Verschiedene: Die Gartenlaube (1894) | |
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in dem Meerschaum.
Im Jahre 1724 lebte in Pest ein Schuhmacher Karl Kovács, der durch seine Geschicklichkeit im Pfeifenschnitzen sich einigen Ruf verschafft und u. a. auch die Gunst eines Grafen Andrassy erworben hatte. Als der Graf im genannten Jahre von einer seiner türkischen Reisen zurückkehrte, brachte er ein großes Stück weißen Materials mit, das man ihm in der Türkei als etwas um seines außerordentlich geringen specifischen Gewichtes willen Seltenes geschenkt hatte. Dem Schuhmacher schien dieser Stoff für Pfeifen verwendbar und er fertigte daraus zwei Pfeifen, die eine für den Grafen, die andere für sich selbst. Wegen seines eigentlichen Handwerks konnte er seine Hände nicht immer rein halten, und so kam es, daß beim Rauchen aus seiner Pfeife mehrere Pechstückchen zurückblieben. Als Kovács diese entfernte, sah er zu seiner Verwunderung, daß der Stoff an den betreffenden Stellen glänzend braun geworden war und keine schmutzigen Flecken zurückgeblieben waren. Um nun der Pfeife eine gleiche Farbe zu verleihen, schmierte er sie ganz mit Pech ein und mit Freude bemerkte er später, nachdem er sie wieder gereinigt hatte, was für eine schöne Farbe die ursprünglich weiße Pfeife bekommen hatte. So wurde Kovács zum Erfinder der Meerschaumpfeifen und zugleich der Kunst des Anrauchens.
Die Pfeifen gefielen und mehrere reiche Adlige ließen, als sie von den wunderbaren Eigenschaften dieser merkwürdigen Masse erfuhren, große Mengen derselben zum Zwecke der Pfeifenfabrikation kommen.
Wir können nicht mehr feststellen, ob diese Erzählung, die verschieden wiedergegeben wird, auf geschichtlicher Wahrheit beruht, soviel aber geht aus sorgfältigen, namentlich von Alexander Ziegler angestellten Nachforschungen hervor, daß in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts Meerschaumköpfe aus der Türkei über Oesterreich und Ungarn eingeführt wurden und daß sich um jene Zeit ein Handel mit rohem Meerschaum entwickelte. In Lemgo und Nürnberg begann man – in welchem Jahre, das ist nicht mehr genau festzustellen – aus diesem Stoffe Pfeifenköpfe zu schnitzen, und von jenen Städten aus pflanzte sich die neue Art der Industrie auch nach dem Thüringer Flecken Ruhla fort. Dort aber wurde um das Jahr 1750 eine Erfindung gemacht, welche sehr viel dazu beitrug, „die Ruhl“ zu einem Mittelpunkt der Tabakspfeifenindustrie zu erheben.
Ursprünglich blühte an diesem Orte der Eisenbergbau und die Waffenschmiedekunst; hier hat auch nach jener schönen Sage der „Schmied von Ruhla“ den Landgrafen Ludwig den Eisernen „hart“ gemacht. Als im Laufe der Zeit die eisernen Harnische und klirrenden Panzer abkamen, wurden die Ruhlaer geschickte Messerschmiede und machten anfangs gute Geschäfte, bis gegen Ende des 17. Jahrhunderts auch dieser Handel mehr und mehr in Verfall geriet. Da half ein neuer Industriezweig aus der Not: ein gewisser Simon Schenk verpflanzte hierher im Jahre 1739 die Herstellung von Beschlägen für Pfeifenköpfe, was naturgemäß zur Fabrikation der Tabakspfeifen selbst und auch der Meerschaumköpfe führte. Diese letzteren freilich waren ein sehr teurer Artikel, den sich nur reiche Leute kaufen konnten. Da gelang es um 1750 Ruhlaer Meistern, aus Meerschaumabfällen den sogenannten künstlichen Meerschaum und aus diesem die unechten Meerschaumköpfe anzufertigen, und nun konnten die schönen Pfeifen auch weiteren Kreisen zugänglich gemacht werden. Im Kirchenbuche von Ruhla hat der Pfarrer Lechler im Jahre 1790 beim Tode eines Joh. Christoph Dreiß eingetragen, daß dieser der Erfinder der in Ruhla fabrizierten unechten Meerschaumköpfe sei, an welchen andere Geld verdient hätten, während es ihm nicht habe gelingen wollen, aus seiner Erfindung den gehörigen Nutzen zu ziehen.
Die Ruhlaer Meerschaumköpfe wurden auf die Leipziger Messe gebracht und von hier aus weltbekannt. Das Ansehen des kleinen Ortes stieg und er wurde zur berühmtesten Pfeifenstadt der Welt, obwohl alle Rohmaterialien aus weitester Ferne hergebracht werden müssen: Meerschaum aus Kleinasien, Bernstein von der Ostsee, Weichselröhren aus Baden bei Wien, Harze aus den ostindischen Wäldern, Cedernholz vom Libanon, Heidewurzel aus den Pyrenäen, Birken- und Buchsbaumholz aus Schweden etc.
Die Ruhl, romantisch an dem „Erbstrom“ gelegen (s. das Bild S. 208), gehört halb zu Sachsen-Weimar und halb zu Gotha und zählt gegen 5000 Einwohner, aber nach Millionen zählen die Pfeifen. die von hier in alle Weltteile wandern, und die Ausfuhr Ruhlas an Pfeifenwaren bewertet sich nach vielen Millionen von Mark. Ruhla erzeugt durchschnittlich im Jahre eine halbe Million echter und fünfeinhalb Millionen unechter Meerschaumköpfe. Ein einziger echter Meerschaumkopf kostet 20 bis 150 Mark, während man für dasselbe Geld ein ganzes Dutzend unechter erhalten kann. Feingeschnittene Kunstwerke, wie z. B. der auf unserer Abbildung S. 209 oben, Nr. 1, sind natürlich teurer und wurden schon mit 300 bis 400 Mark von Liebhabern bezahlt. Außer den Meerschaumköpfen erzeugt Ruhla vor allem Pfeifenbeschläge, mit welchen es Millionen von Pfeifenköpfen aus Holz und Porzellan versieht. In den großen Geschäften sind Hunderttausende von Pfeifen und Cigarrenspitzen an 10 000 verschiedenen Nummern aufgestapelt! Auch die hölzerne „Schwertpfeife“ (vgl. Abbildung S. 209 oben, Nr. 3) stammt aus Ruhla, und zwar aus dem Ende des vorigen Jahrhunderts.
Auf ihrem Siegeszug durch die Welt hat die Tabakspfeife auch in anderen Ländern vielfache Wandlungen erfahren. Der Türke schwärmt für den Tschibuk mit dem roten Thonkopf, dem Rohr aus Weichselholz oder Jasmin, dem Mundstück aus Bernstein;
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_211.jpg&oldid=- (Version vom 4.9.2023)