Verschiedene: Die Gartenlaube (1894) | |
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sicherten ihnen eine ungeheure Verbreitung. Eines der schönsten, „Adagio“ aus der Bilderreihe „Der Virtuos“, findet sich unter unseren Abbildungen.
Und nun ging es mit Macht einer neuen Blütezeit zu, denn nun erstanden in ununterbrochener Folge die bedeutenden Zeichnertalente: Oberländer, Harburger, W. Diez, Erdmann Wagner, Albrecht, Bauer, Flashar, Bechstein, Grätz, Mandlik, Meggendorfer, Hengeler, v. Nagel, Schlittgen, E. und R. Reinicke, Steub, Stuck, Zopf, Gehrts, H. Vogel, Simm u. a., deren Beteiligung schon Anfang der siebziger Jahre das Blatt zu glänzender Höhe hob und ihm seither den ersten Rang unter den humoristischen Blättern verschafft hat.
Vor allem leuchten Oberländers Bilder hervor. Was er macht, ob afrikanische Wüstenlöwen oder deutsche Musensöhne, ob phantastische Traumerscheinungen oder Randzeichnungen aus dem Schreibheft des kleinen Moritz, Bilder aus dem Soldaten- oder aus dem Vagabundenleben, wie das unvergleichliche „Fidele Gefängnis“, überall ist er ein Künstler ersten Ranges, ein Krösus an glänzenden, tiefsinnigen und hinreißend komischen Einfällen, wie Deutschland niemals zuvor einen besessen hat, noch gleichzeitig einen zweiten besitzt. Auch Harburger ist ein Meister der Charakteristik; seine Trinker, Wirte und Hausknechte scheinen nicht minder frisch aus dem Leben aufs Papier gebracht als die Professoren, Dichter und Schauspieler und sind doch geistgeboren wie jedes echte Kunstwerk. Ohne geniale Schöpfergabe wäre es nicht möglich, so die Einzelfigur als Typus des Standes und Charakters darzustellen, wie dies Harburger stets in unvergleichlicher Weise versteht. Der „gewissenhafte Wirt“ und sein Hausknecht in spe liefern dafür den besten Beweis. Es würde viel weiter führen, als der diesen kurzen Betrachtungen gewidmete Raum erlaubt, noch alle anderen glanzvollen Leistungen einzeln hervorzuheben: Vogels reizend poetische Märchenbilder, Schlittgens eigenstes Gebiet des eleganten Militärlebens neben den auch von E. Wagner, R. Reinicke, Flashar und Zopf so vorzüglich geschilderten Salonscenen und häuslichen Ereignissen. Ein getreues Bild unserer modernen Gesellschaft sieht uns aus diesen kleinen Meisterwerken entgegen, deren viele von einem außerordentlichen Reiz der Zeichnung und Charakteristik sind. Ebenso verhält es sich mit den prächtigen Reiterbildern von Nagel und W.Diez; hier wird der spaßhafte Einfall immer von einer ganz ernsthaften Kunst begleitet, die augenblicklich wohl ein Lächeln des Humors zeigt, aber nie zur Karikatur wird. Herzerfreuend und zwerchfellerschütternd dagegen behandeln diese, nächst Oberländer, die Meister E. Reinicke, Steub, Grätz, Bechstein, Hengeler und manche andere; es ist geradezu unmöglich, dem plötzlichen Eindruck dieser Soldaten- und Bauernbilder zu widerstehen.
Ueber der Betrachtung des so wertvollen künstlerischen Teils darf aber nicht vergessen werden, welch eine Summe von Geist und Humor auch in dem Text, oft nur in einigen Zeilen der Unterschrift, niedergelegt ist. Der bloße Wortwitz, dessen Pointe im Aussprechen liegt, ist so gut wie ausgeschlossen, es sind meistens vortrefflich komische Einfälle, oft auch solche, welche die Vorstellung im Leser durch eine rasche Gedankenfolge erzeugen, ohne sie direkt auszusprechen, und deshalb um so unwiderstehlicher wirken.
Unter dem anspruchslosen Titel „Gedankensplitter“ stehen häufig Sätze von so hoher Vortrefflichkeit, daß sie in sehr berühmten Aphorismensammlungen zu glänzen verdienten. Eine Fülle von ausgezeichneten humoristischen Einfällen giebt ferner der bekannte Naturforscher v. Miris in seinen gelehrten Abhandlungen. Und welche Heiterkeit erregt „Mikado“ mit seinen unwiderstehlichen sächsischen Balladen!
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_029.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)