Verschiedene: Die Gartenlaube (1892) | |
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und am jähen Feuer rasch gebacken, für den Abendtisch einen köstlichen Imbiß gaben.
Auf den Stufen vor der Thüre des Herrenstübchens saß Herr Schluttemann, nachdenklich, mit gesträubtem Schnauzbart, grimmig die Augen rollend. Die Geschichte mit Haymo war für ihn eine Nuß, welche zu beißen gab. Aber als wäre er des zwecklosen Grübelns müde, schüttelte er auf einmal schnaubend das Haupt, fuhr mit den Fäusten durch die Luft und platzte los: „Teufel! Teufel!... Wenn ich denke, daß ich jetzt drunten im Kellerstüblein säße!“
„Mit Pater Hadamar und dem Küchenmeister,“ schmunzelte Frater Severin, „bei Rechberg und Stein!“
„Höret auf, höret auf,“ stöhnte Herr Schluttemann, „ich kann’s nicht hören, es reißt mir die Seel’ aus dem Leib’!“ Dann wieder in grimmige Melancholie versunken, fragte er: „Es ist doch wohl gesorgt für unseren Durst?“
Frater Severin zuckte die Achseln. „Wie es Herr Heinrich anbefohlen hat! Fünf Tage sollen wir bleiben ... zehn Flaschen sind befohlen ... rechnet Euch aus, wieviel auf einen trifft!“
„Verflucht wenig!“ meinte Herr Schluttemann mit langem Gesicht. „Frater! Frater! Mir wird die Leber brandig werden ... ich kann das Wasser nicht vertragen! Aber schon gar nicht!“
Frater Severin betrachtete den unglücklichen Vogt mit zwinkernden Aeuglein, dann leckte er die von den Schwarzreitern fettgewordenen Finger ab, trat auf ihn zu und flüsterte ihm ins Ohr: „Habt Ihr den Korb nicht gesehen, den der Walti getragen hat?“
„Ja! Warum?“
Frater Severins Miene wurde immer geheimnißvoller. „Und habt Ihr’s nicht scheppern hören in dem Korb?“
Herr Schluttemann legte den Kopf auf die Seite und zeigte das Weiße in den Augen. Ein schüchternes Lichtlein der Hoffnung schien in seiner trostlos finsteren Seele aufzudämmern.
„Redet, Frater, redet, was hat gescheppert?“
„Heimliche Flaschen Rechberg und Stein. Hinter der Hütte liegen sie in kühler Erde vergraben, und wenn Herr Heinrich schlummert, dann holen wir uns einige Pärchen!“
„Frater Severin ... Ihr seid ein Heiliger!“ schrie Herr Schluttemann auf und wollte dem Frater um den Hals fallen.
Der aber schob ihn von sich. „Nicht so laut, Herr Vogt!“ flüsterte er und schielte nach der Thüre. „Herr Heinrich könnt’ uns hören!“
Des Fraters Sorge war unbegründet. Herr Heinrich weilte noch immer in der Jägerhütte. Er hatte einen neuen Verband auf Haymos Wunde gelegt und den Arm in einer Schlinge befestigt, damit nicht etwa eine ungestüme Bewegung des Schläfers eine neue Blutung hervorrufe. Nun blickte er suchend umher.
„Wo ist das Mädchen?“
Pater Desertus ging mit raschem Schritt zur Thüre. Vor der Hütte saß Gittli auf der Bank; ihre Thränen waren versiegt; mit verlorenen Blicken starrte sie hinaus in die sinkende Nacht. Pater Desertus berührte ihre Schulter. Sie fuhr erschrocken zusammen und erhob sich.
„Komm’, Gittli, Herr Heinrich fragte nach Dir!“ Er nahm ihre Hand und führte sie in die Stube.
„Nun, willst Du nicht sehen, wie es Deinem Pflegling geht?“ sagte der Propst. „Komm’ her ... sieh nur, wie gut und ruhig er schläft!“
In wortlosem Danke wollte sie Herrn Heinrichs Hände küssen.
„Laß doch, Du Kind!“ sagte er. „Ich habe zu seiner Rettung das Mindeste gethan. Haymo wäre ein verlorener Mann gewesen ... ohne Dich! Er hat es Dir allein zu danken, daß er nun leben wird.“
Ein Seufzer, heiß und freudig, schwellte Gittlis Brust. Mit leuchtenden Blicken hing sie an Haymos blassen Zügen; dann fuhr sie mit zitternder Hand über die feuchten Augen und wandte sich zur Thüre.
„Wohin willst Du?“ fragte Herr Heinrich.
„Jetzt braucht er mich ja nimmer!“ lispelte sie. „Heim will ich gehen.“
„Es ist finstere Nacht!“ sagte Pater Desertus erschrocken.
