Verschiedene: Die Gartenlaube (1892) | |
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streckte die Arme, er neigte das Antlitz in dürstender Sehnsucht ... da bewegte sich Gittli und stöhnte leise, wie unter einem schweren Traume. „Haymo ... Haymo ...“
Pater Desertus taumelte zurück; die Hände vor das Antlitz schlagend, wankte er zur Thür und sank auf die Schwelle nieder. „Herr! Herr! Du versuchest mich über meine Kräfte!“ rang es sich mit erstickter Stimme von seinen Lippen, und mit brennenden Augen starrte er hinaus in die finstere Nacht, empor zu den ruhelos flimmernden Sternen.
In den Fenstern der Herrenhütte war das Licht schon erloschen; Herr Heinrich schlief. Durch die Ritzen der geschlossenen Thüre quoll aber noch ein matter Schein; in der Küche saßen Frater Severin und Herr Schluttemann beim erlöschenden Feuer auf dem Herdrand, leise plaudernd, mit den „heimlichen Pärchen“ beschäftigt, die sie aus dem Versteck hervorgeholt hatten. Walti hockte in einem Winkel und vertilgte die Reste des Mahles; dann trank er noch einen Krug Wasser leer und kletterte uber die Leiter hinauf ins Heu.
Als den beiden Zechern „des Himmels höchste Huld“ zur Neige ging, bekam Herr Schluttemann seine üblichen „Zustände“. Er schien völlig vergessen zu haben, wo er sich befand, wähnte im Kellerstüblein zu weilen und fürchtete, daß mit jedem Augenblick die handfesten Boten der Frau Cäcilia eintreffen möchten, um ihn heimzuholen. „Aber ich geh’ nicht, wirst sehen, Bruder, ich geh’ nicht! Jetzt sitz’ ich einmal, Donnerwetter, und jetzt bleib’ ich!“ Frater Severin drückte ihm die Hände auf den Mund und zerrte ihn zur Leiter; mit aller Mühe, stoßend und schiebend, brachte er ihn endlich über die Leiter hinauf und warf ihn ins weiche Heu. „Cäcilia, Cäcilia, Du treibst es heute wieder arg mit mir!“ brummte Herr Schluttemann, halb erstickt von dem über ihn herfallenden Heu. Eine Weile lallte er noch fort, dann begann er zu schnarchen. Frater Severin folgte diesem Beispiel, und da ging nun ein Sägen um die Wette los, so daß Walti erwachte und kein Auge mehr schließen konnte; dazu hatte er bald eine Faust des Herrn Schluttemann im Gesicht, bald dessen Füße auf der Brust oder zwischen den Beinen; er verkroch sich in den äußersten Winkel, aber Herrn Schluttemanns Füße fanden den Weg zu ihm. Schließlich erhob er sich, glitt über die Leiter hinunter und legte sich auf den warmen Herd. Jetzt konnte er schlafen.
Nach Mitternacht bewölkte sich der Himmel, und ehe der Tag noch graute, begann ein warmer Regen zu fallen. Bei Anbruch der Dämmerung kamen die Knechte. Pater Desertus saß noch immer auf der Schwelle der Jägerhütte, mit bleichen müden Zügen, die Augen heiß umrändert. Als er die Knechte sich nähern sah, erhob er sich und athmete tief, wie wenn ihm die Nähe wachender Menschen willkommen wäre. Einer der Knechte fragte ihn, was sie zu thun hätten. Er meinte, sie sollten sich, da Herrn Heinrich der Pirschgang auf den Auerhahn verregnet wäre, ruhig verhalten, bis die Schläfer von selbst erwachen würden. Dann trat er in die Hütte; Gittli war schon wach, sie stand über Haymo gebeugt, der immer noch ruhig schlief; als sie den Pater kommen hörte, trat sie scheu zurück, lispelte den Morgengruß und verließ die Hütte. Nach einer Weile kam sie wieder, gewaschen, mit frisch geflochtenen Haaren; sie schürte auf dem Herde ein Feuer an und ging geräuschlos ab und zu, um saubere Ordnung in der Stube zu machen. Als sie wieder einmal Wasser holte, wurde drüben an der Herrenhütte ein Fensterladen aufgestoßen.
„Guten Morgen, Gittli!“ rief Herr Heinrich.
Sie stellte die Wanne nieder und lief hinüber.
„Nun, wie geht es ihm?“
„Er schlaft noch allweil, Herr, und ich mein’, der Schlaf hat ihm gut gethan, denn er hat schon ein bißl Farb’ im Gesicht!“
„Dann wird er wohl auch bald erwachen. Freust Dich schon?“
„Und wie?“
„Gelt und frenst Dich auch schon auf seinen Dank?“
„Den hab’ ich schon, Herr!“
„So?“
„Ja, gestern auf die Nacht, da hat er ein lützel[1] reden können, und da hat er mir gleich ein Vergeltsgott gesagt, ja!“
„Aber ich meine, Du hoffst doch wohl noch auf besseren Dank?“ lächelte Herr Heinrich, während er sich breit ins Fenster legte.
