verschiedene: Die Gartenlaube (1894) | |
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Nr. 11. | 1894. | |
Illustriertes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.
Am Ufer stand Wicho und löste den Waldschragen; er wollte auf
Mutter Mahtilts Geheiß hinausfahren in den Weitsee und
Umschau nach Sigenot halten. Schon setzte er den Fuß auf den
Schragen; da klang aus dem Fichtenwald der Lockruf eines Sperbers.
Betroffen lauschte Wicho ... noch zweimal klang der Ruf, und da
lief der Knecht den Bäumen zu; denn er wußte, wer sich mit diesem
Ruf zu melden pflegte, wenn es Ursache gab, den Laut der Stimme
zu meiden. Als Wicho den Schatten des Waldes erreichte, blieb er
stehen und spähte umher, doch er gewahrte niemand; leise ahmte er
den Ruf des Sperbers nach, und aus dem tieferen Walde kam die
Antwort. Wicho sprang über die Fallstämme und moosigen Steinblöcke.
Da sah er im tiefsten Schatten seinen Herrn an einen
Baum gelehnt, schwer atmend, wie erschöpft von raschem Lauf.
„Aber Herr! Wie kommst Du nur daher in den Wald? Bist doch ausgefahren auf dem Einbaum. Und warum ...“ da stockte dem Knecht die Sprache; er hatte Sigenot erreicht und stand erschrocken bei seinem Anblick. Naß hing das Haar über Sigenots Schläfe, seine Augen lagen tief und brannten, seine Lippen zuckten, und fahle Blässe bedeckte seine Wangen. Sein ganzes Gewand, von den Schuhen bis zum Halse, war schwer von Nässe. Auf der linken Schulter war das Wams zerfetzt und dünnes Blut rann in Fäden über den nackten Arm, an welchem die Haut zerschunden war.
„Herr! Herr!“ jammerte den Knecht und schlug die Hände ineinander. „Was ist denn geschehen ...“
Sigenot streckte die Hand, gegen Wichos Mund, und da verstummte der Knecht. Der Fischer richtete sich auf, und leise mit bebender Stimme sagte er „Wicho! Ich bin dein Herr“
verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 165. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_165.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2021)