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Seite:Die Gartenlaube (1892) 291.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Ein deutscher Pionier der Wissenschaft in Brasilien. (Mit Bildniß S. 288.) Es war im Jahre 1887, als ich bei einem Aufenthalte in Brasilien auch einen Abstecher nach der Kolonie Blumenau am Itajahy in der Provinz Sta. Catharina machte. Mein erster Besuch dort war dem deutschen Naturforscher Dr. Fritz Müller zugedacht, der durch seine darwinistischen Forschungen in weiten Kreisen bekannt ist. Noch auf dem Wege zu dessen Behausung begegnete mir ein alter Herr in weißem Vollbart, mit großem grauen Filzhut, der barfuß, mit aufgestülpter Hose, einen mächtigen Bambusstab in der Hand, elastischen Schrittes einherging.

Nach den Schilderungen, die man mir gemacht, konnte ich keinen Augenblick im Zweifel sein, wen ich vor mir hatte: es war Fritz Müller selbst, der eben im Begriff war, seine Sendungen von der Post abzuholen. Er hieß mich aufs liebenswürdigste willkommen und führte mich ein in sein bescheidenes Heim am Flusse, ein schmuckes Häuschen in einem gut gehaltenen Garten, wo er mit seiner vortrefflichen Gattin und seiner jüngsten Tochter in echt deutscher Gemüthlichkeit lebt.

Wie so mancher bedeutende Naturforscher ist Fritz Müller aus einem protestantischen Pfarrhaus hervorgegangen. Sein Vater war Pastor in Windischholzhausen bei Erfurt, wo Fritz am 31. März 1822 geboren wurde. Der begabte Knabe besuchte zuerst die Volksschule in Mühlberg und erhielt dann von seinem Vater Privatunterricht, so daß er gleich in die Tertia des Erfurter Gymnasiums eintreten konnte. Nach Beendigung seiner Gymnasialstudien beabsichtigte er zuerst, Pharmazeut zu werden, widmete sich aber dann von 1840 an in Berlin und Greifswald der Mathematik und den Naturwissenschaften.

In Berlin übte damals der Anatom und Physiologe Johannes Müller einen ganz außerordentlichen Einfluß aus; er war es ja vor allem, der durch sein „Handbuch der Physiologie des Menschen“ die physikalisch-chemische Schule in der Physiologie begründete. Auch Fritz Müller war ein eifriger Schüler desselben und sagt selbst, die Ansichten dieses unvergeßlichen Lehrers seien lange Zeit die seinigen geblieben. Nachdem er das Oberlehrerexamen abgelegt hatte, trat er 1845 in Erfurt sein Probejahr an, verließ aber bald wieder die Schulstube, denn ihn beseelte ein unwiderstehlicher Drang, in fernen Welttheilen naturwissenschaftliche Studien zu machen. Da ihm indessen seine Mittel dies nicht ohne weiteres erlaubten, so studierte er Medizin, um als Schiffsarzt sein Ziel zu erreichen.

Da kam das Jahr 1848. Auch Fritz Müller war einer von den vielen, die sich an den politischen Kämpfen betheiligten, und dies war wohl auch die Ursache davon, daß er 1852 nach Brasilien auswanderte. Dort gründete eben Dr. Blumenau in der Provinz Santa Catharina die seinen Namen tragende Kolonie. Unser Müller war einer der ersten Ansiedler und so manchen Morgen Urwald hat er selbst mit der Axt gerodet. Doch zog er einige Jahre später nach Desterro, der herrlich gelegenen Hauptstadt von Santa Catharina, um am dortigen Lyceum Mathematik und Naturwissenschaften zu lehren. Da erschien – es war im Jahre 1859 – Darwins Werk über die Entstehung der Arten; es wurde entscheidend für Fritz Müllers fernere Thätigkeit. Die reiche Thierwelt des subtropischen Küstenmeeres lieferte Müller das Material, Darwins Ansichten durch eine möglichst ins einzelne gehende Anwendung auf eine bestimmte Thiergruppe in ihrer Richtigkeit zu prüfen. Er wählte die Klasse der Kruster und legte das Ergebniß seiner Forschungen 1864 in der einzigen in Buchform von ihm erschienenen Veröffentlichung, in der Schrift „Für Darwin“, nieder. Das nur 91 Seiten starke Büchlein enthält nicht nur eine erstaunliche Fülle von Einzelbeobachtungen, sondern auch wichtige allgemeine Gesichtspunkte. Darwin veranstaltete 1868 eine englische Uebersetzung davon und unterhielt bis an sein Lebensende einen ungemein regen und interessanten Briefwechsel mit dem deutschen Naturforscher, der sich in seiner Bescheidenheit nur als den „Handlanger des Meisters“ bezeichnete.

