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Seite:Die Gartenlaube (1894) 162.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

von der da!“ Er wies mit dem Daumen über seine Schulter nach der „büßenden Magdalena“. „Solch ein Frauenzimmer! Angst hast Du wohl keine Spur vor mir, was?“

Ilse schüttelte sehr nachdrücklich den Kopf, mußte aber zugleich lächeln. „Nein, keine Spur!“

„Na, das ist vernünftig! Feige Menschen sind mir in den Tod zuwider. Gegen Deinen Herrn Papa hätt’ ich nichts sagen sollen. Du hast ihn Dir nicht ausgesucht, und für sein Thun und Treiben kannst Du nichts. Dir ist ja das Heimlichthun und Lügen ein Greuel, und Verschwendungssucht scheinst Du grad’ auch nicht zu besitzen!“ Seine raschen Augen musterten Ilses Erscheinung auf und ab, als wollte er ihre Kleidung bei Heller und Pfennig abschätzen. „Na, setz’ Dich wieder hin und laß ’n vernünftiges Wort mit Dir reden! Ich hab’ ja lange Zeit gar nichts von Euch gesehen und gehört – Dein Schlingel von Bruder läßt sich auch nicht mehr bei mir blicken, seitdem ich ihm ’mal scharf den Kopf hab’ waschen müssen. Sein Klassenlehrer hat mich besucht eines Tages – für ’n Bücherwurm ’n ganz anständiger Mensch! – und hat Stein und Bein geklagt über den Bengel. Er wär’ bis Ostern ’n guter Schüler gewesen, sei auch begabt und in alten Sprachen tüchtig, ’n fixrer Mathematiker, und was sonst noch alles für Zeug – aber jetzt tauge er den Teufel, faulenze so herum und sei dabei trotzig und aufsässig und so weiter. Ich kaufte mir natürlich das Gewächs und hielt ihm ’ne Predigt auf Seemannsmanier, aber der Schlingel setzte seinen Dickkopf auf und sagte: ja, es ist alles wahr – aber er wird und will nichts mehr lernen, ihm ist alles egal, seine Zukunft und sein Beruf sind doch zum Henker, da er die ‚Perle‘ nicht bekommen soll. Ich kam ihm mit Philosophie – half nichts – ich kam mit gemeinem gesunden Menschenverstand – wieder nichts – zuletzt kam ich ihm mit Grobheit und schmiß ihn ’raus – ich glaub’ aber, das hat auch nichts geholfen, denn seitdem hat er sich nicht mehr bei mir sehen lassen.“

„Ich weiß,“ sagte Ilse, „Armin hat mir’s geschrieben, daß Ihr Streit miteinander hattet.“

„Streit! Zwischen mir und diesem Dreikäsehoch, der noch nicht hinter den Ohren trocken ist? Spricht von Beruf und Zukunft – mit siebzehn Jahren, ’s ist zum Lachen!“

„Es müssen sich doch viele junge Menschen noch früher als mit siebzehn Jahren für einen bestimmten Beruf entscheiden, und Du, Onkel Erich, hast jedenfalls in diesem Alter schon ganz genau gewußt, daß Du Seemann werden wolltest.“

„Ja, ich! Mir war mein Beruf sozusagen auf den Leib geschrieben!“

„Bei Armin ist es ganz derselbe Fall. Er hat von klein auf nichts anderes gehört und nichts anderes gewollt als die ‚Perle‘ bewirtschaften.“

„Hm, Ihr Doßbergs habt Euch samt und sonders in Eure ‚Perle‘ so festgebissen, daß es wirklich ’n gehöriges Stück Arbeit ist, Euch die aus den Zähnen zu reißen. Seht zu, was Ihr mit dem Schlingel anfangt – meine Methode hat nicht angeschlagen!“

„Du wolltest mich einiges fragen, Onkel Erich?“

„Ja, gewiß wollt’ ich. Bei der Mutter alles beim alten?“

„Nein!“ Ilses Gesicht trübte sich. „Seit einiger Zeit geht es schlechter. Bisher hatte sie noch immer Appetit, jetzt muß man oft bitten und betteln, daß sie etwas genießt, sie ist auch müder, gleichgültiger geworden – die Kräfte nehmen ab. Ist das nur der Herbst oder –“

Kapitän Leupold blickte mit ernstem Gesicht vor sich hin.

„Sie zeigte anfangs Interesse, als es hieß, es müsse im Schloß gebaut werden, ihre Zimmer seien nicht gesund für sie und sie werde nun einstweilen ins Verwalterhaus übersiedeln. Der Gedanke beschäftigte sie sehr, wir mußten ihr alles schildern, all die Verbesserungen und Veränderungen im Schloß, die für fremdes Geld unternommen werden, die sie natürlich für Papas Werk ansieht! – Es wird alles wunderschön und kostbar eingerichtet, Onkel Erich, und doch ist nichts Prahlerisches, Uebertriebenes dabei. Die Halle besonders wird herrlich, überall werden riesige gemalte Glasfenster eingelassen, wahre Kunstwerke. Mächtige braungebeizte Eichensitze an den Wänden mit köstlichen Schnitzereien, Vertäfelungen, Kron- und Armleuchter ... man kann sich kaum satt sehen! Wir haben es ja früher auch schön bei uns gehabt, aber so fürstlich ist’s nicht gewesen. Der Speisesaal wird gemalt – Wände und Decke; ein bedeuteter Künstler ist schon seit Wochen daran thätig. In die Eckzimmer kommen die schönsten Gobelins, und die Bibliothek –“

„Firlefanz!“ knurrte der Alte dazwischen.

