Verschiedene: Die Gartenlaube (1894) | |
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hochmütige Gesicht“, es bedeutete nichts Gutes. „Wenn ich gehandelt habe, wie ich es that, so geschah es mit vollem Vorbedacht. Der Einwilligung von Persönlichkeiten, die von mir abhängig sind, bedarf ich nicht.“
„Es ist gerade kein sehr nobler Zug von Dir, uns beständig an unsere Abhängigkeit zu mahnen!“
„Beständig? Laß doch sehen, wann that ich es wohl zuletzt? Es geschah, als ich Dich von Berlin fortnahm und Du hierherkamst. Damals sagte ich Dir, Dein mütterliches Erbteil, das ich mit peinlichster Gewissenhaftigkeit für Dich verwaltet habe, sei durch Deine Art von Lebensführung bedenklich zusammengeschmolzen, es sei kaum ein Drittel mehr davon vorhanden. Ich ließ Dich Einsicht in die betreffenden Papiere nehmen, um Dir für meine Worte den Beweis zu liefern. Die Ueberbleibsel Deines mütterlichen Vermögens reichen nicht aus, Dir eine Existenz zu ermöglichen, wie Du sie gewöhnt bist, ich sagte Dir daher damals und wiederhole es Dir jetzt, daß Du abhängig von mir bist und meiner Einwilligung bei Deinem Thun und Lassen bedarfst, nicht aber ich die Deinige nachzusuchen habe.“
„Wenn Kinder ein Alter erreicht haben wie wir, so sollte man sie nicht in Abhängigkeit lassen und es als selbstverständlich ansehen, wenn sie die Handlungen der Eltern mit eigenen kritischen Augen prüfen.“
„Meinst Du? Ich sollte denken, es käme dabei ein wenig auf die Beschaffenheit besagter Kinder an. Glaubst Du, ich hätte Euch nicht beobachtet, Clemence und Dich, hätte Euch urteilslos ohne weiteres auf den Platz gestellt, den ich Euch angewiesen? Würde ich eine richtige Wertschätzung des Geldes, eine nur einigermaßen vernünftige Verwendung desselben bei Euch gefunden haben, ich hätte Euch so selbständig gemacht, wie Ihr es nur irgend wünschen könntet. Ich gewahrte aber, daß Ihr mich für eine unerschöpfliche Goldquelle ansaht, einzig dazu da, Eurer maßlosen Genußsucht zu dienen. Darauf hin ist mir die Lust vergangen, Euch unabhängig zu machen. Einem Spieler, einer unsinnig verschwenderischen Modedame, die für Juwelen jährlich ein Vermögen anlegen würde – denen giebt man das Geld nicht in die Hand, das man sich durch jahrelange Mühen im fremden Lande erworben hat!“
Georges, der sich zornig auf die Lippe gebissen hatte, sah seinem Vater jetzt mit einem grausamen und spöttischen Lächeln ins Gesicht. „Ich denke, Papa, unser Großvater hat dafür gesorgt, daß Du Dich nicht allzusehr mit dem Erwerb zu quälen brauchtest – wenn auch seine Art des Geldverdienens nach manchen Ehrbegriffen vielleicht nicht die makelloseste genannt werden kann!“
Montrose erhob sich langsam, sein für gewöhnlich schon blasses Gesicht erschien gänzlich entfärbt. „Das Wort ‚Ehrbegriff‘ in Deinem Munde und in dieser Zusammenstellung nimmt sich seltsam aus!“ sagte er tonlos. „Schwerlich werden wir beide für dieses viel gebrauchte und noch öfter mißbrauchte Wort dieselbe Auffassung haben. Die meinige verbot es mir, von meinem väterlichen Erbteil auch nur einen Heller anzurühren. Was ich bin und habe, verdanke ich mir selbst. Glaubst Du, ich hätte Dich des Königs Rock anziehen lassen, wenn sich dies mit meinen Ehrbegriffen nicht vertragen haben würde?“
Georges und Clemence sahen mehr überrascht als beschämt auf ihren Vater. Einer so romantisch unpraktischen Handlungsweise hatten sie ihn nicht für fähig gehalten.
„In – der – That!“ sagte endlich Georges langsam, einen leichten Anflug von Verlegenheit erfolgreich niederkämpfend, „ich habe das nicht gewußt – es ist dies, wie du ganz richtig sagtest, Ansichtssache. Es läßt sich aber hieraus folgern, daß doch auch Du die Handlungsweise Deines Vaters Deiner Kritik unterworfen hast –“
„Allerdings!“ bemerkte Montrose schneidend.
„– Dich mithin nicht wundern darfst, wenn wir dasselbe thun. Der erwachsene Mensch hat das Recht, den Maßstab seines Urteils an die Handlungsweise eines jeden zu legen.“
„Sicher hat er das; glücklicherweise ist nicht jeder genötigt, sich dadurch irgendwie beeinflussen zu lassen.“
Georges hob ungeduldig die Schultern. Seine spöttische Ruhe begann ihn zu verlassen.
