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Seite:Die Gartenlaube (1894) 317.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


Das „Sechseläuten“ in Zürich.
Mit einer Zeichnung von J. Weber.

Das „Sechseläuten“ ist das Frühlingsfest der Züricher, eines der schönsten und glänzendsten Volksfeste der an Festen so reichen Schweiz.

Als das Zunftwesen noch in Blüte stand und in Zürich auch eine politische Bedeutung hatte, verkündete den Sommer hindurch abends um sechs Uhr die zweitgrößte Glocke des Großmünsters allen Werkstätten den Feierabend, und zwar wurde sie je am ersten Montag nach der Frühjahrstag- und Nachtgleiche zum erstenmal geläutet. Diesen Tag beging seit Jahrhunderten alles Volk in karnevalsähnlicher Lust, und so wird er heute noch, wenn auch unter veränderten Verhältnissen, gefeiert. Die „Zünfte“, gegenwärtig nur noch Privatvereinigungen ohne politische Bedeutung, versammeln sich um Mittag auf ihren Zunftstuben zu festlicher Mahlzeit. Viele, besonders die jungen Zünfter, erscheinen kostümiert, und nach dem Mahle bewegen sich Umzüge, die gemeinsam veranstaltet werden, durch die Stadt. Während früher meistens Begebenheiten aus der Züricher Geschichte dargestellt wurden, greift man in neuerer Zeit weiter aus und bringt, oft in geradezu großartiger Weise, weltgeschichtliche oder ethnographische Bilder zur Anschauung. Die besten künstlerischen und litterarischen Kräfte der Stadt arbeiten unter lebhafter Teilnahme aller Stände mit patriotischem Eifer an der Ausstattung dieser Umzüge mit und gelangen hierdurch zu einer Volkstümlichkeit, die ebenso wohlverdient wie festgegründet ist. Durch seine erfolgreiche Thätigkeit auf diesem Gebiete hat sich unter andern der künstlerisch und poetisch angelegte Metzgermeister Heinrich Cramer einen in weiteren Kreisen geachteten Namen gemacht.

Das „Sechseläuten“ des Jahres 1894 war das erste nach der Vereinigung der elf Außengemeinden mit der Stadt und wurde daher mit vermehrten Kräften und unter ganz besonderem Aufwand von Glanz und Pracht gefeiert. Der Festumzug brachte das „Reisen“ in den verschiedenen Zeiten zur Darstellung; dieser Grundgedanke bot natürlich reiche Gelegenheit, Kriegszüge, Raubzüge, Meerfahrten, Reisen zu Konzilien etc., Triumphzüge, Bergfahrten, kurz, alles nur Mögliche aus Vergangenheit und Gegenwart heranzuziehen und dem Ernst sowohl wie dem Humor seine Stelle anzuweisen. Wochen-, ja monatelang bereiteten sich die Teilnehmer auf die Darstellung vor; jede der verschiedenen Zünfte übernahm eine bestimmte Gruppe, und es entspann sich ein gegenseitiger Wetteifer in geschichtlich genauer Herstellung der Kostüme und in stofflich gediegener Ausstattung. Das Ganze unterstand der Leitung eines Ausschusses der Zünfte. Das Züricher „Sechseläuten“ steht unter dem erfreulichen Vorurteil, vom Wetter stets begünstigt zu sein. Diesmal jedenfalls behielt dieses Vorurteil glänzend recht, ein strahlender Frühlingshimmel wölbte sich am 9. April über Stadt und Landschaft und eine geradezu sommerliche Glut stellte die Ausdauer der zum Teil recht warm gekleideten Mitwirkenden auf eine harte Probe. Von Tagesbeginn ab flatterte von den altersgrauen Türmen des Großmünsters das blauweiße Stadtbanner, eine freundliche Einladung an die Bewohner, auch ihrerseits mit Flaggen- und Farbenschmuck der Häuser nicht zurückzubleiben. Tausend geschäftige Hände waren emsig am Werke, dieser Aufforderung nachzukommen; denn an diesem Tage ruht alle Arbeit, soweit sie nicht unmittelbar dem Feste dient.

Am Nachmittag um zwei Uhr setzte sich der Zug von der Umgebung der Tonhalle aus in Bewegung, um die verschiedenen Quartiere der Stadt zu durchziehen. An die hunderttausend Zuschauer von außen hatten sich den ungefähr hunderttausend städtischen Zuschauern beigesellt. Trotz dieses riesigen Zudranges und der Abwesenheit jeglicher militärischen Macht herrschte überall die größte Ordnung. Mit beinahe andächtigem Ernst und mit dem regsten Anteil sah das Volk die lange Reihe der geschichtlichen Gruppen vorüberziehen: Alexander den Großen mit seiner glänzenden kriegerischen Umgebung auf seinem Zug nach Indien, den römischen Kaiser Hadrian, der, seine Gemahlin zur Seite, auf prächtigem Staatswagen mit reisigem Gefolge durch die ägyptische Provinz dahinfährt; Attila mit seinen Hunnenscharen, der auf plumpem Gefährt sogar seinen Harem mit sich schleppt. Bilder aus der Völkerwanderung folgen, weiterhin Wikinger auf hochbordigem Drachenschiffe, Hansabrüder, und als Vertreter des im Punkte des

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 317. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_317.jpg&oldid=- (Version vom 9.4.2024)
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