Verschiedene: Die Gartenlaube (1892) | |
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Schönheit der Italienerinnen ihrem Ruf ganz entspräche. Es giebt Orte, wo dem Fremden reizende Gesichter und liebliche Erscheinungen nicht nur vereinzelt begegnen, wie Capri, Florenz, Siena, und aus der Wagenreihe des römischen Korso grüßt manch stolze Schönheit, die daran erinnert, daß am Ufer des Tiber einst Raphaels Modelle aufwuchsen. Aber es giebt andererseits Orte, wo man auf der Promenade vergebens ein Königreich für ein schönes Mädchen aufbieten würde, darunter in erster Linie Neapel. Selbstverständlich schließt das nicht aus, daß auch in Italien tausend und abertausend Mädchen blühen, welche einen Deutschen entzücken und ihm dauernde Liebe einzuflößen vermögen. Ich habe selbst deren im Hause kennengekernt, welche ebenso durch ihre Schönheit wie durch die Lieblichkeit ihres Wesens und ihre überraschende Bildung – viele Damen werden von deutschen Gouvernanten unterrichtet – in Staunen setzten. Im allgemeinen wird freilich das weibliche Geschlecht in Italien in einer solchen Weltfremdheit erzogen, daß eine italienische Gattin dem deutschen Ehemanne selten als eine Gleichberechtigte entgegen tritt. Die Sitte erlaubt nicht, daß ein Mädchen oder eine Frau allein über die Straße geschweige denn in ein Theater gehe, und diese sklavische, ich möchte sagen haremartige Unselbständigkeit verleiht den Frauen etwas von ihren orientalischen Schwestern. Der Italiener wünscht von seiner Frau im Durchschnitt weiter nichts, als daß sie sich schön zu kleiden und zu putzen wisse und daß sie eine hingebende Frau und Mutter sei. Der Deutsche, welcher eine Theilnehmerin seiner Arbeiten und Pläne, eine Repräsentantin seiner Familie, eine Frau, welche ihn und seine Freunde stets auf der Höhe des Tages zu unterhalten versteht, und vor allem eine gute tüchtige Hausfrau beansprucht, wird diese Anforderungen meist, wenn er eine Tochter des Südens freit, bedeutend herabsetzen müssen, und so sind denn auch die Fälle von Heirathen Deutscher mit Italienerinnen verhältnißmäßig selten. Dagegen trifft man ungleich mehr Heirathen von Italienern mit deutschen Frauen. Wenn der Deutsche als solcher schon drüben als ein Muster von Bildung und Gelahrtheit, sowie als ein umgänglicher Mensch angesehen wird, so kommt den deutschen Frauen noch die Annahme zu gute, daß sie tüchtige Hausfrauen und treue Gattinnen, daß sie besser unterrichtet und von Haus aus an den gesellschaftlichen Umgang mit Männern mehr gewohnt sind als die ängstlich gehüteten Italienerinnen. In jeder Ehe, selbst zwischen sozial gleichstehenden und ähnlich erzogenen Menschen, bedarf es ja längerer Zeit, bis sich ihre Verschiedenheiten in Harmonie ausgeglichen haben; die Dauer dieses Uebergangs wird um so größer sein, wenn die Gatten aus zwei völlig verschiedenen Nationen herstammen. Aber der Italiener hat eine so leichte Umgänglichkeit, eine so im Herzen begründete Liebenswürdigkeit, ist so voll Lebenslust, Anspruchslosigkeit und Dankbarkeit für Schonung seiner Schwächen, daß eine vernünftige Frau, welche ihn nicht mit Pedanterien und Eifersüchteleien quält, auch gut mit ihm auskommen muß.
In einem Punkte begegnen sich beide Theile, in dem Bedürfniß nach weiterer Geselligkeit, und diese kann sich in Italien ein Haus um so eher gestatten, als sie nicht entfernt so kostspielig ist wie in Deutschland. Die schweren Einladungen mit mehrstündigen Sitzungen an der Tafel sind in dem darin idealen Italien so gut wie unbekannt. Man kommt entweder vor Tisch zusammen, das heißt also etwa zwischen 5 und 7 Uhr nachmittags – und dann gilt der Besuch gewöhnlich der Frau, und es setzt nichts weiter als ein Täßchen Thee und einige Süßigkeiten, Cakes oder anderes Backwerk – oder nach Tisch, das ist also etwa um 9 Uhr abends, und dann hat man Aussicht, gegen Mitternacht einige Sandwiches, einige Gläschen Marsala zu genießen, während es für die Damen etwas besseres Konfekt und eine Tasse Thee giebt. Das sind die materiellen Genüsse. Die geistigen beruhen hauptsächlich auf dem Wesen einer internationalen Gesellschaft, wo schon das Sprachengewirr anregend und erquickend wirkt. Englisch, Italienisch, Französisch und Deutsch ist das mindeste, was in fortwährender Plauderei herüber und hinüber tönt. Und ob sich dann die ganze Gesellschaft zu einem Tänzchen zusammenthut – die Italiener und Italienerinnen tanzen mit einem Feuer und einer Leichtigkeit, wie dies bei uns nur in vereinzelten Fällen vorkommt – oder ob sie sich an Dilettantenvorträgen auf dem Klavier, der Mandoline, an einem Streichquartett oder am Gesang einer Künstlerin erfreut – die Musik ist das Volapük, welches alle internationalen Schranken überspringt und alle Herzen aufschließt. Ich muß gestehen, daß wir niemals aus einer dieser Gesellschaften ohne freundliche Anregung nach Hause gegangen sind und daß wir diesen zwanglosen geselligen Abenden die liebenswürdigsten Bekanntschaften verdanken.
