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Seite:Die Gartenlaube (1894) 277.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Nr. 17.   1894.
      Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.


Die Martinsklause.
Roman aus dem 12. Jahrhundert.
Von Ludwig Ganghofer.
(16. Fortsetzung.)


Mätzel kniete neben dem Herd und überwachte eine Pfanne, während eine greise Frau die dampfende Milchsuppe in hölzerner Schüssel zum Tische trug. Sie war, wie Hiltischalk, in eine lange schwarze Lodenkutte gekleidet, deren weite Aermel die welken Arme zeigten; zwei dünne weiße Zöpfe hingen über die Brust der Greisin, und tief in Stirn und Wangen des stillen freundlichen Faltengesichtes reichte das aus Garn geklöppelte Häubchen, welches den Scheitel bedeckte. „Schau’, mein lieber Bruder,“ sagte Hiltischalk zu Eberwein, „schau’, das ist meine gute brave Hiltidiu.“ Er humpelte auf die Greisin zu und faßte sie am Aermel. „Komm, Hilti, komm, thu’ unseren Gast begrüßen und dank’ der Freud’, die er gebracht hat in unser Haus!“

Eine dünne Röte glitt über die Wangen der alten Frau, als sie die Hand dem Mönche zum Gruße bot. „Gesegnet sei Dein Eingang, Herre, in unserem Haus!“ Ihre Stimme klang weich und leise wie das Plaudern einer Quelle.

Hiltischalks Antlitz leuchtete vor Freude, als er sah, wie das Auge seines Gastes mit herzlichem Blick auf Hiltidiu ruhte. „Ich danke Deinem Gruß!“ sagte Eberwein zu der Greisin. Und zu Hiltischalk gewendet: „Deine Schwester, Bruder? Ich sehe, sie gleichet Dir.“

Mit fröhlichem Kichern rieb der Greis die Hände. „Freilich, freilich gleichen wir uns. Sind wir doch ein Herz und eine Seel’ seit zweiundfünfzig Jährlein! Nimm zwei Felsen, Bruder, und laß sie herunterrollen über den ganzen Berg, von der höchsten Höh’ bis tief ins Thal ... wenn sie drunten sind und das letzte Hupferlein machen, schaut einer wie der ander’ aus ... da hat ein jeder die Ecken abgestoßen. Freilich, freilich gleichen wir uns ... aber meine Schwester ist die Hilti nicht!“

„Deine Magd?“. klang Eberweins erstaunte Frage.

Lächelnd schüttelte die Greisin den weißen Kopf, während die frohe Laune Hiltischalks zu hellem Lachen wuchs. „Freilich, freilich eine Magd ... eine gute fromme Gottesmagd. Aber meine Magd? Der liebe Herre soll mich bewahren, daß ich sie je gehalten hätt’ wie eine Magd. Nein, nein, mein lieber Bruder, die Hilti ist mein gutes braves Weib!“

Erschrocken trat Eberwein zurück und jähe Blässe rann über sein Antlitz. Der Greis gewahrte die Wirkung seiner Worte nicht. Er hatte Hiltidius Hand erfaßt und streichelte zärtlich ihre dürren Finger. „Zweiundfünfzig Jährlein! Und alleweil harren wir noch auf den ersten Streit, den wir haben sollen. Wohl wohl, recht und treu haben wir zusammengehalten wie zwei rechte Christenleut’ in gottesfürchtiger Eh’. Und hat es uns der gute Herr im Himmel nicht gelohnt? Hat er uns nicht alle Lieb’ und Freud’ genießen lassen, bis auf eine? Und die hat er uns versagt in seiner Weisheit! Wir haben ja hundert Kinder gehabt um unser Haus her ...“ Er wandte sich zu Eberwein. „Und das kannst mir glauben, mein lieber Bruder, die Hilti ist ihnen eine gute Mutter gewesen, und so


Zum Gruße.
Nach einem Gemälde von W. Hasemann.
Photographie im Verlage von Franz Hanfstaengl in München.


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 277. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_277.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2021)
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