Im Jahre 1865 legte Müller seine Lehrstelle am Lyceum in Desterro nieder und zog sich wieder nach Blumenau zurück. Seine zahlreichen, in deutschen, englischen und portugiesischen Zeitschriften verstreuten, mehr oder minder umfangreichen Mittheilungen zoologischen und botanischen Inhalts sowie seine Briefe an seinen jüngeren Bruder Hermann, der hauptsächlich auf botanischem Gebiet arbeitete, zeigen, was ein Naturforscher auch fern von Museen, Bibliotheken und dem großen Markte des wissenschaftlichen Lebens zu leisten vermag, wenn er auf die Urquelle, auf die Natur allein beschränkt ist. Allerdings gehört dazu ein so außerordentliches Beobachtungsgenie, wie es Fritz Müller besitzt, welchen Darwin den „Fürsten der Beobachter“ nannte.

Müller und ein junger Kaufmann luden mich bei meinem Aufenthalt in Blumenau zu einer Fahrt durch die Kolonie ein. Die drei Tage, während welcher wir in vierspännigem Jagdwagen einen Theil der schönen Schöpfung des Dr. Blumenau durchfuhren, werden mir wegen der mannigfachen interessanten Mittheilungen Müllers und des Zaubers seiner liebenswürdigen Persönlichkeit unvergeßlich sein. Nicht unähnlich seinem Freunde Darwin zeichnet ihn, der als Naturforscher so radikal ist und keine Konsequenzen scheut, eine große Milde des Urtheils wie des ganzen Wesens aus. Das lebende Thier in allen seinen Eigenthümlichkeiten zu beobachten, ist seine besondere Freude; er hat nie ein Gewehr abgeschossen, um ein Thier zu töten, und macht alle seine einsamen Spaziergänge ganz unbewaffnet.

Die brasilianische Regierung hatte den trefflichen Gelehrten als „naturalista viajante“, d. h. als Sammler für das Museum in Rio de Janeiro mit einem allerdings nur unbedeutenden Gehalt angestellt. Vor einiger Zeit ging durch die Tagespresse die Nachricht, daß ihm diese Stelle gekündigt worden sei, da er sich nicht habe entschließen können, von seinem liebgewordenen Blumenau weg nach Rio überzusiedeln. Möge er sich durch die Rücksichtslosigkeit des Adoptivvaterlandes, wo die unerquicklichen politischen Verhältnisse alles beherrschen, die Freude an der Arbeit nicht vergällen lassen, möge ihm die Anerkennung, die ihm das alte Vaterland zollt und die gelegentlich seines siebzigsten Geburtstages vielseitigen Ausdruck fand, ein Ersatz sein! Dr. Vogel.     

Das Schulze-Delitzsch-Denkmal in Delitzsch. (Mit Abbildung S. 289.) Im Jahre 1848 wurde der damalige preußische Gerichtsassessor, spätere Kreisrichter Schulze von seinem heimischen Wahlkreis Delitzsch in die preußische Nationalversammlung, nach Auflösung derselben in den Landtag gewählt.

Als Mitglied der Kommission der Nationalversammlung zur Erörterung der sogenannten „Arbeiterfrage“ war Schulze zu der Ueberzeugung gelangt, daß diese Frage nicht durch staatliche Eingriffe, sondern auf dem Wege der freien Association, durch die auf dem Grundsatz der Selbsthilfe beruhende Genossenschaft, wenn nicht vollständig zu lösen, so doch wesentlich zu fördern sei. Es war dies der Ausgangspunkt einer Bewegung, die eine ganz außerordentlich bedeutsame Rolle in dem Wirthschaftsleben der Gegenwart zu spielen berufen war. Denn Schulze ging bald an die praktische Ausführung seiner Ideen, für die er schon früher in seiner Vaterstadt Delitzsch durch Errichtung von Vereinen mannigfacher Art (Turn-, Gesang-, Hilfs- und Unterstützungsvereinen) den Boden vorbereitet hatte; er errichtete im Jahre 1849 in Delitzsch die erste deutsche (Tischler-) Rohstoffgenossenschaft, 1850 die erste deutsche Kreditgenossenschaft, 1852 den ersten deutschen Konsumverein; später kamen Produktivgenossenschaften dazu.

Bald fanden diese Einrichtungen in weiteren Kreisen Anklang, und im Jahre 1859 konnte Schulze-Delitzsch in seinem ersten „Jahresbericht über die auf dem Prinzip der Selbsthilfe der Betheiligten beruhenden deutschen Genossenschaften der Handwerker und Arbeiter“ mittheilen, daß in Deutschland 183 Kreditgenossenschaften und 67 Rohstoffgenossenschaften bestanden; über die anderen Gattungen von Genossenschaften lagen genaue Nachrichten noch nicht vor.

Und wie großartig hat sich seitdem sein Werk entwickelt!

