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Seite:Die Gartenlaube (1894) 011.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

ein für allemal eine Einlaßkarte, ohne die der Posten nachts niemand ins Haus läßt. Zapfenstreich giebt es nicht; überhaupt hat jegliche Blaserei aufgehört, seitdem der letzte Trompeter des Hauses ins Grab sank. Dafür aber bereitet Sonnabend mittags jeweilig die Kapelle eines Garderegiments den alten Herren eine musikalische Unterhaltung.

Machen wir einmal einen Besuch auf einer der fünf „Pflegestationen“, wie man die Stuben der Unverheirateten nennt. Wir klopfen an – ein freundliches „Herein“!

Die vier alten Herren, die da ihrer Partie Schafskopf obliegen, erwidern unsere Begrüßung höflich, spielen dann aber auf unsere Bitte hin mit sachlichem Ernste weiter, indessen wir uns etwas im Gemache umschauen. Kasernenluft und gleichzeitig eine gewisse Gemütlichkeit umgeben uns, ein Gemisch aus Hackländer und Chodowiecki. Nicht am wenigsten trägt zu diesem Eindruck der ehrbare Lederlehnstuhl am Fenster bei. Drei eiserne Betten, ein kahler Tisch nebst Bänken und Holzstühlen, ein paar Kriegs- und Kaiserbilder an den Wänden machen die übrige Einrichtung aus. Die Leute scheinen sich hier wirklich wohl zu fühlen. Im Essen und Trinken und Schlafen kommen sie nicht zu kurz, noch weniger im Rauchen, denn die urgemütliche lange Pfeife steht bei ihnen immer noch hoch in Ehren. Eine solche Lebensweise aber scheint zu konservieren. Eine sehr große Anzahl Kameraden folgte dem Befehl zum „letzten Appell“ in einem beneidenswert hohen Alter.

Die letzten warmen Tage.

Noch erfreulicher als während der Winterszeit in gut gewärmter Stube gestaltet sich der Hausbewohner Dasein im Sommer. Die Familien pflegen ihre Gärtchen; die alten Kameraden verlegen ihre Spaziergänge und Gespräche unter die Platanen, Linden und Rüstern, die in Fülle auf der einstigen Sandscholle gepflanzt sind. Da sitzen sie, so lange des Sommers warme Sonnenstrahlen es gestatten, geruhsam beisammen und rauchen und verbessern dabei die Verhältnisse des Hauses, der Armee, des Vaterlandes und der ganzen Welt.

Zuweilen steht auch wohl ein Stratege unter ihnen auf. Ein solcher erlangte z. B. vor einer Reihe von Jahren einen gewissen Ruhm. Als zuerst Helden von Anno 70 und 71 ins Haus kamen, erfaßte die älteren Herren von 66, 64 und 48 und einige ganz eisgraue aus den Befreiungskriegen eine Art Eifersucht, die bei heftigen Feldzugsdebatten zum Ausbruch zu kommen pflegte. Nur gegen den „Strategen“ konnten die alten Herren nicht an. Wenn dieser Vortrag hielt über die Belagerung von Metz und dann schloß. „So saßen die Franzosen in die Falle wie eene Maus und wir saßen wie eene Katze drum herum“, so mußten sie alle miteinander verstummen; dergleichen Leistungen hatten sie von Anno dazumal ja doch nicht aufzuweisen.

Rührend ist der Anblick der Blinden, von denen einer seit 50 Jahren die Sehkraft verloren und kürzlich sein elfjähriges Jubelfest als Hausinsasse gefeiert hat. Einzeln oder zu zweien, mit den Stöcken vortastend, suchen sie ihren Weg in den Garten. Die Strecke zwischen der Gartenterrasse und dem Kanal ist ihr Gebiet, dort können sie gefahrlos auf und ab wandeln und bequeme Bänke bieten ihnen wohlbekannte Ruheplätze, auf denen sie dem Sang der Vögel lauschen.

An beide Enden des Hauptgebäudes schließen sich je eine evangelische und eine katholische Kirche an, deren Geistliche ebenfalls im Hause wohnen. Unter den früheren lutherischen Feldpredigern des Invalidenhauses befand sich auch Friedrich Wilhelm Schmidt, bekannt als der Dichter „Schmidt von Werneuchen“, dem wir folgende hausbackene und doch so anspruchslos behagliche Schilderung eines Juniabends im Invalidenhause – es war, wie der Dichter gewissenhaft vermerkt, um 11 Uhr – verdanken:

„Hinter diesen Lack- und Rosenbäumchen
Hier am kleinen offnen Fenster ruht
Sich’s beim Abendsange lieber Heimchen
Und der Frösche Quaken noch so gut.
Längst schon schläft mein Zeisig; ein paar Mücken
Wachen mit mir in der Stube nur,
Alles ist so stille, daß ich picken
Deutlich hör’ meine Taschenuhr.“ –

Aus dem Reliquienschrank.
Stern des Schwarzen Adlerordens vom Rock Friedrichs des Großen.     Blüchers Mütze.     Bechergläser aus Fridericianischer Zeit.     Medaillen auf Siege Friedrichs d. Gr.     Napoleons Feldbecher.     Schwerins Tabaksdose.

Auf der Nordseite des Hauses breitet sich der Invalidenkirchhof aus, einer der schönsten Friedhöfe Berlins. Ehrwürdige Bäume beschatten ihn, überall rankt dichter Epheu üppig an den Erinnerungsmälern alter berühmter Geschlechter empor. Hier ist die Grabstätte Scharnhorsts und seiner Familie, mit dem sterbenden Löwen auf reliefgeschmücktem Unterbau. Dicht daneben flankieren zwei von Siegesgöttinnen gekrönte Säulen die Ruhestätte der Familie von Boyen. Hervorragend ist auch das Denkmal des Generals Winterfeldt, dessen Gebeine hierher übergeführt wurden; es trägt als Inschrift Friedrichs des Großen Worte: „Er war ein guter Mensch! Er war ein Seelenmensch! Er war mein Freund!“

Noch manches andere schöne Grabmal wäre zu nennen, aber es fehlt uns der Raum, sie alle aufzuzählen. Hart an der Kanalböschung steht die Königslinde „zur Erinnerung an Friedrich II.“ In seltsamem Widerspruch stößt hier die feierliche Kirchhofsruhe zusammen mit dem unruhigen Lärm des jenseit des Kanals liegenden Güterbahnhofs der Hamburger Bahn – Vergangenheit und Gegenwart!

*      *      *

Ein wohlthuendes Gefühl des Geborgenseins, so denken wir uns, muß die Grundstimmung sein, welche die kleine Schar im Berliner Invalidenhause durchströmt, trotz mancher Einschränkung, welche das gemeinsame Leben auferlegt. Wie steht es aber mit der großen Menge derer, welche, an Gesundheit und Erwerbskraft geschwächt, draußen im Reiche von ihrer Pension leben müssen, wie steht es mit den Hinterbliebenen solcher, die in den Kampf fürs

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_011.jpg&oldid=- (Version vom 29.8.2023)
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