Verschiedene: Die Gartenlaube (1894) | |
|
dem betroffenen Schiffe weiß – endlich die erste Kunde: bei den Azoren, weit über tausend Kilometer außerhalb ihres Kurses, traf die „Ems“ ein, im Schlepptau eines englischen Dampfers, nach dem Bruch des Schraubenrahmens ein willenloses Wrack. Das also vermag ein wilder Aequinoktialsturm selbst aus einem dieser riesenhaften, aus Stahl und Eisen zusammengeschweißten Schnelldampfer zu machen; die Maschine, das Steuer, der Panzer, alles kann fest und unverletzt sein, und dennoch dürfen Sturm und See den Riesendampfer 10 bis 12 Tage ohne Widerstand vor sich hertreiben.
Natürlich war die erste Frage die nach Mannschaft und Passagieren. Beide sind, wie gemeldet wird, wohlbehalten, und wenn auch die Fahrgäste, denen nach der Bergung der „Ems“ eine nochmalige Durchquerung des Oceans auf dem Ersatzdampfer winkte, den Eintausch einer im ganzen 25tägigen Seefahrt für eine zehntägige nicht eben angenehm finden werden, so dürfen sie doch gewiß froh sein, bei ihrer Havarie so leichten Kaufes davongekommen zu sein. Mit Sorgen aber fragt sich ein jeder, der entweder selbst die Reise über das Weltmeer machen oder eins seiner Lieben zeitweilig dem Ocean anvertrauen muß, ob sich nicht solche Havarien wiederholen, ob sie nicht auch schwerer verlaufen können. Die „Ems“ wurde, dem Bericht eines Passagiers zufolge, am 27. März, also nach vier langen, für ihre Passagiere bangen Tagen, vom „Wild Flower“ aufgefunden, aber das Meer ist weit, und wer beobachtet hat, wie selten sich selbst in den befahrensten Strichen des Atlantischen Oceans Schiffe begegnen, kann sich vorstellen, daß der „Ems“, die nach vier Tagen steuerlosen Treibens entdeckt wurde, mit dieser Frist eher ein Glücksfall als das Gegenteil begegnet ist. Kann nicht ein der Trieb- oder Steuerkraft beraubtes, weit aus dem Kurse gedrängtes Schiff auch lange Wochen auf der See treiben, ohne von dienstbereiten Helfern aufgefunden zu werden? Kann es nicht, nachdem ein erster Sturm es steuerlos gemacht hat, als unfähiges Wrack noch einem zweiten Orkan zum Opfer fallen? Und wenn dem so ist – giebt es nicht Mittel, solchen Möglichkeiten wenigstens auf den großen, mit Menschen meist vollgepfropften Passagierdampfern der befahrensten Strecken noch sicherer als bisher vorzubeugen? Solchen Fragen und ihrer Beantwortung sind die folgenden Zeilen gewidmet.
Von Havarien, teilweis äußerst bedenklicher Art, sind schon viele große Oceandampfer betroffen worden; daß dieselben nur selten böse Folgen für Passagiere und Bemannung nach sich zogen, ist der beste Beweis für die Sorgfalt, die auf den Bau dieser Seeriesen verwendet wird. Die Geschichte des ersten und riesigsten der großen neueren Schnelldampfer, des 1860 in Betrieb gesetzten „Great Eastern“, ist eine einzige Reihe schwerer Havarien. Auf der ersten Probefahrt verunglückten zehn Menschen durch eine Dampfexplosion; bei der zweiten Reise geriet das Schiff auf die Felsenriffe von Montauk-Point und trug einen 26 Meter langen klaffenden Riß im Doppelboden davon; trotzdem blieb es in der Lage, die Passagiere wohlbehalten in New York abzuliefern. Während der dritten, im Frühjahr 1861 ausgeführten Reise rächte sich der große Fehler, den man damit begangen hatte, einen so großen Oceandampfer mit Schaufelrädern zu versehen: eine schwere See ruinierte die letzteren vollständig. Noch war der „Great Eastern“ imstande, sich mittels seiner von einer besonderen Maschine getriebenen Schraube weiterzuhelfen, als aber bald darauf auch der Rudersteven zerbrach, trieb das Schiff tagelang hilflos auf hoher See; ein findiger Kopf stellte schließlich ein Notsteuer her, mit dessen Hilfe man den Hafen erreichte; dafür hatten die Reeder des Dampfers dem Helfer in der Not 60000 Mark (400000 hatte er beansprucht) zu bezahlen. Auch anderen jüngeren Dampfern ist es schlecht ergangen. Im Herbst 1879 rannte z. B. der Postdampfer „Arizona“ bei Neufundland während der Nacht so heftig auf einen ungeheueren Eisberg auf, daß das Schiff etwa auf den zwölften Teil seiner Länge völlig zersplittert wurde, und im Winter 1890 kollidierte die „Champagne“ vor dem Hafen von New York so unglücklich mit einem zweiten Schiff, daß ihr Bug ein Loch aufwies, durch das ein Wagen hätte einfahren können. Beide Dampfer konnten trotzdem unter eigenem Dampf langsam weiterfahren. Brüche der sogenannten Schäfte, der ungeheueren hohlen Stahlwellen, welche die Schraube tragen und häufig die Energie von 10000 und mehr Maschinenpferdekräften auszuhalten haben, Kurbelbrüche, schwere Beschädigungen der Steuerruder sind, trotzdem alle diese Teile aus fast unzerstörbarem Material gefertigt und vor dem Antritt jeder Reise peinlich genau untersucht werden, nicht gerade selten; man muß eben bei