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Seite:Die Gartenlaube (1894) 160.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

hochnimmt und wirft … dann rede von Sturm! Doch darum keine Furcht – meine ‚Nixe‘ ist köstlich gebaut! Mir lacht das Seemannsherz im Leibe, wenn ich sie sehe, wie sie sich im Sturm hält. Schade, daß Du die technischen Ausdrücke nicht kennst, in denen der Seemann zu reden gewohnt ist! Das hast Du alles noch zu lernen, Liebling – Du wirst eine gute Schülerin abgeben! Ein Leben liegt vor uns, ein, will’s Gott, langes Leben, um unser Glück zu genießen, um einer am andern zu erstarken, um alles zu teilen, alles. Freue auch Du Dich, Isolde, sei dankbar, sei getrost, laß Deine Seele fröhlich sein! Ich vertraue auf Gott – ich denke immer, es kann keinen Seemann geben, der das nicht thut, denn gewaltig spricht Gott zu ihm im rasenden Sturm, im wütenden Meer, in all den zahllosen Wundern der Natur, die er ihn schauen läßt. Ja, alles sollst Du mit mir teilen, Herzlieb, wenn ich Dich erst habe, nie will ich denken: dies kann sie nicht fassen, jenes wird ihr langweilig sein. Wie sollte das möglich sein, da Du mich liebst? Und auch Du sollst mich Anteil nehmen lassen an Deinem Leben, an jedem, was Dir lieb und wichtig ist. Nie sollst Du meinen: das ist Frauensache, die kann ihn nicht interessieren! Die Angelegenheiten meiner Frau werden mir niemals unwichtig sein. Liegt denn nicht in dem Wort ‚Einssein‘ eben diese unbedingte Gemeinschaft? Wie ersehne ich dies Einssein mit Dir, Du meine Welt, Du mein Alles!

Wie Du staunen würdest mit Deinen lieben schönen Augen, sähest Du mich in meiner jetzigen Umgebung! Wie würdest auch Du, wärest Du hier, Staunen erregen, wie würden die Leute nach Dir schauen, Dein goldenes Haar, Deine feine weiße Haut bewundern! Welch wunderbares Land, dies Indien! Wie anziehend seine Bewohner! Diese Frauen solltest Du sehen mit den weichen dunkeln Gesichtern, den scheuen Gazellenaugen, diese Männer in ihrer malerischen weißen Tracht, mit ihren bunten Turbanen, den gemessenen Bewegungen!

Hinter mir steht, während ich dies schreibe, der Punkha-Wala, eine in Hindostan wichtige unerläßliche Person. Was ist ein Punkha-Wala? Zu deutsch ein Fächerzieher, der durch eine auf Rollen gehende Schnur den Riesenfächer in Bewegung setzt, welcher von der Zimmerdecke herabhängt und die notwendige Kühlung zuweht. Ein unmögliches Dasein ohne den Punkha-Wala! Man vergeht, man zerschmilzt ohne ihn – Tag wie Nacht hat er seines Amtes zu warten. Mit gravitätischem Ernst zieht mein brauner Inder seine Schnur, ahnungslos, daß ich von ihm berichte. Ich bin nicht zum erstenmal hier, ein Paar Brocken der Landessprache habe ich aufgeschnappt, und die Leute sind glücklich, wenn ich etwas verstehe und mich ihnen, freilich mit einiger Mühe, verständlich machen kann. Meine Hautfarbe gleicht jetzt der einer gerösteten Kaffeebohne, ich fürchte, Du würdest Dich für den Kuß eines so braunen Liebsten bedanken. Bis zu unserem Wiedersehen hoffe ich indessen schon wieder menschlicher auszusehen! Unser Wiedersehen! Die Zeit fliegt mir rasch dahin, und doch dehnen sich die Monate bis zu diesem einen glückseligen Augenblick endlos, endlos vor mir. Gestern hab’ ich hier für Dich eingekauft – ach, das Schönste, das Kostbarste möcht’ ich haben und Dir zu Füßen niederlegen! Ob Dir mein Geschmack gefallen wird? Ich wage es zu hoffen, es giebt köstliche Dinge hier, und ein Engländer, den ich in meinem Gasthof traf und der die hiesigen Verhältnisse gut kennt, kam mit mir und erteilte mir seinen Rat.

Ich muß den Brief beenden, mein Herz. Morgen geht es wieder an Bord; unsere Rast in Kalkutta ist nur kurz. In Hongkong hoffe ich Nachricht von Dir zu finden. Was alles hätte ich Dir noch zu sagen, Dich zu bitten! Sei stark und mutig, Geliebteste, finde Trost und freudige Zuversicht in unserer Liebe und sei in Deinem Herzen bei mir, wie ich es jetzt und immer bin!

Dein Albrecht.“ 


10.

Ilse von Doßberg las diesen Brief, im „Achterdeck“ Onkel Leupolds. Ein trüber sonnenloser Herbsttag sah zu den kleinen Fensterscheiben herein, ein grauer und kalter Ton lag über all den bunten fremdländischen Herrlichkeiten, die das Zimmer schmückten. Nur die „büßende Magdalena“ strahlte in ihrer farbenglühenden Schönheit aus dem Rahmen des Bildes heraus; die Thränen in ihren reuevollen Augen schienen zu zittern, zu flimmern.

