Verschiedene: Die Gartenlaube (1894) | |
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Etwas von der Kolportage. Ein großer Teil unseres deutschen Publikums denkt bei den Worten „Kolporteur“ und „Kolportage“ nur an dunkle Gestalten, welche die Hintertreppen auf und ab steigen und unreifen Jünglingen, naiven Kindermädchen oder sensationslüsternen Küchenfeen irgend ein von Blut und Grausen erfülltes Machwerk in unbestimmt vielen Lieferungen aufschwatzen. Diejenigen unserer Leser, welche unter anderem auch die „Gartenlaube“ durch den Kolporteur erhalten, wissen es besser, und in der That ist es ein großer Irrtum, anzunehmen, daß der Kolportagebuchhandel hauptsächlich oder gar ausschließlich mit dem sogenannten „Schauerroman“ sich abgebe. Vielmehr bestehen mindestens 90 Prozent der durch Kolportage im weitesten Sinne vertriebenen Litteratur aus durchaus guten volkstümlichen Zeitschriften und Büchern, großen und kleinen Sammelwerken, Atlanten u. dgl. m. Es giebt in Deutschland verkehrsarme Gegenden, in denen der Kolporteur und vielleicht noch der Buchbinder die einzigen Vermittler litterarischer Erzeugnisse bilden, die also, wenn man den Kolporteur aus ihrem wirtschaftlichen Getriebe striche, von jeder Berührung mit dem litterarischen Leben der Nation so gut wie vollständig ausgeschlossen würden. Und nicht bloß hier, auch in Landesteilen mit besser entwickeltem Verkehr, mit vielen und guten Sortimentsbuchhandlungen, spielt der von Haus zu Haus wandernde Kolporteur wie der buchhändlerische Geschäftsreisende eine Rolle von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Der größte Teil der gewerblichen Fachzeitschriften, Vorlagensammlungen und technischen Bücher aller Art würde ohne persönliches Angebot überhaupt nicht verkauft werden; denn die Leute, für welche diese Werke bestimmt sind und welche daraus Nutzen ziehen sollen, kommen selten oder nie dazu, einen Buchladen aufzusuchen, um sich mit neuen Erscheinungen aus ihrem Fache zu versorgen, ja sie erhalten vielfach gar keine Kenntnis von deren Vorhandensein. Lediglich der Kolporteur ist es, welcher sie darauf aufmerksam macht und dadurch zur Hebung der gewerblichen Leistungsfähigkeit ein wesentliches Teil mit beiträgt.
Endlich beruht die Billigkeit so vieler großer, schöner und gediegener Zeitschriften, Nachschlagewerke etc. nur auf dem durch die Mitwirkung des Kolporteurs geförderten Massenabsatz.
Unter diesen Umständen hieße es das Kind mit dem Bade ausschütten, wenn man um vereinzelter Mißstände willen den ganzen Kolportagebuchhandel lahmlegen, ja vernichten wollte. Und es giebt Leute, welche darauf ausgehen und ihren Bestrebungen schon wiederholt, und auch jetzt wieder in Abänderungsanträgen zur Deutschen Gewerbeordnung Ausdruck verliehen haben. Sie möchten gerne den Vertrieb von Schriftwerken außerhalb der Buchläden aufs äußerste erschwert und die Ausübung des Reise- und Kolportagebuchhandels von der Prüfung der Bedürfnisfrage durch die zuständige Behörde abhängig gemacht sehen. Was wäre aber die Folge, wenn sie ihr Ziel erreichten? Nicht bloß würden zahlreiche fleißige und gewissenhafte Angehörige des Kolporteurgewerbes außer Brot gesetzt, auch der ganze deutsche Buchhandel und weiterhin die ihm in die Hände arbeitenden Geschäfte der Papierfabrikanten, Buchdrucker, Buchbinder, Holzschneider etc. kämen aufs schwerste zu Schaden, das deutsche Volk aber ginge eines regsamen Vermittlers von Wissen und Bildung verlustig. Gegen den schwindelhaften und unsittlichen Kolportagebuchhandel giebt es bereits Gesetze; den ehrlichen und anständigen lasse man in Frieden seines Amtes walten!
Die Villa d’Este in Tivoli. (Zu dem Bilde S. 25.) Wenige Stunden östlich von Rom liegt hoch über dem Ufer des in wilden Fällen zu Thal stürzenden Anio das weltberühmte Tivoli, das alte Tibur, zu dessen Glanz Sage, Geschichte und Natur je ihr reichlich bemessenes Teil beigetragen haben. Da steht noch der alte Sibyllentempel, da zeigt man die Villa des Maecenas, des Dichterfreundes, und die seines Schützlings Horaz; drüben vermutet man in alten Bauresten ein Landhaus des Quintilius Varus, der im Teutoburger Walde verblutete, und hüben dehnen sich die weiten Anlagen der Villa Kaiser Hadrians, in der ein vielerfahrener Weltbeherrscher seinen ganzen Kunstsinn auslebte. Aber auch spätere Zeiten haben mitgebaut an Tivolis Ruhm; und das schönste, was sie schufen, ist die Villa d’Este im Westen des Städtchens, in der einst ihr Erbauer, der Kardinal Ippolito d’Este, mit Ariost, dem Dichter des „Rasenden Roland“, wandelte. Die Kunst der Renaissance hat Italien viele prächtige Paläste und Parkanlagen geschenkt, aber wenige können sich an Schönheit der Formen, an poetischem Zauber der Erscheinung mit der Villa d’Este messen. Unser Bild von Edmund Kanoldt gewährt einen Einblick in diese Herrlichkeiten und deutet auch durch die Gestalt des Geistlichen im Vordergrund den Stand des heutigen Besitzers an: es ist der Kardinal Hohenlohe, der Bruder des kaiserlichen Statthalters in den Reichslanden.
