Verschiedene: Die Gartenlaube (1894) | |
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by Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig.
Die Perle.
(13. Fortsetzung.)
Als Baron Doßberg Clémence verabschiedet hatte und zu seiner Tochter zurückkehrte, saß diese inmitten der Blumenpracht des Vorzimmers, das Gesicht in die Hände gedrückt, und weinte.
„Kind, um Gotteswillen, was ist denn? Wie kann ein Geschenk, das doch im Grunde nur freundlich gemeint ist und obendrein in wirklich zarter Weise gegeben –“
Ilse richtete sich auf, ihre Augen und Lippen brannten. „Ich will nichts von ihm haben! Ich nehm’ es nicht an! Du mußt es ihm zurückgeben Papa!“
Ihr Vater sah sie befremdet an. „Wie kann ich das, Ilse? Das hieße Herrn von Montrose absichtlich beleidigen, und dazu liegt doch kein Grund vor! Auch wäre meine Stellung hier damit zu Ende! Ich verstehe Deine Erregung gar nicht. Du wirst doch nicht so kindisch sein wie Armin, der sich in einen ganz ungerechtfertigten Haß gegen Herrn von Montrose hineingearbeitet hat?“
„Quäle mich nicht, Papa! Ich kann kein Geschenk von ihm annehmen! Ich kann nicht hingehen und mich bei ihm bedanken! Er soll sich nicht um mich kümmern, ich will keinen Schmuck tragen, der von ihm stammt!“
„Ilse, wenn dies Stolz ist –“
„Nenn’ es so!“ rief sie leidenschaftlich. „Denk’ von mir, was Du willst – aber ich kann nicht, kann nicht!“
Herr von Doßberg nahm die Hand des Mädchens in die seine. „Was wäre mit mir geschehen, mit uns allen, wenn auch ich hätte sagen wollen: ich kann nicht? Was alles hab’ ich lernen, überwinden müssen in dieser letzten Zeit! Aber ich hab’ es ertragen um Euretwillen!“
Ilse sah in sein vergrämtes Gesicht, sie küßte die Hand, die die ihre umschlossen hielt, und schwieg.
„Sei verständig, Kind,“ begann Doßberg nach einer kleinen Pause von neuem, „es liegt in diesem Geschenk wirklich nichts, das Dich verletzen könnte. Herr von Montrose ist reich – selbst wenn er Dir ein sehr kostbares Geschenk gemacht hat, wie ich ohne weiteres annehme, so darf Dich das nicht in Verlegenheit setzen. Im übrigen aber – ist Montrose nicht alt genug, um Dein Vater sein zu können?“
Ilse sah an dem Redenden vorüber, ohne zu antworten; ihr Blick hing wie gebannt an den weißen Fliederdolden, die dort in der Ecke des Zimmers so träumerisch von den Stielen herabnickten, aber sie dachte nicht an den Flieder. Sie sah den glutroten Sonnenball langsam ins Meer tauchen, sah die düsteren zusammengeballten Wolkenmassen, die darüber hingen, hörte den Sturmwind in den Bäumen brausen und die Brandung toben – ihr Herz war zusammengeschnürt von unsäglicher Angst wie damals im Herbst, und sie dachte immer dasselbe: „Albrecht, hilf mir!“
Indessen löste der Baron die Siegel, die das Papier festhielten, und öffnete behutsam das schmale Kästchen, eine Schnur vollkommen ebenmäßiger weißer Perlen, tadellos schön in ihrem matten Glanz, kam zum Vorschein – eine Kette, die eine Fürstin hätte tragen können. Doßberg ließ sie bewundernd durch die Finger gleiten und hielt sie Ilse vor die Augen. Sie warf aber nur einen raschen Seitenblick darauf und wandte sich scheu wieder ab.
In der Christnacht war wieder harter Frost eingefallen, Baum und Strauch hatte glitzerndes Silbergeschmeide übergeworfen, nun die Sonne drüber herkam, that es den Augen weh, in die funkelnde Herrlichkeit zu sehen.