„Das ist es eben nicht, Onkel! Ach, mir thut das Herz weh, wenn ich das alles der armen Mama, Stück für Stück, beschreiben muß, und sie denkt, das gehört nun ihr! Seit einiger Zeit darf ich mich aber nicht mehr damit quälen, sie fragt wenig mehr, liegt so still da –“

Das junge Mädchen konnte nicht weitersprechen, die Stimme versagte ihr. Kapitän Leupold ließ merkwürdigerweise diese „Sentimentalität“ ungerügt hingehen und fragte nur nach einer Pause: „Und Dein Vater, mein Herr Schwager?“

„Papa ist fast beständig draußen, er reitet und fährt umher und sieht nach allem. In der Bewirtschaftung des Gutes hat er vollkommen freie Hand, keine seiner Anordnungen wird jemals beanstandet, auch darf er stets in einen gefüllten Beutel greifen, das Geld spielt gar keine Rolle. All die Verbesserungen, die seit Jahren schon so dringend notwendig waren, werden jetzt ins Werk gesetzt; es ist den ganzen Sommer über fleißig gebaut worden, ein paar Gebäude sind auch glücklich unter Dach gekommen. Neue Maschinen sind angeschafft, der Viehstand ist ergänzt, und im Roßgarten weiden jetzt wieder schöne edle Pferde. Papa arbeitet eigentlich ununterbrochen, er führt die Bücher alle selbst mit der peinlichsten Gewissenhaftigkeit. Die beiden Vorwerke Velten und Gnadenstein sind wieder mit ‚Perle‘ vereinigt, wenn auch vorderhand die früheren Gutsleute dort noch nicht abgezogen sind; aber Papa hat auch da schon nach dem Rechten zu sehen und für alles, was geschieht, die Verantwortung zu tragen. Es wurden ihm ein paar Unterbeamte angeboten, aber er bleibt dabei, alles allein mit dem alten Hinz und seinem ehemaligen Rechnungsführer besorgen zu wollen. Todmüde will er sich machen, nicht zur Besinnung gelangen, um nicht nachdenken, nicht fühlen zu müssen – ach, ich kann ihn darin so gut verstehen! Er kommt nur zu den Mahlzeiten nach Hause und spricht dann wenig oder nichts. Bei Mama ist er anscheinend heiter, er tröstet sie, liest ihr vor und redet mit ihr von vergangenen schönen Zeiten. Aber er kommt selten ins Krankenzimmer, und Mama, matt und teilnahmlos, wie sie jetzt ist, fragt auch kaum nach ihm.“

„Und wann wollt Ihr sie ins Verwalterhaus bringen?“

„Es soll ein schöner warmer Herbsttag dazu abgewartet werden. In Ordnung ist dort alles. Die Zimmer sind so behaglich wie möglich hergerichtet, und Mamas Möbel und Zimmerschmuck gehen mit hinüber. Sobald wir übergesiedelt sind, treten die neuen Besitzer ihr Eigentum an.“

„Ist denn dieser Herr von Montrose ... ja, was hast Du denn dabei so rot zu werden?“

„Ich, Onkel Erich?“ fragte Ilse unsicher und errötete noch tiefer.

„Nu, wer denn sonst? Etwa die gemalte Dame da oder ich oder Dido? Also warum bist Du rot geworden, Prinzeß Ilse?“

Sie bemühte sich, unbefangen zu erscheinen, aber, wie sie recht wohl merkte, mit schlechtem Erfolg. „Ich – das ist zu dumm bei mir, ohne jede Veranlassung kommt mir das, und schließlich kann mir’s niemand verdenken, daß es mir peinlich ist, wenn ... aber sieh doch, Onkel, was Dido anfängt!“

Das Aeffchen hatte sich von seines Herrn Schulter weg mit einem leichten Satz aufs Fensterbrett begeben, nestelte sich jetzt in eine tiefe Gardinenfalte hinein und benutzte sie als Hängematte, indem es sich behende hin und herschaukelte.

„Dido, Du Racker! Willst Du das gleich bleiben lassen! Hierher! ’s ist unglaublich, was diese Bestie mir schon für Schaden angerichtet hat! Und wie viel Mühe hab’ ich mir mit ihrer Erziehung gegeben – Jan Grenboom desgleichen! Aber erzieh’ ’mal einer ’n Frauenzimmer! Reine Zeitverschwendung, verlorene Mühe! Das schadenfrohe Gesicht, mit dem die Kreatur sich schaukelt! Dido! Wirst Du gehorchen, Scheusal!“

Nein, das „Scheusal“ blieb, wo es war, es wiegte sich taktmäßig weiter und fletschte seinen Gebieter mit frechem Hohn an.

„Na, lassen wir sie! Ich muß es aufgeben, mich über sie zu ärgern, jemehr ich das thu', um so unverschämter wird sie – sie hat ’nen tückischen Charakter. Wobei waren wir? Richtig, Du wurdest rot und ich wollte wissen, warum?“

„Ach, Onkel, was soll ich darauf antworten – wie kann man darüber Rechenschaft ablegen?“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_162.jpg&oldid=- (Version vom 5.2.2020)
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