Verschiedene: Die Gartenlaube (1894) | |
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„Hm! Aber nun erzähl’ doch mal! Die Ilse! Da schlag’
doch Gott den Teufel tot! Wo in aller Welt hast Du sie denn
eigentlich zu sehen bekommen?“
„Hier bei Dir war’s, im vergangenen Herbst. Wir saßen in Deinem Achterdeck und Du erzähltest eben vom Kampf mit einem Känguruh, das einen von Eurer Schiffsmannschaft in Lebensgefahr gebracht hatte – erinnerst Du Dich dessen nicht?“
„Des Känguruhs wohl, aber nicht der Ilse – nimm’s nicht übel!“
„Rührt mich nicht, Kapitän! Also sie kam herein und ich fand sie so schön, daß ich sie wie ein Wunder anstarrte und, glaub’ ich, zu grüßen vergaß. Dann stelltest Du uns einander vor –“
„Ich? Sollte ich mich wirklich so sehr vergessen haben?“
„Ich bat Dich -“
„Aha! Batest mich! Dann mag’s sein!“
„Wir unterhielten uns nun – das heißt, was wir eigentlich miteinander sprachen, das könnte ich jetzt nicht mehr sagen.“ Albrechts gebräuntes männliches Gesicht bekam einen weichen Ausdruck, während er halb die Augen zudrückte, als sähe er nach innen.
„Schadet nichts,“ tröstete der Alte. „Wird doch lauter dummes Zeug gewesen sein. Wär’ das erste Mal, daß es sich gelohnt hätte, mit ’nem Frauenzimmer zu reden! Na, was weiter?“
„Ich begleitete Deine Nichte dann noch zu dem Gasthof, in dem sie mit ihrem Vater abzusteigen pflegt. Der Freiherr befand sich noch in der Stadt, und so promenierten wir ein wenig im Garten; dabei sprachen wir viel von Dir.“
„Sehr gütig! Hattet Ihr nichts Besseres zu reden?“
„Nein! Isolde -“
„Nenn’ sie nicht bei diesem fürchterlichen Theaternamen! Sag’ ‚Ilse‘!“
„Ilse also hält sehr viel von Dir.“
„Sehr verbunden! Wär sie nicht zufällig ein Frauenzimmer, ich würd’ auch ’was von ihr halten. Aber so! Und weiter?“
„Schließlich kam ihr Vater. Ilse stellte mich vor und ich that mein möglichstes, ihn für mich einzunehmen, allein ich merkte sofort, daß ich ihm nicht gefiel.“
Leupold ließ sein hartes kurzes Lachen hören. „Kann ich mir denken! Wie könnte meinem hochgeborenen Herrn Schwager der Pate und Pflegesohn des alten Kapitän Leupold gefallen! Ein Mensch, der sagt, was er denkt, ein Mensch, der auf dem Wasser zu Hause ist und kein Familiengut besitzt!“
„Ich ließ mich das nicht anfechten, sondern kündigte ihm in höflichster Form meine Absicht an, in den nächsten Tagen auf dem Gut meinen Besuch zu machen. Er nahm das sehr frostig auf. Trotzdem bin ich dann dort gewesen und hab’ meinen Besuch ausgeführt, aber es waren sehr unerquickliche Stunden für mich. Der Baron empfing mich nicht freundlich. Er mochte merken, aus welchem Grunde ich kam, und that alles, um mich abzuschrecken. Er ließ mich mit Ilse keinen Augenblick allein und war sehr unwillig, als ein Pferdehändler gemeldet wurde, mit dem er längere Zeit zu unterhandeln hatte. Inzwischen führte Isolde mich in den Park. Es war ein schöner sonnengoldener Herbsttag –“ Kamphausens Stimme war immer leiser geworden, jetzt verstummte sie ganz; die Erinnerung hielt ihn gefangen, er vergaß, daß er erzählen wollte.
„Schöner alter Park, nicht?“ schaltete Leupold ein.
„Ja.“ antwortete der junge Mann selbstvergessen, „es war schön. Wir gingen durch den ganzen Park über die Waldwiese bis zum Meer –“
„Hübsche Strecke das! Und mein Herr Schwager amüsierte sich unterdessen mit dem Pferdehändler? ’ne nette Geschichte!“
„Und angesichts der See, die meine Heimat ist, sprach ich mit Isolde!“
„Lange besonnen habt Ihr Euch nicht, Kapitän, das muß ich sagen! Sprachst mit ihr! Und sie sagte natürlich gleich Ja?“
„Nicht gleich, sie hatte Bedenken; aber am Ende gab sie mir doch ihr Wort.“
Leupold maß seinen jungen Freund mit einem sprechenden Blick. „Kann’s ihr nicht verdenken!“ stand darin zu lesen.
