Verschiedene: Die Gartenlaube (1894) | |
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Aus Oesterreichs Reichslanden.
Der österreichische Kaiserstaat ist nicht arm an sogenannten „interessanten Ländern“, die interessantesten jedoch und dabei wahre Perlen an landschaftlicher Schönheit sind die Provinzen, welche Oesterreich-Ungarn nach dem Beschluß des Berliner Kongresses 1878 militärisch besetzt und in Verwaltung genommen hat, Bosnien und Herzegowina. Im Munde der südslavischen Völker wurde Bosnien schon in alter Zeit die „zlatna Bosna ponosna“ (die „goldene glückliche Bosna“) genannt, aber fast vierhundert Jahre, während deren das Land unter türkischer Herrschaft stand, war diese Bezeichnung in keiner Weise gerechtfertigt, und erst, als im August 1878 Oesterreichs Doppeladler auf den Mauern der Serajewoer Festung aufgepflanzt wurde, begann eine Zeit der Entwicklung, welche staunenswerte Erfolge gezeitigt hat. Heute ist Bosnien neben Bulgarien das vorgeschrittenste Land des Balkans, und um so anerkennenswerter ist dieser Fortschritt, als noch vor wenig Jahren diese türkischen Provinzen gänzlich abgeschlossen vom Weltverkehr und ebenso unzugänglich waren wie gegenwärtig das Innere von Albanien. Harte Arbeit im Dienste der Kultur wurde hier geleistet; die äußerst geweckte und auffassungsfähige Bevölkerung kam den Bestrebungen der Behörden mit Vertrauen entgegen, und durch die volle Gleichberechtigung aller Religionsgenossenschaften, durch den verständnisvollen Schutz des mohammedanischen Elementes trat bald jene Ruhe und Zufriedenheit ein, welche allein eine gedeihliche Arbeit verbürgt. Heute durchziehen prächtige Kunststraßen und kühne Eisenbahnen das ganze Land, von den nördlichen Savegrenzen bis zu den Felsenbergen Montenegros. Bergwerke sind im ganzen Lande erschlossen, Viehzucht und Ackerbau gehoben, die Tabakkultur ist auf die höchste Stufe gebracht worden. Und daneben sorgen höhere und gewöhnliche Volksschulen in allen Orten für die geistige Erziehung der Jugend.
Es ist nicht die Aufgabe dieser Zeilen, ein vollständiges Bild der gegenwärtigen Zustände in den „occupierten“ Provinzen zu geben; nur gestreift sollten dieselben in großen Zügen werden. Haben doch auch Landsleute aus Deutschland einen ganz erklecklichen Teil an Bosniens Entwicklung. Blühende deutsche Kolonien, wie Ober- und Unter-Windthorst, Maglaj am Vrbas – jetzt Rudolfsthal (in der Nähe von Banjaluka), Franz Josefsthal zwischen Gradacac und Brtschka, sind von Hannoveranern, Oldenburgern, Rheinpreußen, Schlesiern, Schwaben und Badensern gegründet worden; neben ihnen haben sich Deutsche aus Ungarn und auch Südtiroler niedergelassen und hochauf ragen heute die stattlichen Gehöfte unserer Deutschen. Schulen und Kirchen bieten deutschen Unterricht und deutsche Predigt und meilenweit breiten sich die blühenden Fluren aus. Geachtet und geschätzt von der Landesregierung, leben die Kolonisten im besten Einvernehmen mit ihren bosnischen Nachbarn.
In den Städten Bosniens kommt die deutsche Sprache schon bedeutend zur Geltung. Daß die Beamten deutsch sprechen, ist selbstverständlich, aber neben der zahlreichen fremden Geschäftswelt weist auch die einheimische Bevölkerung schon ganz anständige Bruchteile Deutschsprechender auf. Ohne jeden Zwang hat sich dies vollzogen, und wenn einige serbische Agitatoren dagegen eiferten, weil das Volk seiner Eigenart entfremdet werden könne, so hat der Erfolg bewiesen, daß dies in keiner Weise der Fall ist. Bosniens Volk ist kerngesund; es entäußert sich nicht seiner Sitten und Gebräuche, es pflegt noch seine malerische Landestracht, und darum bietet Bosnien auch jetzt noch den Eindruck eines ganz orientalischen Landes.
Wenn man mit der Bahn die Hauptstadt Serajewo erreicht, macht diese mit ihren vielen Neubauten in der Ebene allerdings zuerst einen recht europäischen Eindruck, aber die hundert Moscheen mit ihren schlanken Minareten, die bis hoch an die Berglehnen sich hinanziehenden Türkenviertel mit ihren malerischen Häusern inmitten grüner Gärten, das bunte Getümmel auf den Straßen läßt bald erkennen, daß man sich im echten und gerechten Orient befindet. Wohl giebt es ganze Straßen mit hohen europäischen Steinhäusern, mit prächtigen Läden, große Gasthöfe und glänzende Cafés, mächtige Regierungspaläste und Kasernen, eine stolze griechische Kirche und eine gotische katholische Kathedrale. Macht man jedoch nur wenige Schritte seitwärts, so befindet man sich mitten im vollen orientalischen Leben. Das Handelsviertel, die „Tscharschija“, hat sich mit seinen sechzig und mehr Gassen noch ziemlich unverfälscht erhalten. Es ist ein malerisches Winkelwerk, so recht für den Stift des Zeichners geschaffen. Nach der Straße zu ist der Geschäftsladen nur eine vorspringende Holzbude, in welcher der Verkäufer mit gekreuzten Beinen hockt, wo aber auch handwerksmäßige Arbeit verrichtet wird. Hier hausen die Mohammedaner, Serben und Spaniolen (Nachkömmlinge der einst aus Spanien vertriebenen Juden) friedlich miteinander und warten auf Käufer; wenn die verlangte Ware in einem der Läden nicht vorhanden sein sollte, wird der Suchende ohne weiteres an den Nachbar gewiesen. Es ist dies noch ein Stück der alten Duldsamkeit, die nur durch die fremden Kaufleute so manchen Riß erleidet. In der Tscharschija erhalten diese aber fast nie einen Laden. Hier
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_140.jpg&oldid=- (Version vom 24.6.2023)