Verschiedene: Die Gartenlaube (1892) | |
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hatte. Aber aus dem Lachen gerieth er gleich wieder in flammende Entrüstung. Haymo, so meinte er, hätte wohl auf den guten Einfall kommen können, einen Krug voll „Güte Gottes“ oder ein Fläschlein mit „des Hilnmels höchster Huld“ aus dem Kloster mit herauf zu bringen. Haymo sah ein, daß seine Sünde groß war, zwar nicht vor Gott, aber wohl vor einem seiner „Knechte“. Nun mußte sich der arme Frater Severin nach dem fetten Sterz, den es zum Nachtmahl gab, mit einem Trunk Wasser schlafen legen. Brrr! Er liebte das Wasser nicht einmal in den Schuhen, viel weniger im Magen.
Das „himmelschreiende Unglück“ schien ihm aber doch den Schlaf nicht zu verkümmern. Er schnarchte gewaltiger als je.
Haymo und Walti hatten wieder auf dem Herd ihr Nachtquartier aufgeschlagen, die glimmenden Kohlen zwischen sich. Draußen das dumpfe Rauschell des Föhns.
„Walti?“ fragte Haymo nach langem Schweigen mit leiser Stimme. „Schlafst schon?“
Der Bub richtete sich auf.
„Walti, ich möchte Dir ’was schenken, eh’ Du fortgehst. Was willst denn haben?“
„Die Feder von Eurer Kappe!“ platzte der Bub heraus.
„Sollst sie haben, nimm sie Dir nur morgen früh! Mußt mir aber auch einen Gefallen thun.“
„Redet nur, was?“
„Weißt Du, wo die Gittli haust?“
„Die Müllerdirn’?“
„Nein, die Schwester des Sudmanns.“
„Ach, die! Ja … warum?“
„Dann geh’ zu ihr, morgen, und frag’ sie, warum sie geweint hat in der Vogtstube.“
„Was soll ich sie fragen?“ wiederholte Walti, dem die Sache etwas dunkel vorkam.
„Du sollst sie fragen, warum sie geweint hat heute, wie sie bei Herrn Schluttemann in der Stube war. Sag’ ihr nur, daß ich es wissen will! Und wenn ich am Ostersonntag hinunterkomm’, dann sag’ es mir wieder! Verstehst Du?“
„Wohl, wohl!“ nickte Walti. „Aber ich kann mir schon denken, warum sie geweint hat. Der Herr Vogt wird halt giftig gewesen sein und hat sie bei den Ohren genommen. Ja, das thut er gern, das weiß ich!“ Gähnend streckte er das kluge Haupt auf die zum Kissen geballte Lodenkutte. Aber nach kurzer Weile schon richtete er sich wieder auf.
„Haymo?“
„Ja?“
„Jetzt weiß ich, was für eine Gittli die richtige ist!“
„So?“ lächelte Haymo.
„Wohl, wohl!“ Und kichernd legte sich der Bub wieder aufs Ohr.
Bald darauf schliefen sie alle beide.
Am andern Morgen, eh’ der Tag noch graute, verließ Haymo die Hütte, um seinen Hegergang anzutreten. Er hätte seinen Gästen gern ein Wort zum Abschied gesagt; aber die beiden schnarchteu doppelstimmig so rührend zusammen, daß ihr gesunder Schlaf einen Stein hätte erbarmen können. Haymo nahm die Adlerfeder von seiner Kappe und steckte sie auf Waltis Filzhut. Dann ging er.
Als er mit dem Abend in die Hütte zurückkehrte, waren die beiden Klostervögel lange schon ausgeflogen. Haymo zündete nicht einmal Feuer an, so müde war er. Er spürte die beiden auf den Herdsteinen verbrachten Nächte in allen Knochen; und er hatte sich heute geplagt wie nie. Keinen der Hut bedürftigen Platz in seinem weiten Revier hatte er unbesucht gelassen, jeden Steig und jeden Schneefleck hatte er abgespürt. Er wollte nicht ein zweites Mal so dastehen wie gestern in der Vogtstube. Herr Schluttemann war so liebevoll mit ihm umgesprungen wie die Katze mit der Maus; nur das Verschlucken hatte noch gefehlt. Aber auch Herr Heinrich hatte zu den beiden vermißten Steinböcken eine strenge Miene gemacht; doch er war nicht ungerecht gewesen und hatte auf Haymos Rechtfertigung gehört, trotz Herrn Schluttemann, der die Tischplatte gehörig donnern ließ. Schließlich war Haymo vom Propst sogar mit freundlicher Rede entlassen worden. „Und wenn es Dir Freude macht,“ hatte Herr Heinrich gesagt, „so magst Du am Feiertag nach der Frühpirsche herunterkommen zum Ostertanz!“
Diese Güte wollte Haymo mit doppeltem Fleiß vergelten. Wenn es das Glück nur wollte, daß ihm einer der Raubschützen bald in den Weg geriethe. Er ballte die Fäuste bei diesem Gedanken. Doch mitten in seinen flammenden Zorn hinein hörte er die Geigen und Pfeifen klingen.
