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Seite:Die Gartenlaube (1894) 023.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


Recka trug. Das Pferd scheute vor dem Absturz und warf die Nüstern auf, aber ein Rutenhieb zwaug es zum Sprung. Mit vorgestrecktem Halse flog es über den Abgrund hinweg, auf ihm das Mädchen mit erhobenem Arm, das Haupt vom offenen Haar umflattert wie von einem roten Schleier. Roch im Sprung verschwanden Pferd und Reiterin hinter dichtem Gebüsch. Steine kamen in die Schlucht herabgerollt, und ihr Aufschlag übertönte das Rauschen des Wassers. Eigel stieg auf den Pfad zurück. „Jetzt, Herr, sag’ selber – hat die da droben Flügel oder nicht?“

„Flügel nicht, doch einen frevlen Sinn, welcher Gott versucht.“

„Sie muß hierher kommen, sie hat keinen andern Weg.“

„So laß uns warten.“

Schweigend standen sie. Nach einer Weile hörten sie seitwärts aus dem Wald eine helle singende Stimme, die sich entfernte.

„Herr, wir haben umsonst gewartet,“ lachte der Kohlmann, „sie ist gradaus geritten durchs Holz. Ist das eine! Wo unsereins kaum durchschlüpft, findet die noch Bahn für ein ganzes Roß!“

Eberwein wandte sich schweigend ab, und so folgten sie wieder ihrem Wege. Ein halbes Stündlein waren sie thalwärts gestiegen, da wurde zwischen sonnig durchleuchteten Bäumen der Pfad so eben, daß er ein gemächliches Wandern gestattete. Von einer Lichtung her, die aus dem nahen Waldthal heraufschimmerte, klangen laute Stimmen. „Herr, Deine Lent’ sind da!“ rief Eigel über die Schulter.

Sie beschleunigten ihren Gang und traten bald unter den Bäumen hervor. Am Ufer der Ache, welche breit und ruhig in ihrem felsigen Bett das Thal durchfloß, lag eine kleine blumige Matte. Vier Saumtiere zogen weidend über das Gras, die Rücken schweißfleckig von der schweren Last, die man ihnen abgenommen hatte; im Schatten eines Gebüsches lagen die Ballen und Päcke übereinandergehäuft. Am Waldsaum, unter alten moosbehangenen Fichten, brannten zwei lustige Feuer; über dem einen hing an gekreuzten Stangen ein kupferner Kessel, in welchem Wasser dampfte. Ein Mönch trug dürres Holz herbei; es war eine stämmige ungeschlachte Gestalt, Arme wie Balken, Fäuste wie Hämmer, und einem Stiernacken gleich der Hals, der den plumpen Kopf in vorgebeugter Haltung trug; heller als Flachs noch schimmerte das geschorene Haupthaar, und der weißblonde Bart hing dick und zottig nieder, als hätte man dem Bruder Schweiker einen ganzen Spinnrocken vors Gesicht gebunden; dazu ein sonnverbranntes gutmütiges Jünglingsgesicht und unter den weißen Brauen zwei wasserblaue Augen, welche so harmlos blickten wie die Augen eines Kindes.

Ueber dem anderen Feuer schmorte an hölzernem Spieß ein mächtiges Rippenstück, und Bruder Wampo, der neben dem Feuer kauerte, Gesicht und Hände dunkelrot von der Hitze, drehte achtsam den von ihm selbst gefertigten Spieß und goß mit hölzernem Löffel reichliches Fett über den rauchenden Braten. In seiner kauernden Stellung verdeckte die schwarze Kutte seine Füße, die aufgezogenen Knie verschwanden unter dem Bäuchlein, und so war er in seines Leibes rundlicher Fülle schier anzusehen wie eine große Kugel, der man ein kleines beinernes Köpflein aufgesetzt hatte. Denn von den Brauen an, über den ganzen Kopf hinweg, bis in den faltigen Nacken hinunter war keine Spur eines Härleins zu entdecken, und bartlos war auch das rote Gesicht mit dem breiten immer lächelnden Mund, mit den rührsamen Hängebacken und den kleinen, tief versunkenen Aeuglein, die so flink und glänzend blickten wie zwei Vogelaugen. Und wie hurtig die Hände gingen! Jeder Griff und jede Bewegung war wie ein Haschen nach einer Mücke.

Um ihn her standen vier Knechte, die Führer der Saumtiere; und im Schatten des Waldes lagen zwei gewappnete Kriegsleute, deren langmähnige Pferde an einen Baum gekoppelt waren. Einer der Knechte, welcher den Kohlmann mit Eberwein aus dem Wald treten sah, puffte den Bruder Wampo mit dem Knie in den Rücken. „Guck, Du, Dein Herr kommt!“

Der Bruder blickte auf. Er machte eine zuckende Bewegung, als wollte er vom Feuer hinwegspringen. Aber seine Hand war wie festgewachsen an der Kurbel des Bratspießes. Einen flinken musternden Blick warf er über die Knechte; dann rief er zum anderen Feuer hinüber: „Komm her, Bruder, und dreh’ den Spieß! Die da können ja nichts als fressen – schau nur, wie sie am Dampf schnuppern, der Hunger hängt ihnen schon zu den Augen heraus und das Wasser läuft ihnen im Maul zusammen.“

