Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1894) 170.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


Da ließ sich der Fischer nieder, streckte den Arm hin und lächelte. Nach einer Weile sagte er: „Du hast eine linde Hand ... die müßt’ auch gut sein und gar arg nicht drücken als Herrenhand.“

Eberwein blickte auf. „Wie meindt Du diese Worte?“

„Grad’ herausgesagt – ich bin gekommen, weil ich Dich hab’ fragen müssen, mit welchem Recht seid Ihr in unser Thal gekommen? Seid Ihr die Herren im Gadem oder nicht?“

„Zuerst Deine Wunde, und dann Deine Frage!“ erwiderte Eberwein ruhig und wand das weiße Linnen um Sigenots Arm.

Da kam Bruder Wampo von der Quelle, die gefüllte Kanne schleppend. Schon von weitem gewahrte er den Gast, und als er näher kam und den Fischer erkannte, schoß eine helle Freudenröte in sein rundes Gesicht. In der Vorahnung all des Guten, das dieser Besuch ihm zu verheißen schien, schnalzte er mit der Zunge und spitzte die Lippen. Gerne wäre er geradeswegs auf den Fischer zugeeilt, doch er sah, daß Pater Eberwein sich an Sigenots Seite niederließ und zu reden begann; da wagte er nicht, die Zwiesprach zu stören. Er ging zur Feuerstätte, um sein heißes Werk zu beginnen. Doch immer wieder schielte er hinüber zu den beiden und spähte nach allen Seiten, ob er die Angelrute nicht zu entdecken vermöchte, denn wo die Angel war, da konnte das Lägel nicht weit sein. Eine geraume Weile verstrich und immer noch redeten die Beiden. Ueber der Lichtung erlosch der Sonnenglanz und die Schatten des Abends webten ihren dunklen Teppich auf allem Grunde, nur die Zinnen der Berge leuchteten noch in rotem Gold. Endlich erhob sich der Fischer; sein Antlitz brannte in Erregung und seine Augen glänzten.

„Und das alles, Herr, das alles darf ich den Gademleuten sagen im Thing, auf Treu’ und Glauben?“

„Ja, Sigenot! Und was ich versprach, das will ich halten. Ich gelob’ es mit Herrenwort in Deine freie Hand.“

Ihre Hände faßten sich und der Fischer sagte. „Dir glaub’ ich ohne Zeugen und Siegel. Deine Augen sind wie das lichte Wasser ... ich schau’ hinunter und seh’: Dein Wort ist Eisen. Wenn bei Dir die Treu’ nicht ist, dann ist sie bei keinem mehr. Ich bin der Deinig’ auf biegen und brechen. Wenn Thing gehalten ist, so komm’ ich.“

„Eines noch sage mir! Du hast für die Leute im Thal geredet wie ein rechter Mann; ich habe gehört, was sie hoffen und wünschen ... warum verschwiegst Du, was sie leiden und fürchten? Man hat mir Uebles berichtet von Wazemann und seinem Haus.“

Ein Schatten legte sich über Sigenots Gesicht, und leise, mit bebender Stimme, sagte er: „Ich bin zu einer Frag’ gekommen, zu keinem Gericht und will nicht Kläger sein. Auch steht mir das Reden nicht zu, eh’ nicht das Thing gesprochen hat.“

„Ich sehe, Du willst nicht Antwort geben, und ich frage nicht weiter. Doch ein Zweites noch! Für all die anderen hast Du Worte gefunden, nur nicht für Dich. Hast Du allein nichts zu begehren für Dein Haus und Recht?“

Der Fischer schüttelte den Kopf. „Davon ein andermal, Herr! Es muß nicht alles auf einmal sein.“

Eberwein legte die Hand auf Sigenots Arm. „Sei nicht verschlossen! Als Du kamst, sah ich Kummer in Deinen Augen und Gram auf Deinen Zügen. Ich bin Dir Freund geworden in dieser Stunde – willst Du mir Dein Herz nicht öffnen?“

Schwer atmend starrte Sigenot vor sich nieder und schwieg. Da klang am Waldsaum das Krachen eines stürzenden Baumes und ein Jauchzer, dann die hallende Stimme Schweikers. „Feierabend, Ihr guten Gottesknecht’!“

Mit verlorenem Blick schaute der Fischer auf ünd strich mit der Hand über die Stirne.

„Sprich, Sigenot! Zeige mir Deinen Kummer ... vielleicht, daß ich Dir helfen kann!“

„Helfen? Ich mein’, es hilft mir wohl der eigene Arm noch. Wenn der zu schwach ist, Herr, dann wirst auch Du mir nimmer helfen ... oder es müßten zu Dir schon morgen hundert stehen.“

„Zu mir steht einer nur! Doch dieser eine, Sigenot, ist stärker als tausend Männer in Wehr und Eisen. Blick’ auf zu ihm!“ Und den Arm um die Schnlter des Fischers legend, deutete Eberwein auf das heilige Bild.

„Der?“ glitt es scheu und leise von Sigenots Lippen.

