Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1894) 120.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Wazemanns beim Aussteigen behilflich zu sein, faßte er sein Grießbeil und verschwand im Wald.

Recka stieg aus dem Nachen, von Rötli gestützt.

„Ich seh’ die Stößer nicht. Hast sie denn nimmer finden können?“

„Nein. Alles Suchen und Rufen war umsonst.“ Recka nahm den Hut ab und schüttelte die Locken in den Nacken. „Sie haben sich nicht in den Wald verflogen ... sonst hätten sie mich hören müssen. Der Elbiß ist wohl untergetaucht, hat die Stößer, die an seinem Hals verschlagen hingen, mit hinuntergezogen und hat sich festgebissen auf dem Seegrund.“

Rötli schüttelte das Köpfchen und flüsterte. „Der ist Luft worden! Das kannst mir glauben!“

„Närrlein!“ lächelte Recka und strich mit sanfter Hand über Rötlis Haar.

Edelrots Blicke suchten den Buben. „Ja wo ist er denn?“ stammelte sie und spähte nach allen Seiten. Nirgends erblickte sie ihn; doch einen anderen sah sie, ihren Bruder. Auch Recka hatte ihn schon gewahrt; eine heiße Röte flammte über ihre Wangen, und hastig wandte sie sich, um das Federspiel, das sie zum Locken der Stößer mitgenommen hatte, aus dem Einbaum zu holen. Sigenot kam von der Ache hergegangen, die schwankende Angelgerte über der Schulter, das Lägel auf dem Rücken. Sein Gesicht war bleich, und seine Augen hatten einen fremden Blick. Wicho, welcher vom Ufer kam, das lange Ruder schleifend, nickte ihm zu und kniff mit einer vergnügten Grimasse die Augen ein ... aus ihm lachte die Schadenfreude über Reckas Verlust. Sigenot verstand diese stumme Sprache nicht und verhielt den Schritt. Da lief ihm die Schwester entgegen. „Denk’ Dir, sie hat die Stößer nimmer gefunden!“

„Schad’ um die Vögel!“ sagte der Fischer, ohne einen Blick auf Recka zu werfen. „Sie waren gut abgetragen.“

Vom herben Klang seiner Stimme befremdet, blickte Rötli auf. Da gewahrte sie auf ihres Bruders Kappe eine seltsame Zier: neben der Schwanenfeder war ein dünnschäftiger Pfeil mit verbogener Spitze durch das Otterfell gestoßen, fast so, wie man eine langstielige Blume auf die Mütze steckt.

„Ja was hast denn da auf Deinem Kappel?“

Sigenot lehnte die Angelrute an die Schulter, nahm die Mütze an und zog den Pfeil hervor.

Raschen Schrittes kam Recka herbeigegangen. „Was soll der Pfeil?“

Der Fischer hob langsam die ernsten Augen. „Warum fragst?“

„Weil es ein Pfeil aus Hennings Köcher ist.“

„Aus Hennings Köcher!“ wiederholte Sigenot mit halblauter Stimme.

„Ich kenn’ ihn am Gefieder. Wie kommst Du zu dem Pfeil?“

Sigenot wollte sprechen; da streiften seine Augen das Gesicht der Schwester, und er blickte gegen das Haus hinauf. „Hast nicht gehört, Rötli? Die Mutter hat gelacht.“

„Die Mutter? Ich hab’ nichts gehört.“

„Wohl wohl! Geh’ nur!“

Edelrot schüttelte verwundert das Köpfchen; aber sie eilte in den Hag und über den Hügel empor.

Mit fragenden Augen blickte Recka den Fischer an. „Warum schickst Du die Schwester fort?“

„Weil sie nicht zu hören braucht, wie ich zu Deines Bruders Pfeil gekommen bin.“

„Ich versteh’ Dich nicht. Wo hast Du den Pfeil gefunden?“

„Gefunden?“ Ein seltsames Lächeln zuckte um Sigenots Lippen. „Freilich ... man findet auch diemal, ohne daß man sucht. Da, nimm den Pfeil und bring’ ihn Deinem Bruder Henning wieder!“ Die Augen mit heißem Blick auf Reckas Antlitz heftend, legte er das gefiederte Rohr in ihre Hand. „Unter dem Lok’stein bin ich an der Ache gestanden und hab’ die Angel geworfen, da ist mir der Pfeil von hint’ her am Hals vorbei geflogen, daß mich die Feder noch gestreift hat, und ist vor mir ins Wasser gesurrt und auf einen Stein gefahren. So hab’ ich ihn gefunden.“

Von Reckas Wangen war alle Farbe gewichen. „Ein böser Zufall,“ sagte sie mit schwankender Stimme und hastigen Worten. „Henning muß nach einem Haselhuhn geschossen haben ... oder nach einem Auerhahn, der durch die Wipfel strich ... und der Pfeil ging fehl und flog durch die Bäume weiter.“

„Wohl wohl, kann schon sein!“ sagte der Fischer; doch er wandte die Augen ab.