„Ich fürcht’ mich nicht! Es ist ja sternscheinig, den Weg kenn’ ich auch, und auf der Almen kann ich ja nächtigen.“
„Dort schlafen die Knechte,“ warf Herr Heinrich ein; dann lächelte er. „und denke nur, wenn Haymo morgen erwacht und fragt nach Dir, was sollen wir ihm sagen? Willst Du nicht bleiben?“
„Wenn ich darf!" stammelte sie. „Schauet, Herr, ich nehm’ ja doch keinem seine Liegerstatt weg ... ich setz’ mich halt dort auf den Herd.“
Sie wollte in ihren Winkel schleichen, aber Herr Heinrich rief sie noch einmal zurück. „Gittli,“ sagte er mit freundlicher Stimme, „Du bist ja doch kein Kind mehr, Du solltest nicht so herumlaufen.“ Er deutete auf ihre Arme, welche bis über die Schultern nackt waren, und auf einen Riß, der in ihrem Linnen fast bis zum Gurte des Rockleins ging.
Sie schaute ihn mit großen Augen an. „Ich hab’ mir die Aermel weggerissen, weil ich das Leinen gebraucht hab’, für ihn.“
Da ging er auf sie zu, legte ihr die Hand auf den Scheitel und sagte leise in lateinischer Sprache. „Auch in Deiner Blöße wirst Du Gott gefallen.“ Und zu Pater Desertus sich wendend, fuhr er gleichfalls auf lateinisch fort: „Kann eines Fürsten Tochter reicher sein an edlen Steinen und Geschmeide als dieses Bettelkind an Schätzen des Gemüths?“
Pater Desertus schwieg; seine träumenden Augen hingen an Gittli, welche zum Herde ging, in ihre Jacke schlüpfte und sich leise in den Winkel kauerte.
Herr Heinrich war an Haymos Lager getreten und hatte seine Hand auf die Stirne des Schlummernden gelegt. „Das Fieber ist gewichen und der Schlaf wird ihn erquicken. Er hat gesundes Blut und eine gute Natur – ich hoffe, wir haben den Mann in drei Tagen wieder leidlich auf den Beinen. Ich will Wein herüberschicken, davon soll er bekommen, wenn er munter wird in der Nacht. Und Frater Severin soll bei ihm wachen.“
„Ueberlasset mir dieses Amt!“ sagte Pater Desertus mit raschem Wort. „Der Bruder ist müde.“
„Gut, so bleibe!“ Herr Heinrich reichte dem Pater die Hand, nickte Gittli mit freundlichem Lächeln zu und verließ die Stube. Zu Häupten des Lagers setzte sich Pater Desertus auf die Bank. Es war stille in der Stube. Gittli rührte sich nicht in ihrem Winkel; man horte nur Haymos tiefe Athemzüge, und auf dem Herde knisterte es zuweilen noch leise in den glühenden Kohlen.
Draußen murmelte das Wasser, von der Herrenhütte herüber klang in Zwischenräumen die laute Stimme des Vogtes, und tief aus dem Steinthal herauf tönte der Gesang der vier Knechte, welche zu den Almen niederstiegen:
„Das Herzelein
Im Herzensschrein
Thut gar so weh dem schwarzen Knaben:
Das braune Mägdlein möcht’ er haben,
Ja haben, .
Wenn man es^ ihm nur gäb’,
Ja gäb’, ja gäb’ ...“
Nach einer Weile kam Walti, um den Pater zum Imbiß zu rufen; er brachte auch einen Teller für Gittli. „Du, das ist gut!“ flüsterte er dem Mädchen zu. „Ich hab’s auch schon verkosten dürfen, und was übrig bleibt, das kriege ich alles, hat der Frater gesagt.“ Gittli richtete sich auf und begann zu essen, während Pater Desertus die Stube verließ. Als er die Herrenhütte betrat, sagte er zu Frater Severin: „Schickt ein Kisselt und eine Lodendecke hinüber für das Mädchen; das Kind hat ein hartes Lager auf den Herdsteinen.“
Nun saßen sie beim Scheine einer Kienfackel im Herrenstübchen beisammen, der Propst, Herr Schluttemann und Pater Desertus, der letztere schweigend in sich versunken, während Herr Heinrich und der Vogt die an dem Jäger verübte Unthat besprachen. Herr Schluttemann beschwor die ganze Rache seines flammenden Zornes über das Haupt des Mörders, den er finden wolle, und wenn er sich auch in den untersten Schlupf der Hölle verkrochen hätte; sobald es Tag würde, gedachte er, sich mit den Knechten auf den Weg zu machen, um in weitem Kreise rings um die Hütte jeden Busch und jede Felsschrunde zu untersuchen; ein Häklein würde sich schon finden, an welches der Faden eines Verdachtes sich anknüpfen ließe.
Als Pater Desertus in die Jägerhütte zurückkehrte, fand er Gittli schlafend im Herdwinkel. Das Kissen, das ihr Walti gebracht, hatte sie unter Haymos wunden Arm gelegt; nur die Lodendecke hatte sie für sich behalten und zum Polster geballt unter ihr Köpfchen geschoben. So lag sie, die beiden Hände unter der Wange, die müden Glieder vom Schlafe sanft gelöst; sie schien auf den harten Steinen so gut zu ruhen, als läge sie in Daunen. Die verglimmenden Kohlen strahlten einen rothen Schimmer über ihr Gesicht, so daß es aus dem Dunkel hervorleuchtete wie ein liebliches Räthsel.
Lange, lange stand Pater Desertus vor dem schlafenden Mädchen. Immer näher zog es ihn, er beugte das Knie, er
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 360. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_360.jpg&oldid=- (Version vom 12.3.2021)