Verschiedene: Die Gartenlaube (1894) | |
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festen Preisen, lächelnden Ladennymphen und
den „neuesten Nouveautés der Saison“.
Gerade bis zu dem alten krüppligen Apfelbaum sind die Neubauten schon vorgerückt. Neben ihm, dort, wo einst das Häuschen der Näherin stand, wird schon der Grund für die Kellermauern eines umfangreichen Geschäftshauses ausgeworfen. Der graue verwitterte Stamm ist von Kalkspritzern entstellt, und als ich heut’ abend vorüberging, sah ich, wie ein Polier mit dem Finger an ihm vorbeistrich und sagte: „Morgen muß er dran glauben!“
Der alte Baum aber stand in voller Frühlingspracht. Seine unzähligen duftenden Blüten leuchteten, als wäre ein Teil der rosigen Abendwolken droben vom Himmel auf ihn herabgesunken. Und die Sperlinge und Buchfinken in den Zweigen sangen und zwitscherten, als müßte das ewig so wiederkehren, als wären sie überzeugt, daß die Menschen, wenn sie ihre Städte verschönern wollen, vor allem die Bäume als schönste Zier der Städte stehen und blühen lassen.
Mir machte dies alles einen überaus traurigen Eindruck, und als ich draußen vorm Thor meinen eigenen schönen Garten erreicht hatte, wo in den blühenden Büschen die Nachtigall sang, mußte ich immer wieder an den armen verlorenen Posten drinnen in der Stadt denken. Es trieb mich, ihm ein kleines Wort der Erinnerung zu weihen. Das habe ich denn hiermit gethan, viel eilfertiger als es einem Dichter geziemt. Wie manches hätte ich noch hinzu erfanden können von dem Geschick und Ende der alten Näherin und ihrer jungen Nichte, die in ihrer weltabgeschiedenen Stille doch auch schon die Frucht vom Baume der Erkenntnis zu kosten gewußt! Es ist aber am Ende viel alltäglicher und begreiflicher, daß ein Mägdlein, wo immer es leben mag, Liebe weckt und erwidert, als daß ein Apfelbaum auf dem „Zuckerweck“ stand und blühte jahrzehntelang.
Wenn es erlaubt ist, einem Baume zu wünschen, was wir alle uns einander zudenken, so möchte ich sagen: Gott geb’ ihm einen sanften und schnellen Tod! Mir und manchem anderen, der vorüberschritt, war er in trübseliger Umgebung ein liebliches Bild, armen und redlichen Leuten bot er jahraus jahrein vielleicht die einzige blühende Frühlingsfreude. Er ist gefallen als ein Opfer dessen, was wir die Kultur unserer Zeit nennen, als ein Opfer des Zeitalters des Verkehrs. Behüte der Himmel, daß ich diesen Verkehr, diese Kultur schelte! Wir alle sind ihre Kinder, und wir würden uns sehr unglücklich fühlen in jedem andern Zeitalter, auch in den gepriesensten unter allen Jahrhunderten, die gewesen sind. Ob nicht wieder andere, stillere, rückfällige Zeiten folgen, wer mag das wissen! Aber gewiß, ob und wie die Sitten sich ändern mögen, auch in allen kommenden Zeiten wird mit der Blütezeit jedes Jahres der Lenz in jungen Menschenherzen neu erwachen. Unter den blühenden Bäumen wird sich auch die Blüte der Jünglinge und Mädchen vereinen und mit scheuen Lippen den Schaum vom Kelch der Seligkeiten schlürfen. Und wenn sich dann zwei unter einem duftenden Wipfel zusammenfinden, dessen Ahnenkette zu dem bescheidenen Baume im Armengärtchen auf dem „Zuckerweck“ zurückführt, so sei ihnen im voraus mein Segen gespendet.
In früheren Tagen hatte ich, wenn mein Weg mich die istrische und dalmatische Küste entlang führte, oft im stillen bedauert, daß unsere Deutschen, wenn der Zug nach Süden sie über das große Gebirge und zum blauen Südmeere treibt, immerwährend nach Welschland pilgern, während sie doch in dem stammverwandten Oesterreich unter gleicher Gunst des Himmels sich von mancherlei freundlicher angemutet fühlen müßten als dort, wo sie in den Bannkreis einer zwar uralten, aber doch fremden Kultur und eines völlig verschiedenen Gesellschaftswesens eintreten. Schon der Umstand, daß hier auf österreichischem Boden die Behörden des Deutschen als Amtssprache sich bedienen, daß auch im Verkehr neben der landesüblichen die deutsche Sprache gepflogen wird, daß die Post und so manches andere, was man zur Aufrechthaltung des Zusammenhanges mit der Heimat braucht, deutsch sind, mußte solche Gedanken nahe legen. Die Südlandfahrten sind, wie wir wissen, heutzutage so im Schwange, daß man sich eine Hochzeitsreise ohne Lagunen kaum mehr denken kann und, in Süddeutschland wenigstens, kaum einen wohlhabenderen ehrsamen Bürger findet, der nicht schon den Vesun rauchen gesehen hat.
Die schöne Landschaft, der milde Himmel, die fremdartige Pflanzenwelt, das blaue Meer, das alles besaß auch die österreichische Adriaküste – aber es fehlte an Gaststätten, denen man die Leute mit den Gepflogenheiten, die sie nun einmal haben, anvertrauen konnte.
Mit den Jahren kam mir allgemach die Lust, bei Gelegenheit von all diesen schönen Dingen zu erzählen. Lange Zeit blieb das ohne Erfolg. Einmal aber – es sind jetzt zwölf Jahre her – traf es sich, daß ich von einer weitverbreiteten Zeitung aufgefordert wurde, eine Uebersicht über die Ziele der Frühlingsreisen zusammenzustellen. In dieser Arbeit kam folgende Stelle vor:
„Jetzt gerate ich auf mein wahres Leib- und Steckenpferd, das ich mir immer wieder hervorhole, wenn von schönen Orten und milden Lüften in Oesterreich die Rede ist. Jeder Aufsatz über diesen Gegenstand muß mit einem Ceterum censeo abschließen. Ceterum censeo, Abbazia am Quarnero sei das Zukunftsziel für Reisen, welche unter dem von wir aufgestellten Zeichen unternommen werden. Dort, in den Lorbeerwäldern, an der Flut am Strande, wo die mächtige Eiche sich zum Oelbaum gesellt, wird einst das Brighton Wiens erstehen. Im Frühling unterscheidet sich die Wärme jener Bucht wenig von der des
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 229. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_229.jpg&oldid=- (Version vom 25.10.2019)