„Wir kamen überein, unsere Verlobung einstweilen geheim zu halten. Noch hatte ich ja meine Beförderung nicht. Vor allem galt es, Zeit zu gewinnen, die kranke Mutter vorzubereiten, das Vorurteil des Vaters nach und nach zu besiegen –“
Der Alte lachte auf. „Bin verteufelt neugierig, wie Ihr das Ding anstellen wollt! Vorurteil besiegen! Was ’n richtiges Vorurteil ist, mein lieber Kapitän, das läßt sich ganz einfach nicht besiegen, und wenn Du Dich auf den Kopf stellst! Mein Herr Schwager will nicht umsonst Vater einer schönen Tochter sein. Was denkst Du? Der wird sich frei nach Wallenstein seinen Eidam auf Europas Thronen suchen oder wenigstens unter Leuten, die einem Thron nahestehen!“
„Der Baron ist ein zärtlicher Vater und liebt seine Tochter –“
„Natürlich, mein Sohn! Weil er aber auch sich selbst liebt, wird er ihr sagen, Du bist jung, Kind, kennst die Welt und Dein eigenes Herz noch nicht. Steh’ ab von der phantastischen Liebesgeschichte mit dem Seemann, der Dir ein so unsicheres gefahrvolles Los bietet, laß Deinen klugen alten Vater für Dein Glück – und nebenbei auch für sein eigenes! – sorgen.“
„Ilse wird niemals ihr Lebensglück und das meinige zum Opfer bringen!“
„Schön! Also sie wird nicht. Dann bin ich bloß neugierig, zu erfahren, wie die Sachen jetzt stehen.“
„Wie sollen sie stehen? Wir sind verlobt miteinander, aber das, was anderer Leute Glückseligkeit ist, die Brautzeit, das bringt uns nur Sehnsuchtsqualen und Enttäuschungen. Nicht einmal Ilses Mutter haben wir in unser Geheimnis einweihen können – sie ist seit Monaten viel zu angegriffen, hätte keine ruhige Stunde mehr, wüßte sie, daß ihr Liebling die Verlobte eines Seemanns sei. Der Freiherr selbst hat sein schroffes Benehmen noch gesteigert, eine Werbung von mir um die Hand seiner Tochter wäre die bare Unvernunft. So heißt es denn: warten, sich gedulden! Geduld! Ein schönes Wort für einen leidenschaftlich liebenden Mann, der nun auf ein volles Jahr scheiden, einer ungewissen Zukunft entgegengehen soll.“
„Hm! Und Du hast das Mädchen, die Ilse, in der Zwischenzeit nur selten gesehen?“
„Sehr selten, fast nur von weitem. Die Briefe oder vielmehr die ängstlich hingekritzelten Zettelchen, die sie mir auf allerlei Umwegen zukommen ließ, bestellten mich da und dorthin, ins Theater, in ein Konzert, in irgend einen Laden. Da hab’ ich sie denn gesehen – gesprochen eigentlich nie, denn kann man das Sprechen nennen, wenn man sich kaum die Gelegenheit zu einem geflüsterten Liebeswort, zu einer hastig hingeworfenen Frage zusammenzustehlen vermag? Auch sie leidet, das weiß ich, aber sie ist ein Weib, ist fügsamer, geduldiger als unsereins, und sie hat ihre Eltern, ihren Bruder, Freundinnen … ich hab’ nur sie! Nur sie!“ Er furchte seine Stirn und schaute stumm und finster vor sich hin.
„Und was soll nun werden?“ fragte Leupold endlich.
„Was werden soll? Abschied natürlich! Aber ehe wir uns vielleicht auf immer trennen, wollten wir Dich bitten, Kapitän, hier bei Dir uns Lebewohl sagen zu dürfen.“
„Hier bei mir?“
„Ja, bei Dir! Ich wüßte nicht, wie wir es sonst anfangen sollten, uns ungestört zu sehen. In acht Tagen geht die ‚Nixe‘ vom Kriegshafen ab, am zwölften muß ich dort sein; heute haben wir den siebenten Mai. Isolde wird es einrichten können, in diesen fünf Tagen einmal zur Stadt zu kommen, mit ihrem Vater natürlich, denn allein läßt er sie nie hierher. Er wird es ruhig zugeben, daß Isolde Dich wieder einmal besucht, um Dir Nachrichten und Grüße von Deiner Schwester zu bringen. Kapitän, Du mußt uns dies letzte schmerzliche Glück noch gönnen!“
„So? Muß ich?“
„Du thust es, Kapitän, nicht wahr?“
„Zum Teufel, ja! Obgleich mir die ganze Verlobungsgeschichte in der Seele zuwider ist! Wenn ich’s nicht thäte, fingt Ihr beiden am Ende etwas ganz Verrücktes an. Also zu – genießt Euer ‚schmerzliches Glück‘!“
„Ist das der Segen, den Du uns zu unserer Verlobung giebst?“
„Von mir ist überhaupt nicht zu verlangen, daß ich meinen Segen zu irgend einer Verlobung gebe, sei sie, wie sie wolle! Und vollends bei ’nem Seemann. Ein Seemann soll ledig bleiben, darf nicht ’ne ganze Familie mitreißen in sein Leben voll Angst und Gefahr. Und die Ilse … na, einerlei, ’s ist nichts mehr zu machen! Rennt Euch getrost die Köpfe ein!“
„Du wirst auch gestatten, daß ich meine Briefe an Isolde
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_034.jpg&oldid=- (Version vom 21.2.2019)