Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1894) 031.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


bedeutend gefahrloser zu gestalten. Er tränkte die sehr poröse Kieselguhr- oder Infusorienerde, wie sie bei Oberlohe in Hannover vorkommt, mit Nitroglycerin und erhielt so eine Masse, die er „Dynamit“ nannte. Dieses Verfahren wurde bald nachgeahmt; anstatt der Kieselguhr mischte man andere Körper mit dem Nitroglycerin, so z. B. Randanit, eine Kieselerde, die sich in Puy de Dòme in Frankreich findet, Asche der Bogheadkohle, Tripolith, Alaun, schwefelsaure Magnesia etc., und so kamen verschiedene Sorten Dynamit in den Handel.

Als Vorzüge eines guten Dynamits wurden folgende angegeben: es sollte gegen Stoß unempfindlich sein, bei Berührung mit brennenden Körpern mit ruhiger Flamme abbrennen und nur dann explodieren, wenn man es mit einem Zünder in Verbindung brachte, der Knallquecksilber enthielt, und diesen abfeuerte. Die Erfahrung hat nun gelehrt, daß durch geeignet starke Knallquecksilberzünder das Dynamit mit Sicherheit zur Explosion gebracht wird, daß es aber unter Umstanden auch infolge anderer Einflüsse explodieren kann. Seine Unempfindlichkeit gegen Schlag und Stoß ist keine unbedingte. Es ist zwar nicht gelungen, lose zerstreutes Dynamit zur Explosion zu bringen, wenn man mit Eisen auf Holzunterlage schlug, wohl aber wenn der Schlag mit Eisen gegen Stein oder mit Eisen gegen Eisen geführt wurde. In gepreßtem Zustande, in festen Behältern geht es infolge eines kräftigen Schlages immer los.

Angezündet, verbrennt das Dynamit wohl mit ruhiger Flamme, aber nicht immer verläuft der Vorgang in harmloser Weise. Oft, namentlich wenn größere Mengen des Sprengstoffes beisammen lagern, ist die Erhitzung der noch nicht von der Flamme angegriffenen Teile derart, daß die ganze Masse in die Luft fliegt. Darum ereignen sich auch so furchtbare Unglücksfälle, wenn Brände Dynamitlager erreichen, wie dies kürzlich in Santander der Fall war.

Ein großer Feind des Dynamits ist die Kälte. Das Nitroglycerin ist eine ölige, gelbliche Flüssigkeit, die bei etwa + 8° C. erstarrt. Wird es im Dynamit infolge der Abkühlung fest, so trennt es sich von der Kieselguhr oder dem anderen Aufsaugungsmittel. Im gefrorenen Zustande läßt sich das Dynamit schwieriger zur Entzündung bringen, taut es aber auf, so geschieht es mitunter, daß das Sprengöl in die Kieselguhr nicht wieder eindringt, sondern in freien Tröpfchen sich in oder neben dieser ansammelt. Eine solche Dynamitpatrone birgt alsdann alle Gefahren des reinen Nitroglycerins in sich und kann bereits platzen, wenn man sie zufällig auf die Erde fallen läßt.

Schließlich ist das Dynamit der Gefahr der Selbstentzündung unterworfen. Nach kürzerer oder längerer Zeit neigt es zur Zersetzung, und wenn diese einen gewissen Grad erreicht hat, so explodiert die Masse selbst bei einem leisen Stoß, wie z. B. dem Zufallen der Thür zu dem Raume, in welchem sie aufbewahrt wird. Diese Zersetzung tritt besonders leicht bei denjenigen Sorten von Nitroglycerin ein, welche bei der Fabrikation nicht genügend gereinigt wurden und noch Spuren von Säure enthalten.

Das sind die wichtigsten Schattenseiten des gewaltigen Sprengmittels. Sie wurden geraume Zeit und werden noch heute von Technikern und Arbeitern nicht genügend gewürdigt, und viele Unglücksfälle sind wohl auf Rechnung eines strafwürdigen, fahrlässigen Umgangs mit einem so gefährlichen Körper zu setzen.

Trotz aller Unglücksfälle war jedoch das Dynamit in vielen technischen Betrieben dem alten Pulver so überlegen, daß es in großen Mengen hergestellt wurde. Zu Anfang der achtziger Jahre verfertigte die Gesellschaft Nobel allein in ihren europäischen Anstalten gegen 8 Millionen und in den amerikanischen gegen 4 Millionen Kilogramm Dynamit im Jahre.

Je nach dem Gehalt des Dynamits an Nitroglycerin unterschied man stärkere und schwächere Sorten; Dynamit Nr. 1 enthielt z. B. 75%, Dynamit Nr. 2 50% Nitroglycerin. In den zuerst fabrizierten Sorten war das Nitroglycerin der alleinige Explosivkörper; Kieselguhrerde, Asche etc. beteiligten sich nicht bei der Sprengarbeit. Diese Gruppe nannte man darum Dynamite „mit neutraler Basis“. Bald aber wollte man die Kraft des Dynamits noch übertreffen und löste das Sprengöl in Stoffen auf, die auch ihrerseits explodierten und so die Wirkung erhöhten. Man mengte das Nitroglycerin mit Holzkohle und Salpeter und nannte den Sprengstoff „Sebastine“. Aus einer Mischung von Minenpulver und Nitroglycerin setzte man das „Herkulespulver“ zusammen. Durch Kombination mit chlorsaurem Kali schuf man einen weiteren höchst gefährlichen Sprengkörper. Das waren Dynamite „mit aktiver Basis“, und ihre Zahl stieg von Jahr zu Jahr. Am weitesten ging wiederum Nobel, der die beiden gewaltigsten Sprengmittel, Nitroglycerin und Schießbaumwolle, vereinte. Er löste das Sprengöl in einer Art besonders zu diesem Zwecke hergestellten Kollodiums auf und erhielt so eine gelatine- oder gummiartige Masse, die als „Sprenggelatine“ in den Handel gebracht wurde und die alten Dynamite zu einem großen Teil verdrängte. Weniger gefährlich als diese, unempfindlich gegen das Wasser, entfaltet sie fast die Wirkung des reinen Sprengöls. Die Sprenggelatine hat auch zum Teil das alte Pulver ersetzt; denn indem man ihr Kampfer beigab, konnte man sie derart zähmen, daß sich aus ihr das neue rauchschwache Schießpulver bereiten ließ.

