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Seite:Die Gartenlaube (1891) 254.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Bertha fühlte sofort: da war etwas Besonderes, Schreckliches geschehen, was in Zusammenhang stand mit dem, was sie erblickt hatte.

Stefanelly ließ sich auf einen Stuhl nieder, wischte mit dem Taschentuch über sein Antlitz, das den Ausdruck eines tödlichen Schreckens zeigte.

„Das ist entsetzlich! Gerade jetzt!“ stammelte er.

Alles drängte sich um ihn.

„Was ist geschehen? Ein Unglück? Um Gotteswillen!“

Wie ein Blitz durchzuckte den ganzen Saal die Empfindung einer Katastrophe, ohne daß jemand wußte, wie und wo. Das schlechte Gewissen regte sich unbestimmt in jeder Brust.

Stefanelly schien sich jetzt wieder gefaßt zu haben.

„Senden Sie sofort auf die Polizei, Herr Margold; es kann ja erst heute abend geschehen sein! Gehen Sie –“

„Was ist geschehen?“ rief es aus aller Munde immer dringender.

Stefanelly erhob sich mit leichtem Schwung, ein Lächeln kräuselte wieder seine Lippen.

„O, beruhigen Sie sich, nur im ersten Augenblick hat mich die Sache etwas gepackt. Es ist ja auch zu frech! Eine Kasse ist erbrochen und rein ausgeleert worden – eine halbe Million einfach futsch, wenn der Bursche nicht erwischt wird – das ist alles, meine Herrschaften. Wie gesagt, beruhigen Sie sich! – Ah, da sind Sie ja, Herr von Brennberg!“

Der Aufsichtsrath war vor ihn getreten, fahl, mit weit aufgerissenen Augen.

„Eine nette Ueberraschung für Sie! Die gestohlene Summe gehört dem Reservefonds der Grunderwerbungs-Genossenschaft an. Nun, erschrecken Sie nur nicht gleich so – die ganze Geschichte geht ja auf mein Konto, ich bin bestohlen, nicht die Gesellschaft. Sie müssen mir aber einen Kredit auf einige Monate verschaffen,“ sagte er in einem erzwungen scherzhaften Tone, „ein halbes Milliönchen ist auch bei mir nicht so rasch zusammengezählt. Mich ärgert nur die Frechheit dieser Diebsbande, und es ist mir ganz unerklärlich, wie sie an die Kasse kam! Na – wir werden ja sehen – lassen Sie sich nicht stören, meine Herrschaften – ich komme gleich wieder. – Musik!“ rief er laut.

Ein Straußscher Walzer begann.

Stefanelly wollte den Schauplatz der That selbst besichtigen und bat zu diesem Zwecke den erschrockenen Minister, den Rath Stürmling und Herrn von Brennberg um ihre Begleitung; am liebsten wäre die ganze Gesellschaft mitgezogen, um ihre Neugierde zu befriedigen, aber das ging denn doch nicht. Nur Theodor schloß sich auf das Drängen Berthas unaufgefordert an.

„Ist die Angelegenheit mit den viermalhunderttausend Mark in Ordnung?“ fragte Theodor flüsternd seinen Vater, mit ihm etwas zurückbleibend.

„Noch nicht – das heißt – dieser Zwischenfall – in ein paar Monaten, sagte er,“ stammelte unsicher Christian.

„Sie sind also noch nicht bezahlt?“ fragte Theodor.

Christian schüttelte den Kopf.

„Dann wurde ja eine leere Kasse erbrochen,“ flüsterte Theodor, die Hand des Vaters in wildem Zorne packend.

„Schweig! Ich beschwöre Dich. Später sollst Du alles erfahren – – ich bin ja unschuldig – ich wußte ja nicht – Gott. Gott!“ jammerte der gequälte Mann.

„Kommen Sie, Herr von Brennberg!“ rief Stefanelly vorn. „Sie müssen als Aufsichtsrath der erste sein, der den Raum betritt, um sich von dem Thatbestande zu überzeugen.“

Christian wankte vorwärts mit einem Blick auf Theodor, welcher noch einmal um Schweigen bat.

Bertha sah die Herren in dem engen Gang, der auf das Stiegenhaus mundete, verschwinden. Kein Zweifel, es war derselbe Weg, den Loni gegangen war. Sie stiegen die Treppe hinab, an der Nische vorbei, in welcher sie in Todesangst gekauert, und gelangten endlich in den gewölbten Gang, aus dem das verdächtige Geräusch herausgedrungen war. Eine eiserne Thür stand offen und ließ in einen kellerartigen Raum mit großen dunklen Schränken blicken; ein schwerer eichener Tisch stand in der Mitte, in welchen eine große Schiefertafel eingefügt war; kleine Holzschüsselchen standen darauf umher – man war in dem Gelddepot des Bankiers Stefanelly. Die Thür des einen Schrankes war weit aufgerissen, Papiere lagen am Boden umher, quollen aus den einzelnen Fächern, und als Stefanelly die Leuchte hob, glänzten einzelne Goldstücke am Boden, eine aufgebrochene Rolle fand sich in einem Fache.