ihrer Beurteilung die ungeheuren Leistungen in Betracht ziehen, denen diese Maschinerien gewachsen sein sollten. Eine Lokomotive hat selten länger als 6, 8, höchstens 10 bis 12 Stunden ohne Unterbrechung zu arbeiten, eine 10- bis 15mal stärkere Schiffsmaschine aber muß, durch hohen Seegang oft aufs furchtbarste geschüttelt, ihre Leistung 180, 200, ja 300 Stunden lang ohne eine Sekunde der Ruhe ausüben, und das bedingt in den Ansprüchen an das Material einen großen Unterschied. Die Zufälle aber, die in der langen Frist von 7 bis 12 Tagen eine Havarie herbeiführen können, sind fast unübersehbar. An den Kesseln, an den Dampfleitungen, an der Maschine selbst kann ein Schaden eintreten, und wenn es auch fast undenkbar scheint, daß die ganze Kesselbatterie oder die ganze Maschine eines tüchtigen Dampfers durch eine Havarie lahmgelegt wird, so kann es doch Stunden und selbst Tage dauern, bevor die beschädigten Teile ausgeschaltet sind und die unbeschädigten für sich allein weiterarbeiten können. Schlimmer ist es, wenn die Schraubenwelle, die Schraube selbst, das Steuerruder oder einer der Teile, welche Ruder und Schraube festhalten, (wie z. B. neulich der Schraubenrahmen[1] auf der „Ems“) ernstlichen Schaden erleiden, denn in allen diesen Fällen ist auch der stolzeste Dampfer nicht mehr als ein Wrack. Ein Schraubendampfer ohne Steuer ist bei völliger Erhaltung der Schraube, Maschine etc. genau so unfähig zum Fahren wie ein solcher mit Steuer, aber ohne Schraube, beide sind sie darauf angewiesen, nach einem fremden Schiffe auszuschauen, das sie ins Schlepptau nimmt.
Das sind die Gefahren, welche einem Oceandampfer, auch wenn er noch so groß und stark ist, auf sturmbewegter See noch immer drohen. Freilich selten ereignen sich so schwere Stürme wie die diesjährigen, von denen alle Dampfer zu erzählen wissen, aber sie können eintreffen, und im Winter und Frühling ist man vor ihnen nie ganz sicher. Uebersehen wir nun die Mittel, durch welche die moderne Schiffsbaukunst jenen bösen Zwischenfällen entgegenarbeitet.
Zunächst – für ängstliche Gemüter dürfte das der stärkste Trost sein – können die großen eisernen Schnelldampfer bei guter Führung fast nicht sinken. Das bewies schon der „Great Eastern“, das bewiesen die „Alaska“, die „Champagne“, die „Eider“ und andere Schiffe, die mit Löchern von 100 bis 150 Quadratfuß Größe nicht nur nicht sanken, sondern zum Teil sogar ihre Fahrt selbstthätig fortsetzten. Der Grund dafür liegt zunächst in den eisernen Doppelböden dieser Dampfer, von denen die innere Wand häufig unbeschädigt bleibt, wenn auch die äußere durchbrochen wird; dann aber hauptsächlich in der Anordnung der wasserdichten eisernen Quer- und Längsschotten, die das Schiff von Wand zu Wand durchziehen und in viele einzelne Räume teilen, von denen immerhin einige mit Wasser gefüllt sein dürfen, ohne die übrigen zu gefährden. Schnelldampfer wie die „Ems“, „Lahn“ und andere in der Größe von 5000 bis 7000 Tonnen haben 8 bis 10 wasserdichte Abteilungen, „Augusta Viktoria“ und „Kolumbia“ von der „Hamburger Paketfahrt“ haben 13, die Riesenschiffe „Paris“ und „New York“ 16 wasserdichte Abteilungen, und auf den neuesten englischen Schnelldampfern wie auch auf den großen Panzerschiffen ist die Zähl derselben noch um vieles gesteigert. Freilich sind auch schon Panzerschiffe – wir erinnern an die englische „Viktoria“ und ihr schreckliches Ende im letzten Sommer – trotz ihrer weitgehenden Schotteinteilung gesunken, aber dann hat es sich herausgestellt, daß auf ihnen eben fahrlässigerweise die schmalen wasserdichten Verbindungsthüren zwischen den Einzelabteilungen offengestanden haben. Im Sturm werden die Schottthüren, wie der Verfasser auf Hamburger Schnelldampfern selbst beobachtete, stets geschlossen gehalten, und bei Probefahrten, Manövern etc. wird es nach den schlimmen Lehren, welche die Havarien der „Viktoria“, „Brandenburg“ und anderer Schiffe gegeben, nunmehr zweifellos ebenso gehalten werden. Untergehen wird man also mit einem der großen eisernen Schnelldampfer nicht, auch der ängstlichste Seefahrer darf dessen versichert sein; daß aber Wind und Wogenberge, mögen sie auch die Ausrüstung der Dampfer während der furchtbaren Winterstürme oft arg mitnehmen, mit den Schiffen selbst und ihrem Inhalt nicht zu grausam umgehen, dafür sorgt das Gewicht dieser ehernen Kolosse: mit Eisenmassen von 200000 bis 250000 Centnern Gewicht spielen selbst schwere Sturmwogen nicht mehr wie mit „Nußschalen“, wie der für die Schilderung von Meeresstürmen so beliebte Ausdruck sagt.
- ↑ Nach anderen Berichterstattern die Schraubenwelle.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 284. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_284.jpg&oldid=- (Version vom 18.6.2021)