Mit schwebenden Klängen tönte die Glocke, welche Schweiker zog. Aus dem Wald und von den Bergen kam der Widerhall, als fände die rufende Stimme freudige Antwort auf allen Seiten. In sanften Klang verwandelt war alle Stille des Abends, die Lüfte tönten, die Felsen hallten, jeder Baum des Waldes schien zu klingen, und die Vögel, deren Lied schon geschwiegen, erhoben wieder ihren Schlag und ihr Gezwitscher. Eberwein beugte zum erstenmal das Knie vor dem Bilde, das seine eigenen Hände geschaffen, und betete mit lauter Stimme: „Wieder schwindet ein Tag, o Herr, den Du gegeben. Laß mich danken für alles Gute, das Deine Liebe mir bietet in jeder fließenden Stunde. Ob auch die Nacht sich senket über mich, ich fürchte nicht Böses, denn Du bist bei mir, und Deine Hände decken den Bedrängten, der redlichen Herzens ist. Gegen den Guten bist Du gut, gegen den Treuen bist Du treu, er findet Hilfe bei Dir in aller Not, und gleich einem Schilde umgiebt ihn Dein Wohlgefallen.“

An Eberweins Seite war Sigenot niedergesunken, in feuchtem Schimmer hingen seine Augen an dem stillen Bilde, und die zitternden Hände auf die Brust gedrückt stammelte er das einzige Gebet das seine Lippen kannten: „Mein guter Herre, Du mein Gott!“ Als die Glocke schwieg, erhob er sich und ging wie ein Träumender davon. Bruder Wampo, der, neben dem Feuer kniend, sein Gebet gesprochen, bekreuzte sich, sprang hurtig auf und winkte dem Fischer mit beiden Armen. Doch Sigenot hatte kein Auge für ihn. „Fischer, he, Fischer! Guter Freund!“ rief der Bruder halblaut durch die gehöhlten Hände. Doch Sigenot hörte nicht. Bekümmert schüttelte Bruder Wampo das runde Köpflein, stemmte die Arme auf, und während er dem Fischer nachblickte, der im dunkelnden Wald verschwand, murmelte er trübselig vor sich hin: „Eine schieche Gegend! Und schieche Leut’! Auf den Fischer hätt’ ich noch ein Zutrauen gehabt ... jetzt will der auch nichts von uns wissen!“

Im Wald, durch dessen Gezweig nur noch ein spärlicher Schein des erlöschenden Tages schimmerte, folgle Sigenot dem gleichen Pfad, auf dem er gekommen war. Lautlos schritt er dahin, der weiche Moosgrund dämpfte seine Schritte. Da hörte er Eisen klirren, und hinter dichten Büschen klang eine halblaute Stimme. „Wir harren umsonst, er kommt nicht.“

„Hab’ ich’s nicht gleich gesagt?“ ließ eine andere Stimme sich vernehmen. „Er wird hinuntergeschlichen sein gegen die Achen und im Thal den Heimweg suchen.“

„Den wollen wir ihm verlegen.“

Sigenot hörte das Brechen von Aesten und dumpfen Hufschlag. Dann war wieder Stille im Wald; nur in der Ferne klang in Zwischenräumen der wimmernde Ruf eines Nachtvogels.

„Es rufen die Unholden,“ murmelte Sigenot, „und zählen meine Tag’.“ Tief atmend blickte er zurück nach der Lichtung, die er verlassen hatte. Dann zog er das Schwert, und den blanken Stahl in der Faust, folgte er seinem dunklen Wege. Immer rascher wurde sein Schritt; als er seinem Heimwesen sich näherte, sank schon die Nacht über See und Lände. Jähe Sorge befiel ihn, da er das Hagthor offen sah. „Wicho!“ stammelte er. Doch still und friedlich blickte ihm sein Haus entgegen, und freundlicher Herdschein leuchtete aus Thür und Fenstern. Da schüttelte er die Sorge von sich ab und stieg über den Hügel empor. Vor der Thüre löste er die Waffe von seiner Hüfte und legte sie achtsam auf die Hausbank, damit die Mutter das Eisen nicht möchte klirren hören. Das Haupt entblößend, trat er in die Halle. „Mutter, ich bring’ die gute Zeit!“

Ein schrilles Lachen war Mutter Mahtilts Antwort; aus dem Lehnstuhl streckte sie die Arme nach ihrem Sohn, und der flackernde Schein des Herdfeuers erleuchtete ihre bleichen, von Angst und Jammer verzerrten Züge.

„Mutter!“ schrie Sigenot erblassend, und seine verstörten Blicke irrten durch die Halle. „Wo ist die Schwester?“

Mutter Mahtilt deutete mit den Armen. Sigenot stand wie erstarrt. „Den ich suchen gegangen ... wo ist er denn?“ stöhnte er mit erstickten Worten. „Derweil ich gebetet hab’ und gekniet vor ihm – wo war denm seine Treu’, wo war denn seine Hilf’?“ Mit zuckenden Händen suchte er an seiner Hüfte die Waffe und fand sie nicht. „Mein Eisen!“ schrie er, „mein Eisen!“ Und er stürzte in die sinkende Nacht hinaus.

(Fortsetzung folgt.




Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_170.jpg&oldid=- (Version vom 12.7.2023)
OSZAR »