Ob Gittli wohl zum Tanz käme? Nun, eine Dirn’, die nicht kommt, die kann man ja holen! An diesen Gedanken spann Haymo hundert andere, bis all sein Denken und Sinnen unmerklich hinüberfloß in Schlaf und Traum.
Nach dieser Nacht kam ein mühsamer Tag. Der Föhn tobte, als möchte er das ganze Haus der Berge in Trümmer werfen. Er wehte schwül wie der Sturm vor einem Gewitter. Der Schnee auf den steilen Halden schwand vor seinem Hauch, daß man es mit Augen sehen konnte, wie er weniger und weniger wurde. Ueber allen Felswänden wurde die weiße, starre Decke des Winters lebendig, und während die Lawinen rollten ohne Unterlaß, führte der Föhn den stäubenden Schnee in ganzen Wolken durch die Lüfte.
Haymo mußte sich vorwärts kämpfen Schritt um Schritt; den halben Tag verbrachte er auf der Jagd nach seiner Kappe. Gegen Abend, auf dem Heimweg, kam er am Kreuz vorüber. Leer starrten die Fußnägel aus dem Holz. Wo waren Gittlis Schneerosen hingekommen? Der Föhn hatte sie wohl entführt? Haymo spähte auf der Erde umher; in einer Steinschrunde sah er eine der Blüthen liegen, zerzaust und welk. Er hob sie auf und wollte sie auf seine Kappe stecken. Doch nein … die Blume gehörte schon einem andern. Lächelnd schob er sie wieder zwischen die beiden Nägel; kaum aber ließ er die Hand davon, da trug der Föhn sie schon hinweg.
Vor Einbruch der Nacht erreichte Haymo die Hütte. Heute blieb ihm keine Zeit zum Sinnen und Träumen. Die Augen drohten ihm schon zuzufallen, während er am flackernden Feuer seinen Imbiß bereitete. Kaum lag er auf dem Heubett, da schlief er auch schon. Rings um die Hütte tobte der Frühlingssturm und sang ihm ein brausendes Schlummerlied …
Als Haymo erwachte, war es noch finstere Nacht. Er lauschte verwundert. Diese Stille um die Hütte. Kopfschüttelnd trat er ins Freie; der Föhnwind hatte sich völlig gelegt, und nur noch leise rauschte der Bergwald. Blasse, dünne Nebelschleier flogen über den Himmel, an welchem in zahlloser Schar die Sterne funkelten. Der frische, klare Morgen versprach einen schönen Tag.
„Es wird Osterwetter!“ sagte Haymo. Dann blickte er nach dem Stand der Sterne und meinte, daß die dritte Morgenstunde wohl schon vorüber wäre. Da war er just zur richtigen Zeit erwacht, um den Auerhahn zu „verlusen“[1], den Herr Heinrich nach den Ostertagen erlegen wollte.
Haymo sperrte die Hütte zu und wanderte in die Nacht hinaus. Nun plötzlich blieb er lauschend stehen. Töne waren an sein Ohr gedrungen, wie Hammerschläge auf klingendes Eisen … nun wieder die gleichen Töne und noch ein drittes Mal. Kopfschüttelnd lauschte er; er wußte sich’s nicht zu deuten, aber es machte ihm keine Sorge, denn wer im Bergwald auf bösen Wegen schleicht, der thut es in aller Stille. Da war wohl einer der Almbauern, den die Arbeit am Tage festhielt, während der Nacht zu Berge gestiegen um mit dem frühen Morgen nachzuschauen, wie seine Sennhütte überwintert hätte … und an der Hüttenthür hatte er wohl mit seinem Hammer die eisernen Klammern losgeschlagen. Es war dem Lauschenden freilich gewesen, als klängen diese Tone nicht von den Almen her, sondern von einer höher gelegenen Stelle. Aber Haymo wußte aus Erfahrung, wie sehr ein Hall in der Nacht zu täuschen vermag. Eine Weile noch lauschte er; doch alles blieb still. Nun schritt er weiter; quer durch das Felsenthal, auf dem kürzesten Wege, stieg er zum Kreuzwald empor. Es dämmerte, als er sein Ziel erreichte. Lautlos, nach jedem Schritt horchend, schlich er von Baum zu Baum. Ueber den östlichen Bergen, jenseit der Schneefelder des Steinernen Meeres, zeigte sich noch kaum ein fahler Schimmer des nahenden Tages, da hörte Haymo schon das leise „klipp klipp“ des falzenden Huhnes. Achtsam sprang er ihn an, und endlich sah er auf einem dürren Aste den stolzen
Vogel sitzen, der sich in seiner Schwärze scharf abhob vom erblassenden
- ↑ Verhören, durch Lauschen den Platz erkunden, auf welchem ein Auerhahn falzt.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_294.jpg&oldid=- (Version vom 19.4.2024)