Oben auf der Zinne des alten Schlosses zu „Perle“ stieg eine Fahne auf, eine Fahne, die Clémence eigens zu diesem Zweck hatte anfertigen lassen … natürlich mit dem Wappen der Montroses, der weißen Rose im blutroten Felde. Stolz stieg die große Flagge an ihrem Mast empor, majestätisch rauschend dehnte sie sich im kalten Dezemberwind, und Clémence schlüpfte in ihren Pelz, zog Botho an der Hand nach sich und lief über den Anger, wo ehemals die Zugbrücke gestanden hatte, um sich die Wirkung zu besehen. Sie war zufrieden, es machte sich gut. Papa wußte nichts von der Fahne – mutmaßlich würde er sie gar nicht bemerken, und that er es dennoch – nun gut! Sie selbst würde schon die Folgen ihres Einfalls tragen! Sie war ungeheuer geschäftig heute – eilig mußte sie zurück, um mit eigenen Augen die angerichteten Ehrenpforten mit den Tannengewinden und den flatternden bunten Wimpeln, unter denen die Gäste ihren Einzug halten sollten, zu mustern; dann mußte sie die Vorbereitungen für die Fackelbeleuchtung besichtigen, in der das alte Schloß am Abend erstrahlen sollte, mußte die Unterbringung des Musikcorps aus St., die Aufstellung des Büffetts leiten – kurz, sie war heute ganz Schloßherrin, fühlte sich ungeheuer verantwortlich und war nur empfindlich darüber, daß Botho den oberflächlichsten Anteil an dem ganzen Fest nahm, das doch seiner Braut eigenstes Werk war. Er ließ sich zwar geduldig überall hinführen, sagte pflichtschuldigst: „Sehr schön!“ und „Wunderhübsch!“ aber sein Blick war zerstreut, er nahm nervös den Schnurrbart zwischen die Lippen, und wenn Clémence ihm zärtlich den Arm drückte, so schien er das gar nicht zu bemerken.
Georges von Montrose war heiter und gutlaunig und machte schlechte Witze auf Kosten des Brautpaars. Er neckte Clémence unbarmherzig mit ihrer Zärtlichkeit für Botho und fragte diesen freundschaftlich, wo ihn denn der Schuh drücke, da er so gar kein Bräutigamsgesicht aufsetze. Dazu ein verschmitztes Augenzwinkern, das deutlich bewies, Georges wisse ganz genau Bescheid über des schönen Botho Verlegenheiten und könne, wenn er wolle, jederzeit über die unangenehmsten Dinge Farbe bekennen.
Herr von Montrose war in seinem kleinen Jagdschlitten nach Belten hinüber gefahren und hatte gebeten, ohne ihn zu frühstücken; zurückgekehrt, ließ er sich das Menu vorlegen und bestimmte selbst noch ein paar Weinsorten, bei deren Namen Georges mit der Zunge schnalzte und seinen Vater, was nicht oft vorkam, mit einer gewissen Ehrerbietung ansah. Kenner war der Alte, man mußte es ihm lassen, er zeigte es selten, aber er verstand die Sache! Zwischen das alles hinein griff Georges zu seinem Krimstecher und musterte das Verwalterhaus. Einmal erschien drüben ein hübscher blonder Jünglingskopf an einem der Fenster – entschiedene Aehnlichkeit mit dieser „entzückenden Ilse“! Schwacher Trost! Daß er sie übrigens heute abend auffallend auszeichnen würde, verstand sich von selbst, schon um die Regimentskameraden, die, zum Teil mit ihren Damen, aus St. kamen, vor Neid wütend zu machen und besagten Damen ein kleines Licht aufzustecken, wie man aussehen müsse, um Herrn Georges von Montrose zu gefallen. Auch für Clémence, die immer auf die schöne Ilse stichelte, konnte ein tüchtiger Aerger nur gut sein.
Um vier Uhr sollten die Gäste eintreffen, eine Stunde später wollte man zu Tisch gehen. Der kurze Wintertag ging rasch zur Neige, es fiel schon die Dämmerung ein, als die ersten Schlitten anfuhren. Wie der Himmel dunkler wurde, traten nach und nach die Sterne in goldenem Glanz hervor, unten aber flammte das Schloß mit einem Schlag in märchenhaftem Glanz auf. Geschickte Feuerwerker, die Clémence aus St. verschrieben, hatten die Linien des massigen alten Baus mit farbigen Lichtern umgrenzt, dazu gleißten die Magnesiumfackeln in ihrem weißen Licht, und die düsterrot auflodernden Pechpfannen tauchten das Ganze in eine beinahe drohende Glut. Im weiten Umkreise färbte sich der Schnee mit dem wechselnden Schein. Wie gierige rote Zungen leckte es am Schneeboden hin, hier wieder troff es von den Zweigen der Bäume wie fließendes Gold, dort huschte es bläulich matt wie Mondlicht über die weiße Fläche – jeden Augenblick änderte sich das Bild. Nur das Schloß stand regungslos wie ein bunter funkelnder Würfel in der bleichen Winterlandschaft. Und mitten in das feintönige Klingeln der Schlittenglocken klangen Ausrufe der Bewunderung. Wenn die Dinge da drinnen diesem ersten Eindruck entsprachen – alle Achtung!
Und sie entsprachen! Schon die riesige Halle mit ihrem farbenprächtigen und doch so geschmackvollen Schmuck, mit den beiden schöngewundenen Treppen im Hintergrund, den funkelnden Waffentrophäen, den bunten Teppichen und den Prachtgeweihen an den Wänden, alles überflutet von intensiv rotem Licht, das durch gefärbte Gläser fiel, machte einen prächtigen Eindruck, selbst die Damen, denen es eilte, in die Garderobezimmer und in die mitgebrachten Abendtoiletten zu kommen, blieben staunend
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_234.jpg&oldid=- (Version vom 11.3.2021)