Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1894) 175.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

„Ich danke! Wie es verliebten und verlobten Leuten zu gehen pflegt! Botho – das ist nämlich meiner Schwester Bräutigam – bedauerte ührigens lebhaft, Sie bei unseren zwei letzten Besuchen auf ‚Perle‘ nicht gesehen zu haben; er war außergewöhnlich gespannt darauf, Ihre Bekanntschaft zu machen – ich – ich hatte mir erlaubt, Baroneß zu schildern.“

„Meine Mutter war in letzter Zeit so krank, daß es mir schwer fiel, sie zu verlassen!“ Ilse sagte das nicht ohne einige Verlegenheit. Die Kranke hätte sie recht gut entbehren können, zumal Lina zur Stelle war, allein bei jenen zwei Besuchen war auch der alte Herr von Montrose anwesend gewesen, und ihm vor allem wünschte sie auszuweichen, wo immer sie nur konnte.

„O, o, bedaure unendlich! Hoffentlich wird sich nach unserer Uebersiedlung nach ‚Perle‘ alles erfreulicher und günstiger gestalten. Ich denke, es soll ein recht reger heiterer Verkehr zwischen Haus Doßberg und Haus Montrose werden. Mein Kommandeur hat mir Urlaub versprochen, der Herbst kann uns noch die schönsten Tage bringen – der Platz zum Lawn-Tennis ist famos geworden; Clémence und ich haben ihn selbst eingerichtet, und wir können einander dort manche heiße Schlacht liefern, Baroneß!“

„Ich bin keine geübte Spielerin!“

„Werde mir erlauben, Ihren geduldigen Lehrmeister abzugeben. Rechne es mir zu besonders hoher Ehre an, bei Baroneß dies Amt zu versehen, glaube auch, ohne Uebertreibung versichern zu können, daß ich da meinen Mann stehe. Wirklich ein amüsanter Sport und ungeheuer gesund!“

„Ohne Zweifel! Ich werde mich nur um meiner leidenden Mutter willen selten an diesem Vergnügen beteiligen können.“

Der Husarenlieutenant verwünschte innerlich diese kranke Mutter mit Haut und Haaren. War’s nicht genug an dem Vater nat dem Unglücksgesicht – mußte dies reizende Wesen auch noch eine leidende Mutter haben, die immer und überall als Vorwand gelten konnte, wenn der schöne Trotzkopf irgend etwas nicht wollte? Ihm kam die schlimme Ahnung, er würde auch auf „Perle“ bedenklich wenig von seinem „süßen Geschöpf“ haben, und es fiel dem flotten Georges nicht leicht, seinen Grimm zu unterdrücken. „Eine so ernste Lebensauffassung, gnädiges Fräulein, bei Ihrer Jugend und – sonstigen Bevorzugung darf mit Recht befremden.“

„Finden Sie? Sie kennen die Schicksale unseres Hauses und mich selbst zu wenig, um ein Urteil zu haben, aber ich sollte meinen, selbst das, was Sie bisher davon erfuhren, könnte Ihnen meine ernste Lebensauffassung erklären. Ich bin bis vor kurzer Zeit allerdiugs ein sehr sorgloses glückliches Menschenkind gewesen; ich wäre aber mehr als leichtsinnig, ich wäre gewissenlos, wollte ich das jetzt noch immer sein!“

Das klang „verteufelt ernst“ aus so schönem Munde, und Georges Montrose war eigentlich in Verlegenheit, was er darauf erwidern sollte. Er war sehr gewandt, er konnte sogar über ein Nichts „Konversation machen“, aber mit dem Ernst des Lebens mußte man ihm nicht kommen, mit dem wußte er beim besten Willen nichts anzufangen, und die inhaltsreichen jungen Mädchen gar, die selbst denken konnten, waren ihm von jeher unbequem und zuwider gewesen; er erklärte sie für „scheußlich langweilig“, ihre Reden für „albernes Gefasel“, nicht wert, daß man es anhöre! Auch jetzt gefiel ihm das, was Ilse von Doßberg sagte, durchaus nicht – aber war es nicht doch prachtvoll, hier an ihrer Seite über die Promenade zu schlendern, alle zwei Minuten gegrüßt von einem Kameraden, der die junge Schönheit bewundernd musterte, ihn, den Kameraden Montrose, in der Stille beneidete und einen „nichtswürdigen Schwerenöter“ nannte, der ein fabelhaftes Glück habe? Sie sah so zum Tollwerden entzückend aus, mochte sie denn reden was sie wollte! Es war eine Wonne, sie anzusehen und neben ihr zu gehen, hin und wieder ganz leicht ihr Kleid zu streifen und sich so nahe herunterzuneigen, daß man den schwachen feinen Duft ihres Haars einzuatmen vermochte. Noch viel entzückender mußte es freilich sein, den schönen Mund, der so ernste Dinge verhandelte, mit unzähligen Küssen zu schließen – Georges dachte sich das zu seinem Trost aus, während er ein paar Phrasen zur Antwort murmelte, bei denen er sich nichts dachte. Ilse erwiderte darauf auch nichts, sondern zuckte nur leicht die Achseln.

