Verschiedene: Die Gartenlaube (1894) | |
|
an ihre Mutter mahnt und es geht mir in die Gedärm’,
wenn sie mich anschaut mit solchen Augen.“
Die alte Ulla trat in die Stube und deckte für die Nachzügler den Tisch. Die Krüge wurden gefüllt und auf den Lichtreif neue Kerzen gesteckt. Lärm und Gelächter füllte die Stube, während draußen die stille Mondnacht ihren schimmernden Zauber wob. Ein zitterndes Leuchten lag über dem See, den der laue Windhauch der Sommernacht mit winzigen Wellen überkräuselte. Manchmal ließ sich das Quaken einer Wildente hören, und im Schilf um denn Bidlieger raschelte es zuweilen und plätscherte das Wasser; eine fischende Otter stieg ein und aus – „Der Bid geht um“, hätte Rötli gesagt.
Stille Stunden vergingen und Mitternacht war nahe. Da knirschten Tritte im Sand der Lände, und ein Wanderer mit weitausholendem Stab überschritt den freien Platz. Eigel war es, der als Thingbot’ zu den Almen stieg. Auf rauhen Pfaden wanderte er, denn Falkenstein und Wazemanns Haus gegenüber, den steilen Hang der Seeberge empor; mit spärlichen Lichtern fiel ^ der Mondschein durch die Bäume auf seinen Weg.
Es wollte die Nacht sich schon zum Morgen neigen, als Eigel auf der abgeplatteten Höhe des Nerges die erste der Almen erreichte. An drei Hütten schritt der Kohlmann vorüber; über eine weite Halde führte der Weg zur nächsten Hütte, darin die beiden Sennen hausten, welche Sigenot, dem Fischer, hörig waren; Kühe lagen im Gras umher und drehten die Köpfe nach dem einsamen Wanderer. Mitten im Almfeld brannte ein loderndes Feuer, das vom Almenwächter die ganze Nacht hindurch geschürt wurde, um die streifenden Raubtiere zu verscheuchen.
Die Sterne begannen zu erlöschen und eine fahle Helle schlich über die östlichen Bergzinnen empor, als Eigel sich der letzten unter allen Hütten näherte. Ein rötlicher Feuerschein leuchtete aus der kleinen Fensterluke.
„Schau, das sind fleißige Leut’!“ murmelte der Kohlmann. „Die warten nicht, bis der Tag wecken kommt!“ Er beschleunigte seinen Schritt, und bald hörte er aus der Hütte den lauten Klang zweier Stimmen. Aber das war nicht die ruhige Zwiesprach’, wie man sie halten mag vor Beginn des Tagwerks, das klang wie Zank und Streit. Je näher Eigel kam, desto deutlicher unterschied er eine kreischende Weiberstimme und die rauhe Kehle eines Mannes, er hörte Schimpfworte, ausgestoßen in keifendem Zorn, er hörte das Rasseln fallender Holzgeschirre und ein Klatschen, als gäb’ es Hiebe. Eigel begann zu laufen, doch als er über den letzten Hang emporeilte zur Hütte, that die Thür sich auf. „Schlagen willst? Schlagen? Wart’, das vertreib’ ich Dir!“ klang die kreischende Weiberstimme, und über die vom Herdfeuer rot erleuchtete Schwelle kam ein schwarzer Klumpen herausgeflogen in die graue Dämmerung des Morgens. Die Thür wurde zugeschlagen und der Riegel knarrte, während Eigel den an die Luft Gesetzten mit beiden Armen auffing.
„Zeit lassen, Kaganhart, Zeit lassen!“ rief der Kohlmann lachend. „Das ist lieb von Dir, daß Du mir entgegenkommst! Aber gar so tummeln brauchst Dich nicht!“
Keuchend richtete der Bauer sich auf, hob die Fäuste und schrie gegen die Hütte. „Sö ein Schandweib! So eine Trud und Nachthex’!“
Eigel drückte ihm die Hand auf den Mund und zog ihn mit sich fort, um aus dem Hörbereich der Hütte zu kommen. Aber es währte lange, bis Kaganhart sich so weit beruhigte, daß er auf Fragen hörte und Antwort gab. Während sie nun auf dem Rand eines ausgehöhlten Baumstammes saßen, in welchem eine spärlich sickernde Quelle zum Trank für die Kühe gesammelt wurde, erzählte der Bauer: „Seit gestern mittag hat der Streit kein End’ mehr. Ich bin vom Schönauer heimgelaufen und hab’ gemeint, sie sollt’ ’was hergeben für die Gottesleut’ ... aber da bin ich schön angekommen! Geschrien hat sie und ist umgefahren im Haus wie eine Schwarzalfin im Feuerloch. Und wie wir heraufgestiegen sind auf die Alben – den ganzen Weg über hat ein Wörtl das ander’ gejagt.“
„Hast halt auch gebockt und ungut geredet, gelt?“
„Da soll einer stillhalten können! Ein Berg ist gewiß ein guter Kerl, der sich viel gesallen laßt – aber schrei’ einen Berg an, er schreit halt auch zurück! Ich sag’ Dir, die ganze Nacht war kein Fried’ nimmer, und kein Aug’ hab’ ich zugemacht. Auf die Letzt’, wie ich’s gar nimmer ausgehalten hab’, bin ich aufgesprungen,