Im Jahre 1890 zählte man im Deutschen Reiche 3910 Kreditgenossenschaften, 1090 Rohstoffgenossenschaften, 294 Werkgenossenschaften zur Beschaffung gemeinsam zu benutzender, in Gewerbe und Landwirthschaft nöthiger theurer Maschinen und Geräthe, 68 Magazingenossenschaften zur Ausstellung der für den Verkauf bestimmten gewerblichen Erzeugnisse der Genossen, 1125 Produktivgenossenschaften, 87 Genossenschaften zu verschiedenen Zwecken (Versicherung, Krankenpflege u. a.), 984 Konsumvereine, 50 Baugenossenschaften, zusammen 7608 Genossenschaften, deren Mitgliederzahl auf 4 Millionen, deren Betriebskapital auf rund 950 Millionen Mark mit 350 Millionen Mark eigenem Vermögen und 600 Millionen Mark fremden, geliehenen Geldern, und deren geschäftlicher Umsatz auf jährlich 4 Milliarden Mark geschätzt werden konnten. Längst haben sich an den Schulzeschen Schöpfungen auch schon Angehörige anderer Klassen betheiligt als derjenigen, aus deren Kreisen sie hervorgegangen waren; sie umfassen heute Angehörige aller Berufsklassen und Stände.

Nach seinem Austritt aus dem Staatsdienst (1851) stellte Schulze seine ganze Kraft in den Dienst der von ihm ins Leben gerufenen Bewegung. Als gewählter Anwalt des nach seinen Rathschlägen errichteten allgemeinen Verbandes der auf Selbsthilfe beruhenden deutschen Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften, dem heute gegen 1500 deutsche Genossenschaften angehören, war er der Urheber der deutschen Genossenschaftsgesetzgebung; er schrieb zahlreiche Werke als Leitfäden für die innere Einrichtung der Genossenschaften, er schuf eine umfassende Statistik, er errichtete und leitete eine Zeitschrift für Genossenschaftswesen, die im Verlag von Ernst Keil erschien, wie ja auch die „Gartenlaube“ stets dem Wirken des Mannes die kräftigste Unterstützung lieh. Seine Gedanken fanden Anerkennung und Nachahmung nicht nur in Deutschland, sondern bei den Gebildeten aller Länder.

Was war natürlicher, als daß die deutschen Genossenschaften es als eine heilige Pflicht der Dankbarkeit gegen ihren Begründer und langjährigen treuen Führer betrachteten, ihm ein Denkmal zu errichten, das sein Gedächtniß lebendig erhalte auch unter den nachlebenden Geschlechtern! Das aus Bronze angefertigte Standbild, welches seit September vorigen Jahres den Marienplatz von Schulzes Vaterstadt Delitzsch ziert, ist zweieinhalb Meter hoch; es steht auf einem vierseitigen Sockel von braunem polierten Granit, der auf einem Stufenaufbau von grauem geschliffenen Granit ruht. Der Sockel und seine Unterlage sind dreieinhalb Meter hoch, so daß das Denkmal eine Gesammthöhe von sechs Metern hat; das Modell des Standbildes ist von der Hand eines Delitzscher Landsmannes, des in München ansässigen Bildhauers Weißenfels, während der Guß in der königlichen Erzgießerei in München besorgt wurde; das Postament wurde von der Steinkunstschleiferei von Wölfel und Herold in Bayreuth trefflich ausgeführt.

Der gefeierte Mann selbst steht in einfach schlichter Haltung vor uns, so, als ob er gerade einem Kreise von Zuhörern in ruhiger Auseinandersetzung seine Gedanken entwickelte und als ob er selbst von diesen Gedanken nicht allzuviel Aufhebens machte. Und diese innere Bescheidenheit war ein Grundzug seines Wesens, diese selbstlose Hingabe an das Wohl anderer, die keinen schöneren Lohn kennt als die Liebe und das Vertrauen seiner Nebenmenschen. H. Häntschke.     
Die Verstoßung der Hagar. (Zu unserer Kunstbeilage.) Von dem holländischen Maler Adrian van der Werff, welcher am Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts als kurfürstlich pfälzischer Hofmaler theils zu Düsseldorf, theils zu Rotterdam lebte, besitzt die weltberühmte Dresdener Galerie eine ganze Anzahl von Bildern. Es sind ihrer insgesammt zwölf, und eines der schönsten ist „Die Verstoßung der Hagar“, welche unsere heutige Kunstbeilage dem Leser vorführt. Die Vorzüge der künstlerischen Eigenart Adrians van der Werff, die schöne Komposition der Figuren, die lebensvolle Durcharbeitung der Köpfe, die freie Beherrschung der Gewandung, treten auch auf unserer Holzschnittnachbildung trefflich zu Tage; auch die düstere Stimmung des Hintergrundes ist vorzüglich gelungen und versetzt uns ganz in die bange Atmosphäre dieses alttestamentlichen Familiendramas.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_291.jpg&oldid=- (Version vom 6.4.2024)
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