Der Dieb hatte offenbar Eile gehabt und eben noch rechtzeitig die Flucht ergriffen, ehe er von Hans Margold überrascht wurde. Auffallend war nur, daß die zwei schweren Sicherheitsschlösser, welche die Thür des Geldschranks schlossen, kaum verletzt waren; nur außen war der Lack verkratzt, und auch an der Eisenthür, die in das Gewölbe führte, bemerkte man nur eine leichte Verbiegung der Riegel, welche den Verschluß herstellten.

Der Dieb konnte nur ein fachkundiger Mann gewesen sein, der es verstanden hatte, sich in den Besitz der Schlüsselabdrücke zu setzen und die sehr komplizierten Schlösser der Kasse förmlich zu studieren. Die sichtbaren Verletzungen konnten nur oberflächlich zur Nachhilfe gedient haben. Ja, der Minister, welchen diese Angelegenheit aufs lebhafteste beschäftigte, war überzeugt, daß dieselben überhaupt nur zum Scheine angebracht worden seien, um die Art des Einbruches zu verdecken und so die Verfolgung auf falsche Fährte zu lenken; wahrscheinlich hätte der Dieb die Zerstörung noch weiter fortgeführt, wenn er Zeit gehabt hätte, um die Täuschung vollständiger zu machen.

Diese Ansicht überraschte alle Anwesenden. Man sah sich erstaunt an und es herrschte eine augenblickliche Stille in dem niedrigen Raum. Das spärliche Lampenlicht auf dem Tische spiegelte sich in dem polirten, mächtigen Schranke und übergoß die einzelnen Gesichter der Anwesenden mit trübrother Gluth.

Stefanelly verlor einen Augenblick seine Sicherheit, er wußte nicht, sollte er dieser Vermuthung des Ministers beipflichten oder ihr entgegentreten.

Brennberg starrte wie gebannt auf den weit geöffneten Schrank.

In diesem Augenblicke trat, von Hans geführt, ein Polizeikommissar in den Raum. Alles wich zurück, auch der Minister.

Stefanelly gab an, wie er Hans Margold hierhergeschickt habe, um etwas zu holen, und wie er durch diesen von dem Diebstahl erfahren habe; dann untersuchte der Beamte die Schlösser. Alles schwieg erwartungsvoll, Stefanelly wollte weiter sprechen, aber der Kommissar winke ihm ab mit einem einfachen „Bitte“.

„Der gewaltsame Einbruch ist nur fingirt. Der Dieb öffnete mit Nachschlüsseln, kein Zweifel,“ erklärte er endlich.

„Dieselbe Ansicht äußerte bereits Excellenz,“ bemerkte Stefanelly.

Der Kommissar lächelte verbindlich und machte seine Notizen.

„Im Besitz der Schlüssel zu dem Raum und zu der Kasse waren Sie, Herr Stefanelly, und wer noch?“ fragte der Kommissar, Bleistift und Notizbuch in der Hand, mit dem unheimlichen, forschenden, stets argwöhnischen Blick der Männer dieses Berufes.

„Herr Baron Christian von Brennberg-Schönau, Aufsichtsrath der Gesellschaft, deren Reservefonds die Kasse enthielt, – dieser Herr hier.“ Stefanelly deutete, während er dies sagte, auf Brennberg, der sich krampfhaft an seinem Sohn festhielt.

Der Kommissar wandte sich um; wieder der forschende Blick, der für Christian eine Ewigkeit währte. Noch einen Augenblick länger, und er hätte alles gestanden.

„Und wann, meine Herren, haben Sie zum letzten Male die gemeinsamen Schlüssel benützt?“ fragte der Kommissar, die Augen jetzt fast vollständig schließend.

„Vor einiger Zeit! Es handelte sich um eine Reparatur!“ gab Stefanelly zur Antwort.

Der Kommissar öffnete die Augen.

„Um eine Reparatur? Und wer machte die Reparatur? In Ihrer Gegenwart natürlich –“

„Natürlich, in unserer beider Gegenwart,“ bestätigte Stefanelly.

„Und die Reparatur machte –?“ frug zum zweiten Male der Kommissar.

Brennbergs und Stefanellys Blicke trafen sich einen Augenblick. „Jetzt gilt’s“ lag in dem des Bankiers, „alles verloren, ich kann nicht“, in dem des andern.

„Ein Schlosser,“ sagte Brennberg; die Stimme schlug ihm um.

„Das denke ich mir,“ meinte der Kommissar und lächelte. „Aber welcher Schlosser? Den Namen bitte ich.“

Wieder trat eine auffallende Pause ein, es war, als ob jeder der beiden Herren dem andern das Wort lassen wollte.

„Schlossermeister Georg Bergmann aus der Mariannenstraße,“ erklärte Stefanelly geschäftsmäßig.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_254.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)
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