Sie schaute mit großen Augen zu ihm auf. „Was sollt’ ich denn mehr noch wollen? Ich hab’ ja mein Vergeltsgott!“
Er betrachtete sie mit freundlichen Blicken. „So? So?“ Und leise zuckte es um seine Lippen, als er sagte: „Freilich, mehr kannst Du auch nicht verlangen von ihm. Aber jetzt geh’ nur, geh’, ich komme gleich hinüber!“
Hurtig lief Gittli davon, um aus dem Regen wieder unter Dach zu kommen.
Ueber diesem Zwiegespräch war Walti aus dem Schlaf erwacht. Er rieb sich erschrocken die Augen, als er den hellen Morgen schimmern sah, kletterte die Leiter empor und rief: „Frater! Frater! Stehet auf, der Herr ist wach!“
Frater Severin fuhr aus dem Heu wie der Hase aus dem Krautacker, wenn der Bauer kommt. Er packte seinen Schnarchgenossen an der Brust. „Herr Vogt! Auf! Auf! Auf!“
Herr Schluttemann drehte sich auf die Seite. „Aber Cäcilia!“
„Auf! Auf! Auf!“
„Aber Cäcilia!“ wimmerte Herr Schluttemann. „Geht denn der Teufel schon wieder los? Alle Tag’ und alle Tag’! Nicht einmal ausschlafen soll der Mensch können. Kreuz Teufel noch einmal! Laß mich in Ruhe!“
Frater Severin schüttelte den Kopf, überließ den Vogt seinem Schicksal und stieg mit starren Beinen über die Leiter hinunter.
Herr Schluttemann hatte sich tief eingewühlt in das Heu, als umschlänge er mit seinen Armen das Kissen, das er an jedem Morgen fest über die Ohren zu drücken pflegte, wenn Frau Cäcilia ihre Predigt begann. Die lautlose Ruhe aber, die ihn plötzlich umgab, mochte ihm als etwas ganz Ungeheuerliches erscheinen. Er richtete sich erschrocken auf und starrte mit weit aufgerissenen Augen im Dämmerlicht des Heubodens umher.
„Ach so!“ stotterte er, als er das stille Wunder langsam zu begreifen begann. Dann lachte er vergnügt vor sich hin. „Jetzt kann aber geschehen was will ... jetzt schlaf ich mich einmal aus!“ Sprach’s, legte sich wieder auf die Seite und streckte sich behaglich. „Aaaah!“ Eine kleine Weile, und er schlief schon wieder.
„Herr Vogt!“ rief Frater Severin aus der Küche herauf. Herr Schluttemann aber hörte nicht.
„Vogt! Vogt! Wo seid Ihr?“ rief Herr Heinrich selbst. Doch Schluttemann hörte nicht. „So laßt ihn schlafen!“ lächelte der Propst. „Das irdische Vergessen ist über ihn gekommen!“ Er drohte zum Heuboden hinauf: „Wartet nur, Vogt, der Morgen kommt schon wieder, da Euch die Donner des Gerichtes wecken!“
Als Herr Heinrich hinüberging nach der Jägerhütte, kam ihm Gittli entgegen. „Herr, Herr! Er wachet schon!“ stammelte sie. „Mein Gott, und soviel sorgen thut er sich, Ihr könntet ihm harb sein, weil ihm so was hat geschehen können.“ Die Freude redete aus ihr, aber es war eine bange Freude: nun konnte Haymo sprechen, nun mußte er sagen, wie alles gekommen war ...
So blieb sie, als Herr Heinrich die Hütte betrat, an der Thüre stehen, Freude im Herzen, Angst in der Kehle.
Haymo saß aufgerichtet in seinem Heubett. „Herr Heinrich ..“
Der Propst legte ihm die Hand auf den Mund. „Du sollst nicht sprechen, Haymo, ich will es so! Lege Dich zurück und laß mich nach Deiner Wunde schauen! Dann sollst Du essen und trinken und wieder schlafen, und wenn Du dann gestärkt erwachst, dann setz’ ich mich zu Dir, und Du erzählst mir alles. Und mach’ Dir keine dummen Sorgen. Du bist Haymo, mein getreuer Jäger, hast ja Deine Treue mit Deinem Blut besiegelt!“
„Herr Heinrich ...“
„Wirst Du wohl schweigen?“ schalt der Propst und drückte den Jäger mit sanfter Gewalt auf das Kissen zurück.
Gittli athmete auf; und da sie in der Jägerhütte nun entbehrlich war, lief sie hinüber in das Herrenhaus.
„Frater, kann ich Euch nicht helfen?“
„Ei freilich, mein Dirnlein, schürz’ Dich, tummel’ Dich!“ Und im Hui hatte er ein Dutzend Aufträge für Gittli bereit.
Sie griff mit flinken Händen zu, trug alles herbei, was der Frater in der Küche brauchte, brachte Ordnung in die Schlafkammer und machte das Herrenstüblein spiegelblank.
Draußen „schnürelte“ der Regen, und die Knechte, die unter dem vorspringenden Dach der Herrenhütte an die Balkenwand gelehnt standen, sangen mit leisen Stimmen, um sich die nasse Zeit zu vertreiben.
Als Herr Heinrich mit Pater Desertus aus der Jagdhütte
- ↑ ein wenig, mühsam.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 362. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_362.jpg&oldid=- (Version vom 12.3.2021)