Es half ihr aber nichts, sie mußte sich richtig noch bis zu ihrem Gasthof von diesem unternehmenden Offizier begleiten, sich von ihm ausdrucksvoll die Hand oberhalb des Handschuhs küssen lassen und ihm allerlei Fragen beantworten, die ihm sehr am Herzen lagen ... wann er hoffen dürfe, sie wiederzusehen, ob sie bald wieder nach St. kommen würde, ob sie beim nächsten Besuch in „Perle“ von neuem die Grausamkeit besitzen könnte, unsichtbar zu bleiben und so fort. Sie antwortete kurz und verpflichtete sich zu nichts, ließ alles unbestimmt und schob, wie er in stiller Empörung schon geahnt hatte, wiederum die kranke Mutter vor. Im übrigen behauptete sie, große Eile zu haben, um noch vor Einbruch der Dunkelheit daheim zu sein; er konnte sich ihr nur noch nützlich erweisen, indem er den Kutscher zur Eile antrieb und das Aufstapeln der verschiedenen inzwischen eingetroffenen Pakete und Schachteln in den Wagenecken beschleunigte. Darauf hatte er noch das bittersüße Vergnügen, das schöne Mädchen in den Wagen zu heben und den Schlag zu schließen, von dem er in ehrerbietigster Haltung, die Hacken aneinander, zwei Finger am Mützenrand, zurücktrat. Noch eine leichte Neigung des Köpfchens, und die Stelle, wo eben noch der Wagen gestanden hatte, war leer. Das „süße Geschöpf“ war fort!

Die Pferde, welche Philipp fuhr, den Baron Doßberg als Kutscher beibehalten hatte, waren edle mutige Tiere und erinnerten an die früheren guten Zeiten auf „Perle“. Philipps Kutscherherz lachte vor Freude, wenn er sie im Zügel hatte, obgleich es ihm immer noch einen Stich gab, daß sie nicht mehr seinem alten Herrn gehörten, sondern diesem „neuen“, den eigentlich kein Mensch auf dem Gut bisher so recht zu Gesicht bekommen hatte und der doch mit seinem Gelde, mit seiner Macht bereits unsichtbar über allem schwebte.

Die Luft ging kühl und frisch, die Straße war staubfrei, der leichte Wind sog rasch den eben gefallenen Regen auf. In die Kissen zurückgelehnt, ließ Ilse die Luft über ihre halbgeschlossenen Augen hinwehen; sie dachte gar nicht mehr an Georges von Montrose, die Begegnung mit ihm hatte ihr keinen Eindruck gemacht. Nur ein Satz, den er ausgesprochen, war ihr im Gedächtnis hängen geblieben, den hörte sie immerfort – es war der Satz von dem regen heitern Verkehr, den es nun bald zwischen Haus Doßberg und Haus Montrose geben sollte. Würde sie sich dem immer entziehen können? Gebot es nicht die Rücksicht auf ihren Vater, daß sie diesen Verkehr aufrecht hielt? Wenn sie aber daran dachte, dann kam die alte heiße Angst wieder und griff ihr ans Herz. Sie beugte sich im Wagen vor und fing ein Gespräch mit Philipp an – nur nicht denken, nicht denken!

„Durch den Wald, gnädiges Fräulein?“ fragte der Kutscher nach einer Weile und verhielt die Pferde an einer Gabelung des Wegs.

„Ja, und wenn wir dorthin kommen, Philipp, wo der Waldweg links zum Belvedere abbiegt, dann halten Sie an! Ich steige aus und komme zu Fuß heim; es ist noch so hell, wir sind rasch gefahren, und ich möchte gern an die See. Zu Hause sagen Sie, ich folge bald!“

„Sehr wohl, gnädiges Fräulein!“ Und Philipp ließ den Pferden die Zügel.

Sie wollte das Meer sehen, das Meer, auf dem er zu Hause war! Dort wollte sie seinen Brief noch einmal lesen, an jener Stelle, wo sie sich ihm einst verlobt hatte – dort mußte sie ihre Ruhe, das Gleichgewicht ihrer Seele wiederfinden!

Nun trat der Wald rechts und links an die Straße heran, die sich breit und eben wie ein helles Band hindurchzog. Die Tannen standen in ernstem Grün, nur hin und wider zeigte ein Laubbaum sein buntes Kleid – goldiggelb oder rotgesprenkelt setzte es ein lebhaftes Licht in das tiefe Grün des Nadelholzes. Mit einmal aber hörten die Tannen auf; es kam die schönste Partie des Waldes, der Stolz all der Geschlechter, die auf „Perle“ gehaust – der Eichenforst, an den keine Hand gerührt hatte, seitdem der erste Doßberg den Besitz empfangen. Die Stämme standen nicht zu dicht aneinander; man hatte von Anfang Bedacht darauf genommen, daß sie sich runden, ihre Kronen ausbreiten sollten, ungehindert durch die Nachbarn. Und wahrlich, sie hatten sich ausgebreitet! Aus riesigen Stämmen reckten sich dicke knorrige Aeste gleich weit ausholenden Armen, die ihre Blätterwucht nicht fühlten, sondern sie leicht, wie den schönsten Schmuck, emporhoben und in den Lüften wiegten, wenn der Wind kam und in ihnen sang. Jahrhunderte hindurch hatten diese Wipfel gebraust, sich höher und höher reckend, nun bildeten die herrlichen Kronen ein einziges

undurchdringliches Dach, das dem Regen stand hielt, kaum einen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_175.jpg&oldid=- (Version vom 3.5.2021)
OSZAR »