Die Knechte lachten und Schweiker kam herbeigestapft, schwer und langsam, wie ein Baum, dem Füße gewachsen sind. „Da bin ich, was soll’s?“

„So, komm her und hock’ Dich nieder! Mit der Linken dreh’ den Spieß …“ Wampo drehte, bis Schweiker die Hand an die Kurbel gelegt hatte. „So, recht so … und da hast den Löffel und da steht das Häfelein mit dem Schmalz. Gieß’ nur allweil schön langsam auf! Und beim Drehen und Aufgießen mußt achthaben, daß nicht zu viel Fett ins Feuer tropft, sonst schlagt die Flamm’ in die Höh’ und sengt mir den Braten an. Hast verstanden?“

„Wohl wohl!“

Wampo stand noch eine kleine Weile und blickte mit prüfendem Ernst auf Schweikers Hände. Dann nickte er befriedigt, wischte die fetten Finger über die Hüften, fuhr mit dem Kuttenärmel vom Nacken herauf über die schweißbetropfte Glatze und sprang über die Matte hinweg auf Eberwein zu, flink und hopsend wie ein Ball, der im Spiel getrieben wird. Bruder Wampo hatte Schwung in den kurzen Beinen, trotz seines Bäuchleins.

„Sei gegrüßt, Herr!“ rief er mit strahlendem Gesicht.

„Gott zum Gruß, Bruder!“ erwiderte Eberwein lächelnd. „Ich sehe, Du bist schon fleißig bei der Arbeit.“

„Freilich, freilich, es schreien doch alle Mägen schon, am lautesten der meinige. Aber saget, Herr, war’t Ihr droben? Wie schaut es aus, unser Landl? Wirklich so, wie uns Pater Meginhart aus der Salzaburg geschrieben: ‚eine wüste Einöde, ein Tummelplatz der wilden Tiere, ein Wohnort der Drachen‘?“

„Von einer ‚wüsten Einöde‘ hab’ ich nichts entdeckt. Unser Land ist blühend in Schönheit und gesegnet von Gottes Hand. Aber,“ fügte Eberwein scherzend bei, „mit den Drachen mag es wohl seine Richtigkeit haben. Einem bin ich begegnet!“

Wampos Aeuglein wurden starr, und mit hurtiger Hand schlug er ein Kreuz über das erschrockene Gesicht. „Herr des Himmels – er hat Euch doch nicht angeblasen mit seinem Gifthauch? Aber nein, nein, sonst stündet Ihr ja nimmer da vor mir, gesund und lebendigen Leibes!“ Er schlug die Hände über dem Kopfe zusammen. „Saget, saget, wie hat er denn ausgeschaut? Halb wie der Teufel und halb wie Fisch und Vogel? Gelt?“

„Nein, Bruder, ein klein wenig anders. Unten wie ein Pferd und oben wie ein Weib; zwei Köpfe hat er gehabt, sechs Füße und zwei Arme, vier Hufe und zehn Finger, eine schwarze Mähne und rotes Lockenhaar, zwei dampfende Nüstern im einen Gesicht und eine Nas’ im andern …“ Eberwein konnte nicht weiter sprechen, er mußte lachen.

Da schien auch in Bruder Wampos Oberstübchen das Verständnis aufzudämmern. „Ach, Ihr …“ brummte er schmollend. „Aber jetzt kommt, Herr, ich hab’ schon ein Plätzlein für Euch ausgesucht im schönsten Moos und im besten Schatten.“

Eigel ließ sich nieder, wo er stand. Eberwein folgte dem Bruder und blickte mit suchenden Augen umher. „Wo ist Waldram?“

„Ins Holz ist er hineingegangen, wo’s still und finster ist. Beim Feuer war’s ihm zu lustig.“

„Und Herr Friedrich von Haunsperg?“

„Er ist auf dem Wege zurückgeritten bis zum anderen Bach, an dem wir vorbeigezogen. Wie wir dahergekommen sind und Ihr seid nicht dagewesen, hat er gemeint, der Kohlmann hätt’ die Abred’ falsch verstanden und Ihr wärt auf demselben Wege herunter, auf dem Ihr hinaufgestiegen seid.“

„Man muß ihm Botschaft schicken.“

„Wohl wohl, das besorg’ ich schon. Setzt Euch nur!“

Bruder Wampo hatte das Ruheplätzchen für Eberwein prächtig gewählt: zu Füßen einer Fichte, in schwellendem Moos und dicht am Ufer der Ache, deren krystallene Wellen mit sachtem Gemurmel um die grauen Steine spielten. „Hier ist gut sein!“ lächelte Eberwein und streckte tiefatmend die Glieder.

Bruder Wampo hopste geschäftig hinweg, und gleich darauf schwang sich einer der beiden Kriegsknechte aufs Pferd und trabte durch den von zitternden Lichtern erfüllten Wald davon.




3.

Als Wampo zum Feuer zurückkehrte, saß Schweiker breit auf der Erde und quirlte langsam den Bratspieß zwischen den flachen Händen, während einer der Knechte das Aufgießen besorgte.

„Ja was ist denn? Was machst denn da?“

Mit rotem Gesicht und verlegenen Augen blickte Schweiker zu Wampo auf. „Ich weiß nicht … ich muß wohl ein lützel herb zugegriffen haben, da ist mir die Kurbel in der Hand geblieben!“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_023.jpg&oldid=- (Version vom 20.2.2019)
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