„Henning ist ein ungestümer Schütze, der wilde Eifer macht ihn blind ... wär’ ein Unheil geschehen, es wär’ das erste nicht, das er angerichtet.“

„Da hast recht!“ Der Fischer nickte einen stummen Gruß, schulterte die Angelrute und wollte in das Hagthor treten.

Recka starrte mit verlorenem Blick auf den Pfeilschaft in ihrer Hand; dann hob sie die Augen und blickte dem Fischer nach. Wie quälende Unruhe schien es ihr Wesen zu befallen; sie that einen Schritt, und mit gepreßtem Laut, als geschäh’ es wider ihren Willen, klang Sigenots Name von ihren Lippen.

Er wandte das Gesicht. „Was willst?“

Sie zögerte; dann plötzlich hob sie das schöne stolze Haupt und trat auf den Fischer zu. „Sigenot! Ich werde meines Bruders Unverstand dem Vater klagen. Hätte dieser Zufall bös gespielt, es wär’ ein übler Vergelt für die Hilfe gewesen, die Du mir gestern gebracht hast in der Not. Ich bin Dir Dank schuldig. Nimm ihn!“ Sie streckte die Hand aus.

Eine dunkle Röte floß über Sigenots Gesicht; seine Hand zuckte und die Angelrute schwankte; doch er schüttelte den Kopf und langsam, mit herbem Klang, lösten sich die Worte von seinen Lippen: „Was ich an Dir gethan hab’, das hast Du vergolten an meiner Schwester. Da braucht’s keinen Dank. Wir sind auf gleich, und die Sach’ ist abgethan! Auch brauchst Deinen Bruder nicht verklagen. Wenn er merkt, wie der Pfeil geflogen ist, kränkt er sich schon von selber genug!“ Sigenot lächelte wieder und nickte. „Zeit lassen!“ Er wandte sich ab und trat ins Thor.

Reckas Brauen furchten sich, und ein zorniger Blick flammte aus ihren Augen. „Das war der erste Dank, den Du von mir gehört hast ... aber auch der letzte.“ Und während sie hastigen Ganges den Bäumen entgegenschritt, zerknickten ihre Hände den dünnen Pfeilschaft.




11.

Als Sigenot das Haus erreichte. kam Rötli aus der Thür. „Gelt, ich hab’ recht gehabt!“ sagte sie. „Die Mutter hat nichts wollen.“

„So hab’ ich mich halt verhört!“ Er lehnte die Angelrute an die Balkenwand, pfiff dem Knecht und übergab ihm das Lägel, damit er die Ferchen verwahre. Während Rötli hinunterging zum Ufer, um das bleichende Hanftuch zu besprengen, trat Sigenot in das Haus. Mutter Mahtilt nickte ihm lächelnd zu; er ging zu ihrem Stuhl und strich mit der Hand über der Mutter graues Haar. Sie redete mit den bleichen Händen; er verstand die stumme Frage und sagte: „Heut’ hab’ ich schlechten Fang gehabt.“

Sie blickte zu ihm auf. „Warum?“ fragte dieser Blick.

Er zuckte die Schultern. „Es geht halt nicht einen Tag wie den andern.“ Das sagte er wohl mit ruhiger Stimme; doch er wich dem Blick der Mutter aus und trat in seine Kammer.

Mutter Mahtilt erfaßte einen eisernen Zinken und schlug auf den Herdstein, daß er hellen Klang gab. Heilwig kam gelaufen, deckte für Sigenot den Steintisch und rief ihn zum verspäteten Mahl. Er kam und setzte sich an den Tisch, doch er genoß nur wenige Bissen. Lange saß er mit aufgestützten Armen und starrte vor sich hin. Einmal blickte er zur Wand empor, an der seine Waffen hingen, dann hinüber zur Mutter. Und wieder saß er in Gedanken versunken. Freundlicher Art waren diese Gedanken nicht - das verrieten seine Augen und Züge. Tief atmend erhob er sich endlich und nahm mit raschem Griff das Ringhemd von der Wand. Mutter Mahtilt hörte das Klirren und blickte verwundert auf.

„Ich muß die Wehr wieder einmal anschauen,“ sagte Sigenot und ging der Thür zu, „ich mein’, sie rostet.“

Vor dem Haus setzte er sich auf die Bank, nahm das eiserne Hemd über die Knie und begann das dichte Gewirr der Ringe zu mustern. Er fand keine Lücke in dem Gewebe, in den Fugen der Ringe kein Flecklein Rost. Zufrieden nickte er, und während er sich erhob, glitten seine Blicke hinauf zu Wazemanns Haus. „Jetzt, Henning ... jetzt kannst meinethalben ein andermal auch besser zielen!“ Er umschritt das Haus und schob das Ringhemd durch das offene Fenster in seine Kammer.

Als er zurückkehrte, kam Rötli über den Hag heraufgestiegen. Sie

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_120.jpg&oldid=- (Version vom 12.7.2023)
OSZAR »