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Seite:Die Gartenlaube (1894) 264.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

hab’ mich heut’ schon gefreut auf den ersten!“ Trübselig schüttelte er das runde kahle Köpflein, schlug die Hände ineinander und blickte mit scheuen Augen zum Himmel auf. „Herre, Herre! Schau’, das ist aber doch nicht gut und recht … Deinen armen Knechten die Fastenspeis’ verderben!“

Schweiker war zum Waldrand gegangen und hatte die Steine aus seiner Kutte geschüttet. Als er zur Klause zurückging und wieder hinüberspähte nach dem Berghang, sah er Eberwein über die Halde niedersteigen, auf welcher Hinzula ihre Ziegen zu hüten pflegte. Eine zitternde Erregung befiel ihn und er verwandte kein Auge mehr von der Stelle, an welcher Eberwein bei der Heimkehr aus dem Walde treten mußte. Doch er wartete umsonst.

Eberwein war im Thal dem Lauf der Ache gefolgt, hatte den Lokiwald umgangen und suchte einen Pfad, der ihn zur Ramsau führen möchte. Zwischen wirren Büschen fand er einen betretenen Steig und überließ sich ihm. Schatten lagen um seine Augen und sein Antlitz hatte einen kummervollen Zug. Die Ereignisse der vergangenen Nacht hatten ihn mit banger Sorge erfüllt … und was er vor den Brüdern nicht hatte zeigen wollen, nagte in ihm mit doppelter Schärfe, jetzt, da er einsam war. Bei solcher Stimmung hatte auch die befremdende Erfahrung, die er soeben gemacht, tiefer auf ihn gewirkt, als es sonst wohl geschehen wäre: beim Hag des Greinwalders, zu dem die Sorge um die arme mißhandelte Hirtin ihn geführt, hatte er stehen müssen vor geschlossenem Thor; er hatte gepocht und gerufen, aber niemand war gekommen, ihm zu öffnen, und er hatte doch in der Hofreut Schritte gehört, es war ihm gewesen, als klänge ein ersticktes Schluchzen aus dem Haus, und der Herdrauch war ihm aufgefallen, der in blauen Fäden aus dem Moosdach quoll. Man wollte nicht öffnen, ihm nicht öffnen! Weshalb nicht? Welche Ursach’ konnten sie haben in jenem Haus, das Thor vor der Hilfe zu sperren, vor dem Freund? Diese Frage wühlte in ihm und er fand keine Antwort.

Aus den Büschen führte ihn der Pfad in dichten Wald und unter den Bäumen hervor auf eine weite Lichtung. Es waren die Halden der Strub, welche vor ihm aufstiegen in welligem Hügelland; gemähte Wiesen wechselten mit geräumten Feldern, auf steileren Gehängen lag der Hanf zum Trocknen in der Sonne. Zwischen den Feldern, weit zerstreut, standen einzelne Gehöfte, niedere Hütten und Scheunen, von hohem Hag umzogen. Bei ihrem Anblick wich die Schwermut aus Eberweins Augen. Ihm schwoll vor Freude das Herz bei dem Gedanken, wie viel es hier für ihn zu schaffen gab, zu raten und zu nützen. Er sah es gleich; hier lebte und wirtschaftete das Volk noch, wie es draußen vor den Bergen die Leute getrieben hatten vor hundert Jahren. Das sollte anders werden! Er wollte sie lehren, den Lein zu bauen an Stelle des rauhen Hanfes. Und wie übel die Felder anzusehen waren! Da galt es, besseren Pflug zu führen … und sie sollten lernen, die Steine aus den Furchen zu sammeln und rings um den Acker aufzuschichten zur Schutzmauer, auf welcher sich die Dornenhecke wider das Hochwild flechten ließ. Und diese armseligen Hütten! Das sollte sich wandeln! Er wollte sie lehren, mit steinernem Sockel zu bauen, mit Fachwerk in der Mauer und mit geschindeltem Dach. Und so übel, wie von außen, waren die Hütten wohl auch anzusehen in ihrem Innern. Da sollten trauliche Stuben entstehen und wohnsame Kammern … und wenn der lange Winter käme, dann sollten die Männer und Buben das hohle Eisen und das kurze Messer führen lernen, um handliches Holzgerät zu fertigen und freundliches Schnitzwerk.

Eberweins Wangen brannten, und leuchtend blickten seine träumenden Augen in die kommende Zeit. Raschen Ganges folgte er dem Pfad, der einem Hag entgegenführte. Blauer Rauch wirbelte aus dem Hüttendach, Stimmen klangen in der Hofreut, und das Thor stand offen. Auf der Schwelle der Hausthür saß ein Weib, den Hanfrocken unter dem Arm, in der Hand die tanzende Spindel; zwei nackte Kinder tummelten sich lachend im Hof und der junge Bauer hielt ein drittes auf dem Arm. Als Eberwein vor dem Thor erschien, fuhr ein zottiger Hund auf ihn los und kläffte. Der Bauer wandte das Gesicht, und den Mönch gewahrend, stand er einen Augenblick erschrocken und unschlüssig; dann setzte er hastig das Kind auf die Erde, sprang zum Hag, schleuderte mit dem Fuß den Hund zurück, schlug das Thor zu und legte den Balken ein.