„O lieb, so lang Du lieben kannst!“ Von allen Liedern Freiligraths hat keines so sehr alle Herzen gewonnen wie dies Mahnlied der Liebe, bei dessen seelenvollen Tönen noch manches Auge sich feuchten wird, wenn die meisten Lieder unserer Tage verklungen sind. Eine Mitteilung darüber, wie die herrlichen Verse entstanden sind, verdient darum mit Fug und Recht, für die Mit- und Nachwelt gebucht zu werden. Ich verdanke sie Herrn Wilhelm Aufermann, Rentner in Wiesbaden, der in jungen und späten Jahren viel mit Freiligrath verkehrte. Er erzählte mir jüngst im Wiesbadener Ratskeller Folgendes: „Es mag 1841 gewesen sein, als ich mit Freiligrath in Limburg an der Lenne im Bentheimer Hof zusammentraf (Limburg hat den Beinamen „das westfälische Heidelberg“). Ich kam von Iserlohn und die
beiden anderen Freunde, nämlich Ludwig Elbers und von Eynern, von Barmen. Wir saßen fröhlich bei einer Bowle und huldigten den neuen Poesien des an jenem Abend besonders gut aufgelegten Dichters. Plötzlich kam ein Mißton in die Gesellschaft, weil Freiligrath in seiner überschäumenden Jovialität zu derb gegen Elbers’ Aufbruch protestierte. Diesen rief die Pflicht nach Barmen zurück, und somit verletzten ihn Worte wie „Pedanterie“ etc. Er lief erzürnt weg und blieb auch am folgenden Tage noch kalt, als Freiligrath ihn in Barmen aufsuchte. Da nahm dieser schließlich Abschied mit den Worten: „Nun wohl, wenn Du mit mir nichts mehr zu thun haben willst, so behalte dieses Blatt zum Andenken!“
Kaum aber hatte Elbers die ersten Strophen gelesen, so eilte er Freiligrath nach und rief: „Komm her, alter Freund!“ Eine herzliche Umarmung endete den Zwist. – In später Nacht hatte der Dichter die Mahnung seines Gewissens gespürt und das in Verse gebracht, was so tief, so rein menschlich jedes Herz berührt. Eben weil die Ursache eine so harmlose, die Folge aber, der Verlust eines Freundes, so bitter war, sang der Dichter sein ergreifendes Mahnlied, treue Liebe nicht zu verletzen. Gelegenheitsgedichte sind manchmal die besten. Nicht grübelndes Nachsinnen, sondern tiefe Reue hatte dem edelgesinnten Dichter die Strophen eingegeben:
Und wer dir seine Brust erschließt,
O thu’ ihm, was Du kannst, zu lieb!
Und mach’ ihm jede Stunde froh
Und mach’ ihm keine Stunde trüb!
Und hüte Deine Zunge wohl;
Bald ist ein böses Wort gesagt!
O Gott, es war nicht bös gemeint –
Der andre aber geht und klagt.“
Friedrich Fischbach.
Willkommen! (Zu dem Bilde S. 33.) Wer möchte nicht gern der Gast sein, der in diesem lebenslustigen Kreise, an diesem schmackhaft besetzten Tisch so freundlich willkommen geheißen wird? Verführerisch sticht das gebratene Ferkelchen in die Nase, appetitliche Knödel tauchen im Hintergrunde auf, ein tüchtiger Trunk und ein ordentlich Stück Brot dazu fehlen auch nicht – für einfache gesunde Menschen gewiß genug der leiblichen Genüsse! Und wenn die Essensstunde zugleich die Zeit der Erholung, des gemütlichen Ausgleichs nach regsamer Arbeit sein soll, so wird sie an diesem Tische, unter diesen urwüchsigen Menschenkindern nicht umsonst verplaudert werden. Th. Kleehaas, der Maler unseres Bildes, liebt es, seine Bauern und Aelpler von der heiteren Seite zu fassen; seine Kunst hat etwas von der frischen Dirne, die uns mit freundlichem Lächeln einlädt, Platz zu nehmen an dem Tische, der mit guten Dingen besetzt ist.
Kleiner Briefkasten.
Langjähriger Abonnent in Kasan. Geht nicht! Die „Gartenlaube“ bringt nur Originalbeiträge, keine Uebersetzungen!
R. P. in Schwandorf. Die „Römischen Tagebücher“ von Ferdinand Gregorovius, die Sie nicht erhalten konnten, sind jedenfalls nur vorübergehend vergriffen gewesen, da schon eine zweite Auflage erschienen ist.
Inhalt:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_036.jpg&oldid=- (Version vom 1.9.2023)