Ilse ließ den Brief langsam in den Schoß sinken und sah zu dem Gemälde hinüber. Kamen die Thränen dort aus einem Herzen, das nur Zerknirschung, nur Reue empfand? Und ihre eigenen Thränen, die jetzt still auf das Blatt in ihrer Hand niedertropften – flossen sie nur aus Bangen und Sehnen um den Geliebten? Wie gut und treu hatte er geschrieben, wie hatte er sich bemüht, ihr Angst und Sorge auszureden … war es ihm gelungen? Sie liebte ihn ja, sie liebte nur ihn, und was sonst fremd und unverstanden in ihrem Innern lebte, das war sie bestrebt gewesen, mit aller Kraft zu unterdrücken. Sie wollte nicht über sich selbst nachgrübeln, wollte nicht in ihrem eigenen Innern lesen, und doch war diese Flucht vor sich selbst das Richtige? Tief seufzte das schöne Mädchen auf.

„Also das und weiter nichts bringt der Brief des Herzallerliebsten zuwege – Thränen und Seufzer? Pfui!“ Breitspurig, die Hände in den Hosentaschen, pflanzte sich Kapitän Leupold, der soeben eingetreten war, vor seiner Nichte auf. Dido, das Aeffchen, hockte auf seiner Schulter, bog den kleinen behaarten Kopf vor und betrachtete das junge Mädchen mit einem ganz menschlich prüfenden Blick.

„Was ist denn los? Sogar meine Dido wundert sich – sieh, wie sie Dich beobachtet! Ist er krank, der Teufelskerl? Hat ihn das Fieber erwischt oder hat er sich in ein schönes Hinduweib, in so ’ne Lotosblume vom Ganges, vergafft und will von Euer Gnaden nichts mehr wissen?“

Ilse schüttelte lächelnd den Kopf. „Nichts von alledem! Er ist gesund und ist mir treu. Aber, Onkel, kannst Du mir’s denn wirklich verargen, daß ich – daß ich mich –“

„Na also – was? ‚Daß ich – daß ich –‘ Hübsch zu Ende reden, Prinzeß Ilse!“

„Daß ich mich nach ihm sehne!“

„Ach was, sehnen! Unsinn! Verlobt sich mit ’nem Seemann und sehnt sich nachher! Hat das Sinn und Verstand? Wenn doch in einem einzigen Weib auch nur ein Gran Logik stecken möchte! Du kannst doch Gott danken, solch ’nen Kerl wie den Albrecht Kamphausen zum Mann zu bekommen!“

„Das thu’ ich ja auch, Onkel Erich!“

„So? Thust Du auch? Na, Dein Glück scheint nicht sehr groß zu sein! Kein Lüdrian, ein tüchtiger Seemann, kein Dummkopf und ’ne flotte Carriere vor sich – auch nicht häßlich, was bei Euch Weibern ja immer ’ne Rolle spielt – den schönsten Beruf von der Welt, und ’n Kleid auf den Leib und ’n Stück Brot in den Mund wird er Dir auch schaffen können, wenn’s auch nicht gleich zu lauter Seiden- und Spitzenfahnen und zu Austern mit Champagner in Paris und Nizza reicht, wie’s Dein Herr Vater Deiner Frau Mutter geboten hat! Die Folgen sind ja denn auch demgemäß.“

Ilse erhob sich rasch – ihre Augen blitzten, ihre Brust flog. „Ich muß Dein Haus verlassen, Onkel Erich, wenn Du fortfährst, in dieser Weise über meine Eltern zu sprechen! Mag mein Vater meine arme Mama zu sehr verwöhnt und in Blindheit über unsere Lage gehalten haben – aus Liebe, aus übergroßer Liebe hat er das gethan, und Du hast kein Recht, ihn dafür zu verhöhnen! Er leidet seine Strafe für diese Schwäche so schwer, so bitter, daß Du zufrieden sein kannst! Er muß da den Untergebenen spielen, wo er vor kurzem noch Herr gewesen ist, er muß für einen Fremden die Scholle bebauen, die unserem Stamm und Namen gehören sollte, bis der letzte Doßberg seine Augen geschlossen hat! Ich kann nichts ändern dabei, mit gebundenen Händen muß ich zusehen … aber ich will nicht dulden, daß ein Mann, der so tief gedemütigt ist, noch dazu geschmäht wird – von einem Verwandten seines Hauses!“

Die dicken buschigen Augenbrauen des Kapitäns waren bei dieser hastig hervorgesprudelten Rede in zuckender Bewegung auf und niedergegangen. Er war ein heftiger Mann, dem trotz seiner Jahre immer noch die Zunge durchging, aber er sah sein Unrecht, wenn er eines begangen hatte, rasch ein und erblickte nie eine Schande darin, es freimütig zuzugestehen. Er zog jetzt langsam seine breiten Hände, eine nach der andern, aus den Hosentaschen und rieb ihre Flächen mechanisch gegen das Beinkleid. In dem Blick, mit dem er die Nichte ansah, lag ein beinahe komisches Gemisch von Verdrossenheit über das viele „Weibergeschwätz“ und von einer Art bärenhaften Wohlgefallens an dieser „frechen Krabbe“, die ihm so unerschrocken ihre Meinung sagte.

„So! Sieh’ ’mal! Verbittest Dir! Verbittest Dir ohne

weiteres in meinem Haus, hier in meinem ‚Achterdeck‘, angesichts

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_160.jpg&oldid=- (Version vom 5.2.2020)
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