Mit trübem Lächeln wandte sich Eberwein ab und folgte einem schmalen Felsweg, hügelab und hügelauf. Nach einer Weile kam er zu einem zweiten Gehöft. Im offenen Hagthor stand ein alter Bauer, welcher verschwand, als er den Mönch des Weges kommen sah. Und wieder fand Eberwein das Thor geschlossen.

Eine dunkle Röte stieg ihm in die Stirn, und es zuckte seine Faust, als möchte sie den Eingang erzwingen; doch er fand die Ruhe wieder und rief: „Mann, thu’ mir auf! Gottes Gruß Deinem Haus!“

„Wer will ein zu mir?“

„Dein bester Freund!“

„Der bin ich selber und brauch’ keinen andern.“

In aufflammendem Zorn schlug Eberwein den Stab an das Thor. „So öffne Deinem Herrn!“

„Was Herr? Wer Herr?“ klang die rauhe Stimme zurück. „Meines Herrn Stimm’ kenn’ ich … die Deinig’ ist mir fremd! Ich thu’ nicht auf!“ Und klappernde Schritte entfernten sich.

Eberwein stand ratlos und streifte mit zitternder Hand über die Stirn. „Was ich erlebe, ist wie ein Rätsel … Bruder Hiltischalk in der Ramsau soll es mir lösen!“

Er wanderte in drängender Eile über die Halden, ohne Wahl jedem Pfade folgend, den seine Füße fanden. Bald hier, bald dort sah er Leute laufen und in den Gehöften verschwinden. Einmal blieb er stehen und rief mit bebender Stimme: „Bin ich denn noch, der ich gewesen … oder bin ich ein reißendes Tier geworden, daß die Menschen vor meinem Anblick fliehen wie die Schafe vor dem Wolf!“ Als er an einen Bach gelangte, dessen Lauf zu einem stillen Tümpel sich ausbuchtete, beugte er sich über das Wasser und starrte auf sein Spiegelbild. Aufatmend wandte er sich ab und übersprang den Bach. In Gedanken versunken, achtete er des Weges nicht und geriet in dicht verwachsenen Wald. Bald aufwärts steigend, bald wieder niederwärts, folgte er den schmalen, häufig sich kreuzenden Wildpfaden; bald hörte er das Rauschen eines Wassers, bald wieder war tiefe Stille um ihn her. Ueber niedere Felswände mußte er klimmen, durch wirres Gebüsch sich kämpfen, über Schluchten sich schwingen, unter gestürzten Bäumen hindurchschlüpfen, mannshohe Hecken von verflochtenen Wurzeln überwinden … Stunde um Stunde verging ihm auf so mühsamer Wanderung, und noch immer wollte der Wald kein Ende nehmen, noch immer zwischen den ragenden Bäumen kein Ausblick sich zeigen, der ihn gewiesen hätte. Schon war ihm in beginnender Erschöpfung zu Mut, als sollte er niemals wieder dieser Wildnis entrinnen, da klang ihm, freundlich und hell, der Schall eines Glöckleins durch den Wald entgegen. Seine Augen wurden naß, in jäher Freude streckte er die Arme und rief: „Klinge, klinge, Du holde Stimme, Du führest den Irrenden auf guten Weg!“ Und mit erneuten Kräften kämpfte er sich durch die Wirrnis des Urwaldes, der Richtung zu, aus welcher die Glocke tönte. Er kam in lichteren Wald, in welchem die Spuren der Axt zu erkennen waren, und fand einen Pfad, der ihn ins Freie führte.

Ihm zu Füßen, zwischen grasigen Halden und steilem Bergwald, lag ein enges langgestrecktes Thal, in dessen Tiefe ein reißender Bach durch grauen Schutt seine Straße grub; überall an seinen Ufern sah man die Zeichen der Zerstörung, die er angerichtet in wilden Tagen. In weiter Ferne, wo die Berge sich schlossen, schimmerte ein kleiner grüner See. Friedliche Sonntagsstille lag über dem Thal; nur die Ache rauschte und das Glöcklein tönte. Zwischen den mächtigen Kronen alter Ulmen und Linden sah Eberwein das plumpe hölzerne Türmlein ragen, in dessen Luken die Glocke sich schwang. Das Turmdach zeigte die Spuren eines Brandes, und ein neues weißes Holzkreuz schimmerte auf der Zinne.

„Hier wohnet Gott und mein Bruder, hier will ich frohe Einkehr finden!“ Geradeswegs stieg Eberwein über die steilen Halden hinunter.

Aus einem nahen Gehöfte liefen ihm zwei Kinder entgegen, ein Bub’ und ein Dirnlein, in hänfene Kittelchen gekleidet, gestrählt und sauber gewaschen. Als sie näher kamen, blieben sie stehen und schauten einander an. „Das ist er ja nicht!“ lispelte das Dirnlein. „Das ist ein junger!“

„Aber schwarzhäset ist er auch!“ meinte das Bübchen und lugte mit schiefem Köpflein zu Eberwein auf, der den Stab in die Erde stieß und mit gestreckten Händen sich den Kindern näherte.

„Gott grüß’ Euch, Ihr lieben Kinder!“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 264. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_264.jpg&oldid=- (Version vom 14.8.2023)
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