Man kann durchaus nicht sagen, daß die in Italien lebenden Deutschen ihr Vaterland verleugnen. Und wenn sie noch so lange im Auslande leben, die Neigung, mit ihren Landsleuten zu verkehren, ihnen gewissermaßen die Honneurs in dem schönen Lande zu machen, die Theilnahme für alles, was daheim vorgeht, ist ihnen mehr oder minder geblieben. Und wenn auch dort nicht ein so abgeschlossener Ring zwischen den Deutschen besteht wie zwischen den Engländern, so kann man doch recht gut in jeder größeren Stadt von einer deutschen Kolonie sprechen. Diese hat zum Mittelpunkt die Botschaften, die deutschen Konsulate, in Florenz und Neapel die deutschen Klubs. In Rom bildet ihn der deutsche Künstlerverein, welcher sich eines bedeutenden Ansehens erfreut, in den künstlerisch ausgestatteten, behaglichen, den ganzen Tag geöffneten Räumen des Palazzo Serlupi ein gastliches Heim besitzt; ihm als Gäste anzugehören, rechnen sich die angesehensten Männer jederzeit zur Ehre an. Durch Vorträge, Herrenabende, Abendgesellschaften mit Damen, durch eine Weihnachtsfeier unter dem Tannenbaum, sowie durch glänzende und mit anmuthiger Künstlerlaune veranstaltete Masken- und Kostümfeste erhält der Verein das Interesse seiner Mitglieder unausgesetzt rege und wahrt sich selbst seinen althergebrachten Ruf.
Uebrigens habe ich bemerkt, daß die Deutschen unter dem sogenannten ewig lachenden Himmel Italiens manches von ihrer nationalen Eigenart abgelegt und manches von den Landessitten angenommen haben. Das Kneipenleben ist ein wesentlich anderes. Es giebt wohl in Rom, Florenz, Neapel „Birrerien“, das sind Verkaufs- und Ausschankstellen bayerischer und österreichischer Biere; aber ob es der ungewöhnlich hohe Preis ist oder das Fehlen der „stilvollen“ deutschen Biertempel: der Gambrinuskultus bleibt in dem Lande der Citronen immer ein Fremdling, dem das rechte eingesessene Stammpublikum fehlt. Immerhin machen einige der „Birrerien“ ganz leidliche Geschäfte, und man kann darauf rechnen, in diesen zum Theil hochfeinen, elektrisch beleuchteten, mit kostbaren Bildern und glänzenden Spiegeln ausgestatteten Sälen Landsleute anzutreffen. Doch hat sich im allgemeinen der Geschmack dem Wein zugewendet, und es giebt in Seitensträßchen Osterien, die sich von außen wie Räuberhöhlen anlassen, in denen sich aber einem guten Tropfen zuliebe unsere Landsleute Kopf an Kopf zusammenfinden und mit Straßenarbeitern und Fuhrleuten um die Wette die dargebotenen beliebten Speisen – heut trippa, Kaldaunen, morgen Maccaroni, übermorgen gnocchi, Knödel, verzehren.
Außerdem findet man die Deutschen natürlich in allen Restaurants und am meisten in denen, welche durch Sauberkeit und Billigkeit im Bädeker einen Stern zu erringen das Glück gehabt haben. Die Engländer, obwohl als Reisende in starker Ueberzahl, sind in den Trattorien viel seltener, weil sie sich zum allergrößten Theil in Pension geben, dort gewissermaßen ein Stück Old-England bildend, welches unversehrt und unvermischt auf dem fremden Meere herumschwimmt. Der Deutsche wahrt sich gern seine Bewegungsfreiheit. Sobald er einigermaßen mit der Sprache fortkann, nimmt er bei längerem Aufenthalt eine Privatwohnung und macht nun, die Abwechslung liebend und dem Studium hold, die Runde in den Lokalen. Man erkennt ihn dort im ersten Augenblick seines Hereintretens. Ich konnte mir noch so viel Mühe geben, italienisch auszusehen, und noch so gleichmüthig unsre „due café latte e paste", zwei Tassen Kaffe mit Milch und Gebäck, bestellen, der Kellner brachte uns doch unaufgefordert die deutschen Zeitungen dazu.
Wenn nicht an seinem hellen Haar und seiner helleren Hautfarbe – es giebt ja unter den Italienern fast so viel Blonde als unter den Germanen Dunkelhaarige – an seiner Kleidung und an seinem weichen Filzhut – der Italiener bevorzugt den Cylinder und trägt, sowie das Wetter nur etwas kühl wird, den Pelz oder wenigstens Pelzkragen – wenn nicht an seiner Brille, durch welche der Deutsche im Auslande überall erkennbar ist, unterscheidet man ihn am Abnehmen des Hutes in einem öffentlichen Lokal. Der Engländer nimmt den Hut überhaupt nur im Salon ab, der Italiener lüftet ihn, wenn er in einen besuchten Ranm tritt und wenn er diesen verläßt, behält ihn aber, eine für unser Gefühl unfein wirkende Sitte, während
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 370. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_370.jpg&oldid=- (Version vom 9.4.2024)