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Seite:Die Gartenlaube (1892) 363.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

trat, sagte er: „Dein Aussehen ist schlimm, Dietwald. Die Nachtwache hat Dich erschöpft.“

„Ja, Herr!“ erwiderte der Pater, mit finsterem Blick zur Erde starrend.

„Aber ich hoffe, es hat Dich in dieser Nacht Dein Gespenst in Ruhe gelassen?“

„Meint Ihr?“

„Dietwald!“

„Es weilte mit mir unter einem Dach die ganze lange Nacht!“

Herr Heinrich betrachtete den Pater mit forschendem Blick. Dann sagte er: „Komm, lege Dich schlafen, Du bist übermüdet.“

Sie betraten die Herrenhütte; Pater Desertus ging in die Schlafkammer und warf sich aufs Lager, doch seinen Augen war anzusehen, daß sie den Schlummer nicht finden würden. Herr Heinrich füllte einen Becher mit Wein und goß dazu einige Tropfen aus einem Fläschchen, das er seinem Arzneikästlein entnommen hatte.

„Trink, Dietwald, das wird Dir Schlaf bringen!“

Pater Desertus leerte den Becher ... und es währte nicht lange, so lag er, tief athmend, in traumlosem schweren Schlummer.

Herr Heinrich wollte ins Freie treten; da sah er Gittli in der Küche schaffen. Ein Gedanke schien ihn zu befallen, er schüttelte wie abwehrend das Haupt, doch immer wieder kehrten seine Blicke zu dem Mädchen zurück.

„Gittli!“

Sie säuberte die Hände an der Schürze und kam auf ihn zugegangen. „Ja, Herr?“

„Erzähl’ mir doch, hast Du Dich mit dem Pater auch gut vertragen die lange Zeit vom Abend bis zum Morgen?“

„Allweil gut!“ meinte Gittli mit scheuem Lächeln. „Der Pater hat gewachet, und ich hab’ geschlafeu!“ Und als müßte sie sich entschuldigen, fügte sie bei: „Ich bin halt so viel müd’ gewesen.“

„Immer geschlafen? Die ganze Nacht?“

„Gott behüt’, Herr! Ein paarmal bin ich schon aufgekommen.“

„Nun? Und dann habt Ihr wohl miteinander Haimgart[1] gehalten, gelt?“

„Aber Herr!“ sagte sie ganz erschrocken. „Wie thät ich mir denn einfallen lassen, daß ich haimgarten wollt’ mit so einem Herren. Ich bin allweil gelegen und hab’ keinen Muckser gethan!“

„Und er? Er wird doch mit Dir geredet haben!“

„Kein Sterbenswörtlein! Ich glaub’, er hat mich gar nicht gesehen. Mein, allweil ist er gesessen und hat blinde Augen gemacht, als thät er einwendig schauen.“

„Einwendig schauen?“ wiederholte Herr Heinrich und nickte vor sich hin. „Aber sag’, hast Du ihn schon öfters gesehen?“

„Zweimal, Herr! Das erste Mal drunten am Seesteig ...“ sie stockte, denn sie durfte Herrn Heinrich doch nicht sagen, welchen Schreck sie damals vor dem „Schwarzen“ empfunden hatte ... Schreck und Furcht vor einem Gottesmann! Leise sprach sie weiter. „Und das andermal ... am Ostertag.“ Da kamen ihr die Thränen.

„Was hast Du, Gittli, warum weinst Du?“

„O mein Gott, schauet, Herr, er ist ja dazugekommen, wie unser Kindl hat verscheinen müssen, unser liebes, gutes Kindl.“

„Komm, Gittli, komm, setz’ Dich!“ Er führte sie zu einer Bank. „So! Und jetzt sag’ mir, wie war es mit dem Kindl?“

Unter Thränen erzählte sie in ihrer schlichten, rührenden Weise das kleine, traurige Geschichtlein von „Mimmidatzis“ kurzem Leben. „Schauet, Herr, wie ein Lichtkäferl ist das Kindl gewesen in unserem Sorgenhäusl, wie ein Blümerl im Winter, und in aller Herzensnoth wie ein Stückel ewigen Brots, von dem man allweil hat zehren können, und es ist doch nicht weniger worden. Und jetzt hat’s verscheinen müssen! Warum denn, warum?“

Frater Severin klapperte am Herd mit seinen Pfannen; ein Zittern war ihm in die Hände gekommen; auch mußte ihm was ins Auge geflogen sein, denn er wischte immer und wischte – aber es wollte nicht helfen.

Herr Heinrich hielt die Hände des Mädchens gefaßt und blickte tief bewegt in Gittlis Gesicht, das von Thränen überströmt zu ihm emporgerichtet war, wie einer tröstenden Antwort harrend.

Hätte nicht das Feuer geknistert, der Regen über dem Schindeldach geplätschert und Herr Schluttemann auf dem Heuboden geschnarcht, es wäre ganz, ganz stille gewesen in der Küche.