Wie groß aber auch die Fortschritte in der Erzeugung von Sprengmitteln sein mögen, wie sehr die Menschheit ihrer auch für die Kulturarbeit bedarf, zufriedenstellend sind die Leistungen der Techniker und Chemiker noch lange nicht. Diese dämonischen Gewalten sind noch nicht genügend gebändigt; wer mit ihnen arbeiten muß, wer sie herstellt, befördert oder verwendet, ist zu sehr den schlimmsten Zufällen preisgegeben. Die Gefahr einer plötzlichen Explosion schwebt über jeder Sprengstofffabrik, über jedem Dynamitlager. Die furchtbaren Unglücksfälle, die noch immer sich ereignen, sind darum für die Forscher ein Sporn, in das Wesen der Explosivstoffe noch tiefer einzudringen. Man spricht von Sprengmitteln der Zukunft, die, nicht minder gewaltig in ihrer Wirkung als die besten der heutigen, dennoch völlig gefahrlos angefertigt, verfrachtet und aufbewahrt werden könnten; nur unter ganz besonderen, im gewöhnlichen Laufe der Dinge nicht vorkommenden Bedingungen sollen sie zur Explosion gebracht werden können. Ob dieses Ideal eines Sprengmittels jemals erreicht werden oder immer ein Traum der Erfinder bleiben wird? Wer weiß es? Man sagt, daß in der Technik nichts mehr unmöglich ist, und die Arbeiten der Pioniere der Wissenschaft bewegen sich in Bahnen, die Erfolg versprechen.

Es handelt sich dabei durchaus nicht um Herstellung neuer nitrierter Körper, wie die Schießbaumwolle und das Nitroglycerin es sind; alle anderen ähnlichen chemischen Verbindungen, die man hergestellt hat, sind in gleichem Maße unbeständig, leicht zersetzlich, und die Herstellung aller ist mit Gefahren verbunden. So verhält es sich auch mit der Pikrinsäure, jenem schönen gelben Farbstoff, den Woulfe bereits im Jahre 1771 gewann, indem er Salpetersäure auf Indigo einwirken ließ. Lange Zeit wurden diese Säure und ihre Salze zum Färben von Wolle und Seide benutzt, ohne daß man über sie besonders Klage zu führen gehabt hätte. Da ereignete sich im Jahre 1869 die entsetzliche Katastrophe am Sorbonneplatz in Paris, wo durch die Explosion von pikrinsaurem Kali ein ganzes Häuserviertel in die Luft flog, und seither wurde die Verwendung dieser Stoffe zu Färbezwecken bedeutend eingeschränkt.

Bei den Versuchen, die unbändigen Explosivstoffe zu zähmen, hat man tiefere Einblicke in das Wesen der Explosionsvorgänge gewonnen. Während eine gewöhnliche brennende Zündschnur sofort die Explosion von Knallquecksilber verursacht, vermag sie dieselbe bei gutem Dynamit nicht auszulösen; aber das Dynamit explodiert sofort, wenn es durch die mit Knallquecksilber gefüllte Zündpatrone erschüttert wird. Es giebt eine Stufenleiter in der Beständigkeit der Explosivstoffe, und durch Steigerung der Hitze oder der Erschütterung vermag man Körper explodieren zu lassen, die sonst gar nicht als Explosivstoffe gelten, deren Herstellung, Fortschaffung und Aufbewahrung völlig gefahrlos ist. Man hat Gemenge solcher Stoffe zur Explosion gebracht, wenn man sie durch Patronen aus Dynamit erschütterte. Die Wirkung stand der des Dynamits nicht nach, der Vorteil aber war der, daß eine derartig zusammengesetzte Sprengladung nur zum zwanzigsten Teile – in den Zündpatronen – aus dem gefährlichen Explosivstoff bestand und daß diese Patronen erst im letzten Augenblick mit der an und für sich ungefährlichen übrigen Masse in Berührung gebracht zu werden brauchten. Das bedeutet eine große Verminderung der Gefahr einer vorzeitigen Entzündung.

Neuerdings ist der berühmte Chemiker Pictet mit einem Sprengstoff hervorgetreten, der in seiner Wirkung die bekannten Dynamite übertreffen und sich zugleich derart zähmen lassen soll, daß er auch als Schießpulver verwendet werden könnte. Und doch soll seine Herstellung völlig gefahrlos sein, er soll niemals durch Zufall sich entzünden; erst durch die Hitze von 800 Grad C., welche vom elektrischen Strom geliefert wird, kann er zur Explosion gebracht werden.

Die Zusammensetzung der neuen Sprengstoffe wird noch geheim gehalten. Es ist wohl möglich und sogar wahrscheinlich, daß nach sorgfältiger Prüfung auch diese neuesten Erfindungen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_031.jpg&oldid=- (Version vom 22.6.2023)
OSZAR »