„Du hast Dich in der letzten Zeit der Baroneß Doßberg in einer Weise genähert, welche die junge Dame stark bloßstellen wird, da es doch wohl nicht Deine Absicht sein kann, ihr Deine Hand anzubieten.“
„Und wenn das nun meine Absicht wäre?“
„So würden wir, Botho, Clemence und ich, uns derselben aus allen Kräften widersetzen. Es wäre das ein Affront, Deiner ganzen Familie angethan –“
„Ein Affront, wenn ich mich mit einer Dame aus vornehmem Adelsgeschlecht, dem letzten Sproß eines alten Hauses verbinden wollte?“
„Eine Lächerlichkeit bei Deinen Jahren für den Vater erwachsener Kinder –“.
„Ich muß Dich ersuchen, diese Kinder gänzlich beiseite zu lassen. Sie haben mir bei den verschiedensten Gelegenheiten nicht die geringste Rücksicht bewiesen, haben sich ihr Leben ausschließlich nach eigenem Belieben zurechtgelegt“ – ein flüchtiger Seitenblick streifte Botho von Jagemann, der mit finsterer Miene dasaß und den Mund nicht aufthat – „darum ist es durchaus überflüssig, mich an die Rücksicht auf sie zu mahnen. Was den Altersunterschied betrifft, so ist die junge Dame die einzige, die hierbei Bedenken zu überwinden hätte. Ihrer Entscheidung, und nur dieser, würde ich mich zu unterwerfen haben!“
„Papa!“ rief Clemence und brach in Thränen aus, „Du willst doch damit nicht sagen, daß Du mir eine Stiefmutter geben willst, die zwei Jahre jünger ist als ich?“
„Allerdings will ich das sagen. Deine Frage setzt mich übrigens um so mehr in Erstaunen, als Du selbst bei Gelegenheit Deiner Verlobung den Grundsatz aussprachst, nur die Stimme des Herzens dürfe uns bei der Wahl des Lebensgefährten leiten – alles übrige sei ohne jeden Belang.“
„Gewiß hab’ ich das gesagt – aber ich bin jung, ich trete erst ins Leben hinaus, es ist mein gutes Recht, mir meinen Anspruch auf Glück zu sichern.“
„Hat nur der, der erst ins Leben hinaustritt, dieses Recht? Wie, wenn uns die Jugend nun um unser Glück bestiehlt, wenn sie es uns vorenthält – sollen wir darum für immer darauf verzichten?“
Clemence sah zornig und trotzig durch ihre Thränen zu ihrem Vater auf. „Du hast die arme Mama nie geliebt!“ rief sie vorwurfsvoll. „Sie hätte keine Ruhe im Grabe, wüßte sie, welch unerhörten Plan Du hast. Es darf nicht geschehen, soll nicht – ich bleibe keine Stunde länger im Hause, wenn Du dies Mädchen, diese hochmütige Bettelpr –“
„Clemence!“ Es war ein Ton, wie sie alle ihn noch nie von dem stets gelassenen Mann gehört hatten. „Noch einmal dies Wort, und Du wirst allerdings keine Stunde länger in diesem Hause geduldet. Uebrigens steht es Dir jederzeit frei, den Tag Deiner Hochzeit zu bestimmen, vorausgesetzt, daß –“ Montrose sah prüfend ihrem Bräutigam ins Gesicht, in dem eine verzweifelte Entschlossenheit arbeitete.
Der Lieutenant sprang auf und that einen tiefen Athemzug, ehe er zu reden begann. „Gestatten Sie mir, ein Wort unter vier Augen mit Ihnen zu sprechen!“ Seine Stimme klang heiser, in seinen dunklen Augen flackerte es unruhig.
„Ich stehe zu Diensten.“ Montrose, der sich noch nicht wieder gesetzt hatte, ging nach dem Billardsaal – jenseit desselben lag sein Arbeitszimmer.
„Botho!“ schrie Clemence auf und warf sich ungestüm in die Arme des Offiziers.
Ein Gemisch von Mitleid und Verachtung zuckte um ihres Vaters Lippen, als er dies sah. „Gieb ihn frei, Clemence!“ sagte er ruhig. „Ich will sehen, was ich für Dich thun kann. Georges, halte sie hier zurück!“
Ohne sich nach den Geschwistern weiter umzusehen, durchschritten die beiden den Billardsaal und traten in das Zimmer des Hausherrn. Ihr Verhältnis zueinander war von Anfang an schlecht gewesen. Bald nach der Uebersiedlung der Familie Montrose nach St. hatte man auf einem Ball bei dem Obersten des Regiments die Bekanntschaft des „schönen“ Botho von Jagemann gemacht, und Clemence mit ihrem ungezügelten Temperament hatte noch an demselben Abend eine heftige Leidenschaft für den jungen Offizier gefaßt. Sie hatte nicht die Kraft besessen oder besitzen wollen, ihr Gefühl zu verbergen, und da das reizlose Mädchen für die Erbin eines sehr bedeutenden Vermögens galt, so zögerte der stark verschuldete Lebemann nicht, sofort als ihr erklärter Bewerber aufzutreten. Montrose, dem Jagemanns Wesen nicht die geringste Achtung einflößte, versuchte umsonst, seine Tochter vor diesem
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_274.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)