„Warum? Ja, warum?“ Herr Heinrich setzte sich an Gittlis Seite. „Das fragst Du? Das weißt Du nicht? So ein kluges Dirnlein wie Du? Geh’ doch, Gittli geh’ ... wie kannst Du nur so fragen!“

Sie wurde verlegen und suchte nach Worten. „Weil ... weil ich’s halt doch nicht weiß, Herr!“

„Aber freilich weißt Du es! Welch ein holdes, süßes Kindlein Euer Liebling war, das weißt Du doch, gelt?“

„Ja, Herr, ach ja!“

„Und nun denke Dir: wenn das Kindl hätte leben müssen und Schmerzen leiden und siechen, und die bösen Menschen hätten es gestoßen, getreten und geschlagen, und es hätte Unglück über Unglück erfahren, Kummer über Kammer, Noth und Elend ... und Du und des Kindleins Mutter, Ihr hättet das alles mit ansehen müssen – hätt’ Euch das im Herzea nicht noch viel weher gethan als jetzt, weil es verschienen ist?“

„Ach Gott!“ schluchzte Gittli und wehrte mit beiden Händen, als wollte sie den Gedanken, daß ihr „Mimmidatzi“ hätte leiden müssen, gar nicht eindringen lassen in ihr Herz.

„Gelt? Da ist halt wieder einmal der liebe Herrgott gescheiter gewesen als wir alle miteinander. Der hat sich gedacht: nein, so was laß ich nicht kommen über das liebe, gute Kindl, da nehm’ ich es lieber zu mir herauf in meinen Himmel und mach’ ein Engelein aus ihm, damit es in Freude und Glückseligkeit hinunterlachen kann auf sein Heimathl[2] und ein rechter, fester Schutzengel sein soll für all’ seine lieben Leut’!“

„O mein, brauchen thäten wir freilich einen!“ seufzte Gittli tief auf, und zu Herrn Heinrich emporblickend sagte sie: „Schauet, Herr, ich hab’ mir allweil so was gedacht, aber ich hab’ mir’s halt völlig nicht sagen können!“

„Gelt, siehst Du, daß Du es weißt!“

„Ja, und es muß auch wahr sein, denn hätt’ ich den Schutzengel nicht gehabt, ich hätt’ den Haymo nimmer finden können, und jede Stund’ derzeit, Tag und Nacht hab’ ich das Kindl allweil bei mir sitzen sehen, und allweil hat’s mich angelachet. Gelt, Herr Heinrich, unser Herrgott ist halt doch ein guter, guter Mann!“

„Das mein’ ich! Und darum sei gescheit, Gittli, verlaß Dich nur auf ihn und wisch’ Dir die Zähren ab! Und dann laß Dir vom Frater Severin eine tüchtige Schüssel voll Suppe geben, trag sie hinüber zum Haymo und schau darauf, daß er gehörig ißt.“

Jetzt lächelte Gittli, freilich noch in Thränen. „Da seid nur ganz ruhig, Herr Heinrich, ich will schon hineinstopfen in ihn, was das Zeug hält!“

Frater Severin kam bereits mit der Schüssel. „Nimm, Dirnlein, nimm!“ flüsterte er und zwinkerte mit freundlichen Augen. „Die besten Bröcklein hab’ ich für ihn gefischt!“

„Vergelt’s Gott!“ sagte sie, nahm die Schüssel und ging mit achtsamen Schritten davon, die Augen starr auf die Suppe gerichtet, um nur ja kein Tröpflein zu verschütten.

Herr Heinrich blickte ihr lächelnd nach. „Warum? Warum? Du alte, ewig menschliche Frage! Wärest du doch in jeder Brust so leicht zu geschweigen wie in dem Herzen dieses Kindes.“

Inzwischen hatte Gittli die Jägerhütte erreicht, in welcher Walti bei Haymo saß. „Da schau,“ sagte sie, „was ich da jetzt bring’!“

Haymo richtete sich auf. „Gittli!“ Hätte er tausend Worte gesprochen, er hätte mehr nicht sagen können, als was der Klang dieses Namens verrieth, was der Blick seiner Augen sprach.

„Du! Jetzt thu’ mir nicht reden!“ drohte sie. Jetzt mußt essen! Und alles, alles – bis auf das letzte Bröserl!“ Sie setzte sich auf den Rand des Lagers und zog das Knie herauf, um eine Stütze für die Schüssel zu haben. Er begann zu essen, und bei jedem Löffel, den er nahm, schaute er zu ihren Augen auf; und immer wieder nickte sie ihm zu und lächelte. „Gelt, das schmeckt?“

Walti steckte die Nase in den Suppendampf. „Kruzi, Kruzi, wenn ich allweil solche Sachen kriegen thät’, da ließ’ ich mir gleich auch eins auf den Buckel stechen ... von so einem schlechten Kerl!“ Er griff mit beiden Händen zu, denn die Schüssel wackelte bedenklich zwischen Gittlis Händen. „Was machst denn? So halt’ doch fest!“ Und zu Haymo sich wendend fragte er: „Sag’, Jäger, Du mußt aber doch wissen, was es für einer war?“

  1. In den Predigten des Bruder Berchtold von Regensburg (13. Jahrhundert) heißt es: „Wilt du zuo dem tanze unde zuo dem haymgartten unde wilt da vil gerüemen unde gelachen unde geweterblitzen unde gezwieren mit den ougen, so mahtu wol bestruchen in den stric des tiuvels.“
  2. Elternhaus.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 363. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_363.jpg&oldid=- (Version vom 12.3.2021)
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