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Seite:Die Gartenlaube (1894) 226.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


geteilt hatten in dieser fleißig durchschafften Woche. Seufzend, mit traurigen Augen, blickte Bruder Wampo den abziehenden Knechten nach.

Als sie im Dämmerschein des Abends zwischen den Bäumen verschwanden, sagte Eberwein: „So stehen wir allein und wollen vertrauen auf den Schutz des Himmels. Bruder Schweiker, reiche mir die Stola und das heilige Wasser, daß ich unsere Klause weihe, ehe wir zur ersten Nacht unter ihrem jungen Dach die Häupter bergen!“

Schweiker ging zu den Zelten; als er zurückkehrte, küßte er das weiße goldgestickte Band, bevor er dasselbe um die Schultern Eberweins legte. In sinkender Nacht, umgeben von lautloser Stille, schritten sie um das Kirchlein und die Klause. Mit bewegter Stimme sprach Eberwein die Worte der Weihe und taufte die Klause auf den Namen des heiligen Martin. „So wie Du Martinus, der Du nun wohnest in Gottes Nähe,“ sprach er, aufblickend zum sternhellen Himmel, „so haben auch wir unser frommes Haus errichtet in Wald und Einöd’, zwischen irrenden Menschen und streifendem Getier. Sei diesem Haus, das Deinen Namen trägt, ein Schirm und Schutz!“ Die Brüder sprachen das Amen. Im Kirchlein wurde das ewige Licht entzündet und in der Herdstube das erste flackernde Feuer. Waldram, welcher kaum eines sicheren Schrittes mächtig war, wurde von Eberwein in die Klause geführt. Schweiker brach die Zelte ab und verwahrte das heilige Gerät und die Werkzeuge; Bruder Wampo schleppte das kleine Gebinde mit dem Meßwein und die schmal gewordenen Vorräte in eine der Kammern. Dann saßen Eberwein, Wampo und Schweiker auf niederen Holzklötzen um das flackernde Feuer, dessen Flamme den ersten Ruß an die hölzerne Mauer hauchte. Rot leuchtete der Herdschein in die stille Nacht hinaus, denn Thür und Fenster waren noch unverwahrt. Sie besprachen den kommenden Tag.

„Ich will im Morgengrau die Messe lesen,“ sagte Eberwein, „dann will ich den Stab zur Hand nehmen und hinauswandern über den weiten steinigen Acker, auf dem wir pflügen sollen und Gottes Samen streuen. Unseren Bruder Hiltischalk in der Ramsau will ich grüßen, und von all’ meinen Wegen der erste soll der armen Hirtin gelten, damit ich nach ihrer Wunde sehe.“

Schweiker rückte auf dem Holzpflock und starrte ins Feuer, während Bruder Wampo seufzte: „Jetzt wird das Bartele sobald wohl nimmer kommen! Das ist doch ein schiecher Mensch, der das gethan hat!“

„Er soll es mir sühnen an dem Kinde, so wahr ich Herr dieses Landes bin!“ Eberwein sprang auf. „Herr Waze will nicht kommen, so muß ich ihn rufen zum andernmal!“

„Schicket mich, Herr!“ fuhr es über Schweikers Lippen. „Ich will denselbigen, der Henning heißt, wohl finden in Wazemanns Haus.“

Eberwein schüttelte den Kopf. „Nein, Bruder! Du hast mir zu schnelle Fäuste für solche Botschaft. Ich brauche nur eine Zunge!“

„Dä muß halt die meimge herhalten!“ meinte Wampo. „Schicket mich nur, Herr! Ich will reden mit diesem Waze und seinen Buben – jedes Wörtlein ein Pfeilschuß! Ich fürcht’ mich nicht! Ich will mich schon rüsten mit Kreuz und Rosenkranz, dann sollen sie nur anrücken wider mich!“

Ein freundliches Lächeln ging über Eberweins ernste Züge. „So ziehe morgen hinaus zum Schönsee! Folge nur der Ache, und Du findest den Weg. Und kommst Du in Wazes Haus“ – Eberweins Brauen furchten sich und seine Augen blitzten – „so lad’ ihn im Namen unseres Heiligen, seines Herren, binnen drei Tagen mit seinem Sohne Henning zu erscheinen vor meinem Aug’. Es ist Gericht, das ihn erwartet!“

„In unseres Heiligen Namen, ich lad’ ihn, Herr!“

„Und kommt er nicht,“ murmelte Schweiker, „so will ich ihn holen!“

„Nun wollen wir den Tag beschließen!“ Sie löschten in der Stube das Feuer und gingen zur Ruhe. Eberwein und Waldram schliefen in getrennten Zellen, Schweiker und Wampo gemeinsam in einer Kammer, welche an die Wand des Kirchleins stieß.

(Fortsetzung folgt.)




Unter den Anarchisten Londons.

