Gespräch abgebrochen. Bald darauf boten die Diener wirklich eine köstlich duftende Ananasbowle an.

Die Herren gruppirten sich um die frische Quelle selbst, eine riesige Bronzeschüssel auf einem Kredenztische, und Stefanelly brachte die Gesundheit der Damen aus. Man pries die Verfasserin dieses „köstlichen Gedichtes aus Champagner, edlem Wein und Ananas“, wie die Excellenz den Trank nannte, alles war in heiterster Laune. Auch Bertha dachte nicht länger mehr an das Erlebte, denn ohne Zweifel hatte Loni irgend welchen Bedarf zu dem Gebräu aus irgend einer Vorrathskammer geholt; vielleicht hatte dabei ein Schloß widerstanden, so daß sie es gewaltsam hatte aufbrechen müssen – daher wohl das verdächtige Geräusch. Wie kindisch von ihr, gleich an Diebe und Einbrecher zu denken.

Nur ihr Schwiegervater machte ihr Sorge. Stefanelly hatte offenbar den Alp noch immer nicht von seiner Brust genommen, und dem alten Mann gelang es nicht, seine Angst zu verbergen, sie schien eher gewachsen zu sein. Unstät irrte sein Blick ümher, eine unbestimmte qualvolle Erwartung lag in dem abgespannten bleichen Antlitze, dem auch das feurige Getränk keine Farbe verlieh.

Da trat plötzlich Hans zu der Gruppe in einer Erregung, an der Bertha sofort etwas ganz Eigenthümliches auffiel, etwas Gemachtes, Gewaltsames.

Er bat Stefanelly auf die Seite, flüsterte ihm etwas ins Ohr, der fuhr entsetzt zurück. das Glas entfiel seiner Hand und zerbrach klirrend am Boden; alles wendete sich nach ihm um.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_252.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)
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