und daß mir die Zeit vergeht, hab' ich Feuer geschürt. Und da springt sie auch wieder auf und fangt ein Schelten an, weil ich das Holz verbrenn’, das man so weit hertragen muß über die Alben ... und wie sie gar nimmer aufhört, fahrt mir der Zorn in die Fäust’ und ich pack’ einen Besen ...“
„Den Stiel aber, mein’ ich, hat sie erwischt und hat ihn umgedreht!“
Kaganhart brummte etwas, während der Kohlmann aus vollem Halse lachte. „Nur gut, Bauer, daß ich bei der Hand gewesen bin ... Steinplatten liegen vor Deiner Hüttenthür, da hätt’st mit Deiner Nas’ an einer harten Blum’ riechen müssen!“
„Vergelt’s, daß Du mich bewahrt hast davor!“ dankte der Bauer gutmütig. „Aber was führt Dich denn auf die Alben, mitten in der Nacht?“
Eigels Züge wurden ernst. „Schier mein’ ich, ich sollt’ eine Ausred’ sagen und bei Dir vorbeigehen. Denn wer nicht aufkommt wider sein Weib, wird auch nimmer seinen Mann stellen bei Thing und Rat.“
Der Bauer erhob sich. „Als Thingbot’ kommst? Thu’ mir keine Unehr’ an! Stell’ mich hin vor zehn Mannerleut’ und ich halt’ meinen Platz ... aber gegen die da drin kommt auch ein anderer nicht auf. Da kannst von Wutes Helden einen laden ... wenn meine Hilmtrud’ das Züngel vom Leder zieht, lauft er heim in den Untersberg, daß er die goldenen Panzerschuh’ verliert! Lad’ mich, Eigel! Thu’ mir keine Unehr’ an!“
Der Kohlmann zog das Messer aus der Kotze, berührte mit dem Heft die Brust des Bauern und sagte seinen Spruch. Kaganhart legte die Schwurfinger an das Messer. „Heut’ über zwei Nächt, wenn Vollmond einsteht! Ich hab’s gehört und schweig’. Fahr’ weiter, Thingbot’!“
Eigel wollte gehen, doch der Bauer hielt ihn an der Kotze zurück. „Kohlmann, thu’ mir eins zulieb! Geh’ mit hinein in den Kaser! Wenn ein Dritter dabei ist, halt’ sich mein Weib doch ein lützel im Zaum ... und ich komm’ über das erste Wörtl weg.“
„Meinethalben!“
Und sie gingen der Hütte zu. Kaganhart pochte an die Thür. „Thu’ auf, Weib! Thu’ auf!“ Nur das Geprassel des Herdfeuers ließ sich aus der Hütte vernehmen. Ungeduldig rüttelte der Bauer an den Bohlen. „Weib! Wirst aufthun oder nicht?“
Aber in der Hütte blieb es still, und der Riegel wollte sich nicht rühren. Unter einem zornigen Fluch schmetterte Kaganhart die beiden Fäuste gegen die Thür. In der Hütte polterte ein hölzernes Geschirr, während Eigel flüsternd sagte: „Wenn sie Dich so fluchen hört, thut sie freilich nicht auf. Geh’ weg, ich will ihr ein gutes Wörtl geben!“ Mit dem Ellbogen schob er den anderen beiseite, trat auf die Schwelle und legte den Mund an einen Spalt der Bohlen; im gleichen Augenblick aber that die Thür sich auf, und ein nasser Hanftuchfetzen, der zum Klären der Milch gedient, flog dem Kohlmann um die Ohren, daß es klatschte. Eigel duckte sich, um einem zweiten Schwertstreich zu entgehen, und die Arme zum Schutz über den Kopf erhebend, humpelte er eilig davon. Da konnte ihm nun der Bauer das Lachen und die Schadenfreude heimzahlen. Kaganhart hielt sich die Rippen, und es wollte ihm fast der Atem vergehen. Als die Bäuerin sein schallendes Gelächter hörte, erschien sie mit verdutztem Gesicht auf der Schwelle; ein festes Weib, noch jung, von stämmigem Wuchs, die niedere Stirn umzogen von dicken Blondzöpfen. Da sie merkte, daß ihre Rache niedergefahren war über ein unschuldig Haupt, begann auch sie zu lachen und zeigte zwischen den dicken Lippen zwei Reihen blinkender Zähne, so kräftig entwickelt wie ein Wolfsgebiß. Kaganhart schnappte nach Luft. „Den hast aber schön ausgezahlt!“ Lachend puffte er mit der Faust an den nackten Arm des Weibes.
„Wer war’s denn?“ fragte Hilmtrud.
„Der Kohlmann.“
„Wie kommt denn der auf die Alben? Was hat er denn wollen?“ Da stockte dem Bauer das Lachen und er wurde verlegen. „Ich weiß nicht!“ stotterte er und drückte sich in die Hütte.
Hilmtrud stemmte die Fäuste auf die breiten Hüften. „Ich möcht’ wissen, was er wollen hat von Dir?“
„Hör’ auf und frag’ nicht weiter, ich sag’s nicht!“
„So? Da muß. ich Dir halt die Zung’ lösen.“ Und sie warf die Thür zu, als wollte sie ihrem Opfer den Weg zur Flucht versperren.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_139.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2020)