Ein unheimliches grauenhaftes Gespenst ist es, welches gegen das Ende des Jahrhunderts immer drohender sein von Wahnsinn und Grausamkeit entstelltes Haupt emporhebt: der Anarchismus, die „Weltverbesserung“ durch Mord und Brand und Verbrechen aller Art, durch Vernichtung alles Bestehenden, aller seitherigen Ideale der Menschheit. Der verhängnisvolle Irrwahn, durch eine Aera der brutalen Gewalt könne das Zeitalter der Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit heraufgeführt werden, ist allerdings nicht neuesten Datums. Aber bis in die letzte Zeit durfte man glauben, daß immer nur einige Wenige sich zu diesem Irrwahn bekennen oder gar durch die That ihn vertreten würden. Die Ereignisse der letzten Jahre, die mehr und mehr sich häufenden anarchistischen Schandthaten lassen diese Ansicht leider als irrig erscheinen. Wir wissen jetzt, daß wir es nicht mit vereinzelten Fanatikern, sondern mit einer weitverzweigten und wohlorganisierten Gemeinschaft zu thun haben, die ihren Hauptsitz ia London aufgeschlagen hat. –

Es war in den Tagen nach dem Attentat Vaillants in der französischen Abgeordnetenkammer. Der Schrecken, den der empörende Anschlag überall hervorrief, und die politischen Kommentare, die sich daran knüpften, bewogen mich zur Ausführung eines längst gehegten, aber immer wieder in den Hintergrund gedrängten Planes: eines Besuchs an der Centralstelle aller Anarchisterei der Welt, in dem Londoner „Autonomie-Klub“. Ich wollte die Leute einmal von Angesicht zu Angesicht und gleichsam unter sich sehen, die Leute, die verbrecherisch genug sind, der ganzen Welt den Fehdehandschuh in Gestalt von Dynamitbomben hinzuwerfen. Ich erinnerte mich eines kleinen, etwas verwachsenen Franzosen, mit dem mich meine Journlistenlaufbahn einmal in nähere Berührung gebracht hatte und der in dem Rufe stand, mit den Helden des Autonomie-Klubs in Beziehungen zu stehen. Er mußte mir zum Führer dienen. Und in der That war der bewegliche Franke nach einigen Einwendungen auch bereit, mich zu geleiten.

Am folgenden Abend gegen 10 Uhr standen wir vor dem unansehnlichen Hause Nr. 6 der schmutzigen kleinen Windmill- Street, in der Nähe von Tottenham Court Road, jenem Quartiere mitten in London, wo politische Flüchtlinge und ausländische Verschwörer vielfach ihr Heim aufgeschlagen haben. Groß hoben sich von der Glasscheibe über der niederen schmalen Hausthür die Worte ab: „Club Autonomie“; schon in der sprachlichen Form also trug die Aufschrift des Hauses eine gewisse Internationalität zur Schau. Ob man uns wohl einlassen – und wenn, ob und wie man uns wieder herauslassen würde? Ich gestehe, daß mich in diesem Augenblick doch ein Gefühl des Unbehagens beschlich, und ich erschrak heftig über den lauten Klang des die Stelle der Klingel vertretenden Thürklopfers, den mein Gefährte ungeniert und kräftig in Bewegung setzte.

Es dauerte einige Zeit, bis drinnen der Hüter der Thüre erschien. Mißtrauisch musterte er mich, dem er den fremden Eindringling auf den ersten Blick ansehen mochte, und erst nach einigem Parlamentieren mit meinem Begleiter gab er den Weg frei.

Eine kleine Wendeltreppe führt hinauf zu einem ziemlich geräumigen Saale. Trübe erhellen ihn ein paar qualmende Lampen. Im Hintergrunde eine Art Büffett, wie sie in den englischen Kneipen üblich ist.

Wir nehmen an einem der wackligem schmierigen Tische Platz, auf denen ein paar Zeitungen und Broschüren in grellbunten Umschlägen herumliegen. Jeder bestellt sich sein Gläschen Whisky und erhält es auch, aber – nur gegen Vorausbezahlung! Da sitzen wir nun und ich höre und lasse die Eindrücke auf mich wirken.

In einer Ecke eine Gruppe von Deutschen, die englisch radebrechen und aus großen Pfeifen dazu rauchen, uns näher vier abgerissene Gestalten, drei Franzosen und ein Belgier, wie mich mein Genosse belehrt, ungefährliche Gesellen, denen ihr Kartenspiel – im Augenblick jedenfalls – wichtiger ist als die Zukunft des Anarchismus.

Ein junger Mensch mit blondem, schon von grauen Fäden durchzogenem Haar tritt auf uns zu und setzt sich zu uns.

„Kein lustiges Leben für die Genossen in London!“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_226.jpg&oldid=- (Version vom 2.7.2020)
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